"Der Sündenbock ist kein Herdentier", sagt Marian Schreier, weil der oder die gesucht-und-gefundenen Schuldigen in der Regel sehr allein sind. Stuttgart ist anders, da müssen jetzt viele – ganz egal, ob zu Recht oder zu Unrecht – rumrennen mit dem Makel, mitverantwortlich fürs öko-soziale Desaster von G2R zu sein: Grüne und Rote und Linke, angeblich schlechte Verhandler- und VerliererInnen, tatsächlich schwache ParteifreundInnen und erst recht alle, die kraftvoll nachtreten. Zu groß ist die Enttäuschung über die versemmelte Chance, zu schwach ausgeprägt die Solidarität, um auf den eigenen Senf doch zu verzichten.
Plakatives unübersehbares Beispiel ist Rezzo Schlauch, der so gern erzählt, wie das war 1996, als er selbst fast OB geworden wäre. Die SPD hätte sich eben anders verhalten müssen, meint er und lässt immer weg, dass er ein paar Jahre zuvor durch das Aufrechterhalten seiner Kandidatur trotz eines dritten Platzes im ersten Wahlgang einem CDU-Mann in den Chefsessel des Rathauses von Crailsheim verhalf. Jetzt, aus der sicheren Betrachterdistanz und weit weg von Landes- und Kommunalpolitik, weiß er ganz genau, dass seine Grünen "durch die Erfolgsspur der letzten Jahre und hinter dem erfolgreichen breiten Rücken von Ministerpräsident Winfried Kretschmann satt und selbstzufrieden geworden" sind. Sein Gratistipp für die arrivierten ParteifreundInnen: "Aus den bequemen Parlamentssesseln doch mal ins Risiko zu gehen und sich einer der vornehmsten Herausforderungen zu stellen, die es in der Politik gibt."
Unpräzise und unfaire Vorwürfe
Ross und Reiter nennt der inzwischen 73-Jährige natürlich nicht. Dabei hätte er, wenn er sich schon aus dem Ruhestand zur Wortmeldung aufgerufen fühlt, aufräumen können mit der Mär, die Kandidatin Veronika Kienzle sei dritte Wahl gewesen. Sein Langzeit-Kumpel Cem Özdemir war nämlich gar nicht bereit, sich einer der vornehmsten Herausforderungen zu stellen – vermutlich weil er mehr darauf setzt, demnächst noch einmal auf Bundesebene durchzustarten. Und Muhterem Aras hatte sich allein handeln lassen, um am Ende doch nicht herabzusteigen vom Stuhl der Landtagspräsidentin.
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Hannah Bunz
am 22.11.2020