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Razzia in linkem Kulturzentrum

Polizei als Einbrecher

Razzia in linkem Kulturzentrum: Polizei als Einbrecher
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Nach dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg durchsuchten Beamte das Freiburger Kulturzentrum KTS, in dem sich gewaltbereite Linksextremisten verbergen sollten. Doch drei Jahre später liegen keinerlei Beweise vor, alle Ermittlungen sind eingestellt, und die Razzia wurde als rechtswidrig verurteilt.

Wollte man erfolgreiche Politik an ihren formulierten Ansprüchen bemessen, könnte die Blamage kaum größer sein. So sprach Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) im August 2017 von einem "Schlag gegen den gewaltbereiten Linksextremismus", der gelungen sei, nachdem 250 Polizeibeamte verschiedene Räumlichkeiten in Freiburg durchsucht hatten, wo sie Aktivitäten der zeitgleich zur Razzia verbotenen Onlineplattform "linksunten.indymedia" vermuteten. Eine Gelegenheit für Strobl, seine Lieblingsphrase zu bemühen: "Der Rechtsstaat stellt sich all denen in den Weg, die gegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung kämpfen – mit aller Härte des Gesetzes." Bisweilen auch mit einer Härte, die über das Gesetz hinausgeht.

Wenige Wochen vor dem spektakulären Einsatz war es beim G20-Gipfel in Hamburg zu schweren Ausschreitungen gekommen. Im Zuge diverser Staatsaktionen gegen die linksradikale Szene verhängte Thomas de Maizière (CDU), damals Bundesinnenminister, auch ein Vereinsverbot gegen "linksunten.indymedia" – was insofern bemerkenswert ist, dass vor dem Verbot niemand wusste, dass ein solcher Verein existieren soll. Eigentlich handelte es sich bei der Seite (als Archiv noch erhalten) um ein Portal, auf dem jeder mit Internetzugang anonyme Beiträge verfassen konnte, wobei eine Moderation nur in äußersten Ausnahmefällen eingriff – und beispielsweise Bekennerschreiben oder Gewaltaufrufe stehen ließ. Sind auf eine solche Plattform die Grundsätze des Medienrechts überhaupt anwendbar? Um beim Vorgehen gegen die mutmaßlichen Betreiber dieser Streitfrage auszuweichen, konstruierten die Behörden kurzerhand einen Verein und verboten ihn dann. Auf diesem Wege konnte das problematische Terrain, ein faktisches Publikationsportal trotz der in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierten Presse- und Meinungsfreiheit zu zensieren, elegant umschifft werden (Kontext berichtete über Verbot und Razzia hier und hier).

Doch vom Ausgangsverdacht gegen die angeblichen Vereinsmitglieder hat sich gut drei Jahre später nichts erhärtet. Neben Privatwohnungen wurde in Freiburg das linke Kulturzentrum KTS durchsucht, das nach Argumentation der Behörden als eine Art Vereinsheim des konstruierten Vereins fungiert haben soll. In der Pressemitteilung zum Einsatz berichtete die Polizei zwar von Waffenfunden, was einige Medien so verbreiteten, als sei eine neue RAF aufgeflogen – doch wie sich später herausstellte, wurde bei der Razzia gar nichts Illegales konfisziert. Eine verschlüsselte Festplatte, die beim Einsatz beschlagnahmt wurde, konnte trotz vereinter Bemühungen von LKA, BKA und Verfassungsschutz nicht geknackt werden; nach zwei erfolglosen Jahren gaben die Behörden auf. Die Tatverdächtigen wurden schließlich im August 2019 entlastet: Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe stellte die Ermittlungen ein, da sich der Tatverdacht nicht erhärten ließ (Kontext berichtete).

Grundrechte ausgehebelt

Damit ist die juristische Aufarbeitung allerdings noch nicht am Ende angelangt. Während beim "Schlag gegen den gewaltbereiten Linksextremismus" (Strobl) keinerlei Beweise sichergestellt werden konnten, die eine Anklage, geschweige denn eine Verurteilung rechtfertigen würden, ist inzwischen gesichert, dass die Behörden beim Vorgehen gegen die Verdächtigten gleich mehrfach Recht brachen. Im Zuge der Observation des Freiburger KTS wurden illegal Briefe beschlagnahmt, wie das Bundesverwaltungsgericht im August dieses Jahres feststellte. Und jüngst urteilte der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof (VGH), dass die Razzia im linken Zentrum generell rechtswidrig war.

Allein der Umstand, "dass der verbotene Verein 'linksunten.indymedia' die Räume des KTS benutzt" haben könnte, reichte den zuständigen Richtern nicht aus, die Gesamtmaßnahme ohne weitere Begründung zu rechtfertigen. Das verantwortliche Bundesinnenministerium kassiert schallende juristische Ohrfeigen: "Ein Vollzugs- und Ermittlungsersuchen, das – wie mithin hier – im Ergebnis nicht erkennen lässt, ob es die Auswahl der von einer Durchsuchungsanordnung betroffenen Antragsgegner geprüft hat und/oder den ersuchten Ermittlungsbehörden überlassen will, genügt den oben genannten Bestimmtheitsanforderungen nicht." Dabei wird in der Begründung des VGH zum unanfechtbaren Urteil gleich mehrfach die "beträchtliche Grundrechtsrelevanz" hervorgehoben, die der staatliche Eingriff einer jeden Durchsuchung mit sich bringt.

Damit steht fest, dass der staatliche Sicherheitsapparat beim Vorgehen gegen angebliche Linksextremisten ohne belastbare Beweise mehrere Grundrechte ausgehebelt hat, wobei noch nicht abschließend juristisch bewertet ist, ob dabei auch die Pressefreiheit angegriffen wurde. "Der Rechtsstaat stellt sich all denen in den Weg, die gegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung kämpfen", sagte Landesinnenminister Strobl im August 2017 – und sollte Recht behalten. Aber ob er schon damals ahnte, dass Gerichte einen übergriffigen Sicherheitsapparat maßregeln würden?

Die Betroffenen hätten jetzt gerne ihr Geld zurück

Überrascht darüber zeigen sich zumindest die Betroffenen. "Es gibt für Linksradikale wenig gute Gründe vor Gericht zu ziehen", heißt es auf der Website der KTS. "Ein Einbruch in unser Autonomes Zentrum auf Befehl des Bundesinnenministeriums, bei dem richtig viel geklaut wurde, gehört vielleicht dazu. Die Hoffnung, einen solchen Prozess zu gewinnen, eher nicht." Das Kulturzentrum hätte nun ganz gerne die Gegenstände und das Geld zurück, die als "Vereinsvermögen" beschlagnahmt wurden. Immerhin gehe es um rund 40.000 Euro. "Gebt die Sachen raus! Her mit der Kohle!", so die Forderung.


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