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OB-Wahl in Stuttgart

Es lebe das Einheitsfröntle

OB-Wahl in Stuttgart: Es lebe das Einheitsfröntle
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Veronika Kienzle (Grüne) soll Wunder wirken: Frank Nopper (CDU) stoppen, bevor er Oberbürgermeister von Stuttgart wird. Mit lauter willigen Männern als Helfer. Das will ihre Partei, die Vieles dazu tut, dass daraus eine Mission impossible wird.

Selbstverständlich grün? Aber klar doch, sagen die Strategen um Veronika Kienzle, jetzt müssen alle zusammen stehen. Die ganze öko-soziale Mehrheit im Gemeinderat, in der Stadt, in der OB-Bewerberschar. Marian Schreier, der Soft-Sozi, Hannes Rockenbauch, der Sozialist. Sie sollen sich, unter der Führung von Veronika Kienzle, zur Einheitsfront verbünden, um CDU-Nopper zu verhindern. Einen Bürgermeister aus Backnang. Das wird schwer. Nicht nur wegen der Egos der Männer, die man vielleicht hätte vorher fragen können. Außerdem soll es auch noch inhaltliche Unterschiede geben, die bei dem einen nicht als öko, bei dem anderen nicht als sozial durchgehen.

Schwierig wird es vor allem durch den ungebrochenen Anspruch der Grünen, die politischen Leader in der Stadt zu sein: Wir sind Oberbürgermeister, stärkste Fraktion, Direktmandatierte in allen Stuttgarter Wahlkreisen, und über allem schwebt der Ministerpräsident. Im hegemonialen Diskurs. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass sie für Vieles mitverantwortlich gemacht werden, was in Stuttgart so gar nicht grün ist. Die Mieten, der Verkehr, Stuttgart 21 inbegriffen, das Klima, eigentlich alles Themen, hinter die Fritz Kuhn ein dickes Ausrufezeichen hätte setzen müssen. So dick, dass die Menschen merken, wie hier einer für sie schafft. Sie haben wenig gemerkt. Auch von seiner Ratsfraktion nicht, die gerne mit der CDU dealt.

Gemeinsam durch, im Sinne der Sache?

Aber jetzt sollen die lieben Mitbürger*innen – seit Kurzem verwendet das Rathaus Gendersterne – plötzlich "Wir fürs Hier" sein. So der Wahlspruch der Kandidatin, ausgedacht von der Agentur Jung von Matt, die auch Angela Merkel betreut. Was mag wohl mit dem "Hier" gemeint sein? Der Eckensee oder die Oper? Wie wär's mit einem Baum auf der B 14? Die Jungen von Fridays for Future haben sich für einen entschieden, der die Bundesstraße gerne zum Spielplatz machen würde, für Hannes Rockenbauch, den linken Stadtrat. Sie fragen sich, wofür die Grünen stehen, wenn sie mit ihm im Gemeinderat nicht für den Klimanotstand stimmen? Ob sie noch eine Ahnung davon haben, was die Jungen umtreibt, was frech, pfiffig und utopisch ist? Attraktiv macht das Angepasste nicht.

Und wer ist "Wir"? Die grüne Gesellschaft, die sich auf dem Sofa eingerichtet hat, gerne satt und selbstgefällig, weil sie die Schlauen sind? Die grüne Politikkaste, die nach dem Wohlwollen der Schwarzen schielt, weil sie daran messen kann, ob ihr Ansatz, die Dinge vom Ende her zu denken, richtig, sprich risikolos ist?

Vom Ende her denken heißt in Baden-Württemberg auch stets: Gefällt das dem Winfried oder eher nicht? Kretschmann ist quasi überall, in jedem Orts- und Kreisverband, und sollte jemand Neues vergessen, seinen Namen in die Rede einzuflechten, kommt das bei den FunktionärInnen gar nicht gut an.

Doch halt, es gibt ein paar Ausnahmen von der Regel: Es war ein sonniger Oktobertag im vergangenen Jahr, Autogipfel im Zuffenhausener Porsche-Museum, davor AktivistInnen von attac, Fridays for Future, Robin Wood, Ende Gelände. Die Bosse fragten sich bang, ob der "Fahrspaß auf der Strecke" bleibt, die DemonstrantInnen verbannten sie ins "Kartell der Klimakiller" – und unter ihnen war Veronika Kienzle, die einzige Grüne. Ein Jahr später stand sie nachts vor dem Stuttgarter Stadtpalais, als einzige Grüne zusammen mit Hannes Rockenbauch. Sie schaute frierend zu, wie Kretschmann einschwebte, als "schwäbischer Laokoon", den Fritz Kuhn nicht in der Stadt haben wollte.

Veronika Kienzle wurde OB-Kandidatin, nachdem Cem Özdemir und Muhterem Aras abgesagt hatten. Um den Job gekämpft hat sie nicht, sich eher in den Dienst einer Partei gestellt, die einst angetreten war, die herrschende Klasse aufzumischen. Jetzt wird ihr in den eigenen Reihen vorgehalten, ihr fehle die Power, die Performance auf der Bühne, das Beseeltsein von der Aufgabe. Aber da müsse man gemeinsam durch, im Sinne der Sache natürlich. Und wieder steht sie bereit, die Stimmen für eine öko-soziale Mehrheit zu bündeln. Eine rechtzeitig gezogene Reißleine wäre besser gewesen.


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13 Kommentare verfügbar

  • Dr. Diethelm Gscheidle
    am 12.11.2020
    Antworten
    Sehr geehrte Damen und Herren,

    nachdem ich drei Tage vor der OB-Wahl feststellen musste, dass merkwürdigerweise kein redlicher Kandidat der christlichen Partei "Bündnis C" bei dieser Wahl antritt, habe ich spontan als bekennender Christ diese Lücke gefüllt und mich selbst zur Wahl gestellt, indem…
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