Die Uhr tickt: Obwohl die seriöse Klimaforschung seit Jahrzehnten vor den Folgen der Erderhitzung warnt, weigern sich Politik, Medien und die Gesellschaft bislang hartnäckig, aus den vorliegenden Erkenntnissen angemessene Konsequenzen zu ziehen. Setzt man das 1,5-Grad-Ziel als Maßstab an, ab dessen Überschreitung der Fortbestand menschlicher Zivilisation zum Glücksspiel mit immer schlechteren Karten wird, ist das Restbudget an CO2, das noch freigesetzt werden darf, in nahender Zukunft verbraucht. Ausgehend vom aktuellen Stand der Emissionen bleiben beim Erscheinen dieses Artikels noch knapp sieben Jahre, ein Monat und acht Tage – das ist weniger Zeit als ein Oberbürgermeister in Baden-Württemberg hat, um seine Amtsperiode zu gestalten.
In Stuttgart, wo derzeit ein Dreikampf um die Rathausspitze tobt, betonen alle Kandidaten mit Aussichten, das Problem mit dem Klimawandel erkannt zu haben. Als Top-Favorit gilt Frank Nopper, ein Pragmatiker von der CDU, der als Stuttgarter Oberbürgermeister sogar die Bundespolitik aufmischen würde, denn ganz wie die Grünen fordert er einen Kohleausstieg bis 2030. Laut Wahlprogramm bekennt er sich auch zum 1,5-Grad-Ziel, und erreichen will er das zum Beispiel mit einer "konsistenten kommunalen Solardachinitiative". Er findet aber auch, dass Stuttgart mehr Straßen braucht, und zeigt sich generell als baufreudiger Bewerber. Entsprechend genießt der Konservative bei den Naturschutzverbänden und ökologisch Bewegten in Backnang, wo er die vergangenen 18 Jahre als Oberbürgermeister wirkte, nicht den besten Ruf.
Auch Marian Schreier, der überparteiliche SPD-Mann ohne Wahlempfehlung der Genossen, hat die Zeichen der Zeit erkannt und will den "Klimawandel endlich ernst nehmen" – wobei der Realpolitiker in seinen Forderungen nicht ganz so radikal auftritt wie sein Kontrahent von der Union. Er will ebenfalls mehr Photovoltaik auf den Dächern sehen, kostenlose Kredite für unternehmerische CO2-Tilgung und verspricht: "Mit mir als Oberbürgermeister wird Stuttgart klimapositive Stadt – und das noch deutlich vor dem Jahr 2050." Als Rathauschef in Tengen kann der 30-Jährige für sich verbuchen, den ersten Windpark im Landkreis Konstanz auf den Weg gebracht zu haben.
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Emilia Leinweber
am 30.11.2020