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OB-Wahl in Stuttgart

Siller fragt: Marian Schreier

OB-Wahl in Stuttgart: Siller fragt: Marian Schreier
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Am 8. November wird gewählt: Kontext stellt die aussichtsreichsten KandidatInnen für den OB-Posten in Stuttgart vor. Den Anfang macht Marian Schreier, er ist der Jüngste – und bringt trotzdem Erfahrung mit. Denn er ist bereits Bürgermeister in Tengen.

Herr Schreier, im Wahlkampf erwartet Sie ein Termin nach dem anderen. Wie kommt Tengen ohne Sie aus?

Ich nehme meinen Urlaub beziehungsweise den Resturlaub aus dem letzten Jahr, und bin eigentlich durchgängig bis zum ersten Wahlgang in Stuttgart. Das funktioniert ganz gut, weil ich eine hervorragende Amtsleitung habe, die das Geschäft intern macht, und eine Bürgermeisterstellvertretende, die sich um die Vertretung nach außen kümmert. Manfred Rommel hat mal gesagt, eine gute Kommunalverwaltung zeichnet sich dadurch aus, dass sie auch dann erfolgreich arbeitet, wenn der Bürgermeister da ist. (lacht)


Sie kandidieren als unabhängiger Bewerber, obwohl sie SPD Mitglied sind. Haben sie den Ärger in der eigenen Partei schon überstanden?

Oberbürgermeisterwahlen sind Persönlichkeitswahlen ...

… ist klar ...

… und es kommt darauf an, dass man für die eine Überzeugung mitbringt. Es ist richtig, ich bin SPD-Mitglied, aber ich trete bei dieser Wahl unabhängig an. Und ich finde, ein Oberbürgermeister muss, wenn er die Stadt erfolgreich gestalten will, auch unabhängig von Parteiinteressen agieren können. Insofern ist das aus meiner Sicht kein Problem und da ist kein Ärger, der auf meiner Seite zurückbleibt.

Foto: Joachim E. Röttgers

Marian Schreier, 30 Jahre alt, wurde 2015 zum Bürgermeister in Tengen gewählt, damals als Jüngster bundesweit, der dieses Amt bekleidet. Er ist in Stuttgart geboren, studierte in Konstanz und Oxford Politik- und Verwaltungswissenschaften beziehungsweise Public Policy, bevor er als Redenschreiber für Peer Steinbrück arbeitete. In Stuttgart kandidiert SPD-Mitglied Schreier als unabhängiger Kandidat und ohne Unterstützung der Partei. (red)

Wir haben an alle Kandidatinnen und Kandidaten, die wir hier zum Interview eingeladen haben, einen Fragebogen verteilt und uns auch erkundigt, in welches Fettnäpfchen Sie schon einmal getreten sind. Und Ihre Antwort, wissen Sie die noch auswendig?

Ja, ich habe mich als Stuttgarts Oberbürgermeister beworben, ohne den SPD-Kreisvorstand zu fragen.

Und das als langjähriges Mitglied, das schon mal 'ne Wahl gewonnen hat. Wie kann denn so etwas passieren?

Die SPD ist ja dafür bekannt, dass sie gerne ...

… jetzt bin ich gespannt ...

… dass sie ja gerne auch intern diskutiert und zu der einen oder anderen besonderen Entscheidung kommt. Also wie gesagt, es ist eine Persönlichkeitswahl am Ende des Tages.

Es ehrt sie ja, dass sie das als Fettnäpfchen bezeichnen. Es war natürlich keines, das haben Sie mit Absicht gemacht. Aber lassen wir das hinter uns und reden wir drüber, warum Sie das eigentlich machen. Sie haben schon früh angefangen, sich für Politik zu interessieren und Ihren Werdegang auch so ausgerichtet, dass es mal auf höhere Posten hinauslaufen kann. Angefangen als Jugendrat im Stuttgarter Westen.

Ja, die ersten Berührungspunkte mit der Politik gab es tatsächlich hier in Stuttgart. Ich habe viel debattiert während der Schulzeit und das hat mich zur Politik geführt. Und ich habe das Ganze auch studiert, in Konstanz und später in Großbritanien. Ich würde aber nicht sagen, dass ich den Werdegang darauf ausgerichtet habe. Da gab es nicht den festen Plan, ich will sofort mit 25 Bürgermeister werden. Ein guter Studienfreund hat mich damals darauf aufmerksam gemacht, dass die Wahl ansteht, und da habe ich mir das erste Mal Tengen angesehen, im Herbst 2014. Und dann bin ich nach und nach zu dem Entschluss gekommen, mich bewerben zu wollen. Allerdings musste ich warten, bis die Stelle dann auch ausgeschrieben wurde. Es hätte sein können, dass der Wahltag vor dem 8. Februar, also vor meinen Geburtstag, gelegen hätte. Dann hätte ich gar nicht kandidieren können, aber ich bin dann drei Wochen vorher 25 geworden. Das ist ja das Mindestalter, um sich in Baden-Württemberg bewerben zu können.

Auf die Weise waren sie dann auch der Jüngste, viel früher geht ja nicht ...

Nein, viel früher geht nicht, aber inzwischen ist das auch nicht mehr der Fall, ich werde ja von Tag zu Tag älter.

Selbst Sie, das beruhigt mich. Sie haben Ihre Ausbildung eben schon in groben Zügen geschildert und dann gesagt, dass sie sich in Tengen beworben haben. Dazwischen lag noch eine Station, als Redenschreiber eines gewissen Peer Steinbrücks.

Richtig.

Was hat man da für eine Macht als Redenschreiber? Kann man dem was reinschreiben, was man gerne mal loswerden will?

Nein. Peer Steinbrück ist jemand, der selber sehr gut schreiben und reden kann. Also ist das ein gemeinsamer Prozess. Das ist viel Recherche, um die Fakten zusammenzutragen, die notwendig für einen ersten Entwurf sind, und damit arbeitet der Redner dann. Aber es ist nicht so, dass man da dann eigene Akzente oder Positionen setzen kann, man arbeitet zu.

Insgesamt ist das schon die typische Karriere eines Berufspolitikers. Fehlt da nicht auch ein bisschen Lebenserfahrung als Mensch, der einen "ganz normalen Beruf" hat?

Ich glaube, das Bürgermeisteramt ist nun wirklich kein typischer Schritt auf dem Weg zur Berufspolitik. Das Klassische wäre, dass man sich auf ein Mandat im Landtag oder Bundestag bewirbt. Und da ist das Bürgermeisteramt, finde ich, doch noch mal was anderes. Auf der einen Seite ist es natürlich ein politisches Amt, auf der anderen ist man Chef der Verwaltung und Repräsentant der Gemeinde. Es gab auch meinerseits keinen Masterplan, sondern es sind Gelegenheiten und Chancen, die sich bieten müssen, so wie die Bewerbung in Tengen.

Wenn da jetzt irgendwo anders, vielleicht in Tübigen oder in Konstanz oder in Tauberbischofsheim, ein Platz frei geworden wäre, hätten sie den auch genommen?

Nein, so ist es nicht gewesen. Oberbürgermeister zu sein ist ja kein reiner Verwaltungsjob, man braucht ja eine gewisse Verbindung zu der Region. Ich komme nicht aus Tengen, das ist richtig, aber über mein Studium in Konstanz habe ich diese Verbindung, und das ist der eine Teil der Motivation gewesen. Der andere ist, dass Tengen eine unheimlich spannende Ausgangslage hatte. Da gab es sehr viel, was erreicht und angestoßen wurde durch meinen Vorgänger, der 42 Jahre im Amt war. Aber es gab auch sehr vieles, was zu verändern war. Weil sich natürlich auch Dinge einschleifen über 42 Jahre. Und mit dem kommunalen Pflegeheim gab es ein großes bestimmendes Thema, und all das hat mich gereizt.

Als große Themen für Stuttgart haben Sie genannt: Wohnen, Verkehr, Klima, Digitalisierung – wie eigentlich jeder Kandidat. Sie haben das in einen sogenannten positiven Zukunftsplan gepackt. Aber für die Wählerinnen und Wähler und überhaupt politisch Interessierte geht's natürlich darum, wie man das konkret umsetzt.

10 Fragen hat OB-Kandidat Marian Schreier von Kontext erhalten. Auf die Frage "Was denken Sie, wenn Sie in die S-21-Baugrube blicken?" antwortet er:

"Im Hölderlin-Jahr: Komm ins Offene, Freund!"

Zu den anderen Fragen und Antworten bitte hier klicken.

Ja.

Dann fangen wir vielleicht mit Wohnen an.

Gern.

Was ist das Wichtigste? Mehr bauen?

Ich finde, man muss noch einen Schritt vorher anfangen. Wenn man das Thema des bezahlbaren Wohnens wirklich ernst nimmt, brauchen wir eine andere, eine gemeinwohlorientierte Grundstückspolitik. Das heißt, dass die Stadt keine Schlüsselflächen mehr verkauft und dass sie städtische Vorkaufsrechte ausübt. Und ich habe den Vorschlag gemacht, dass wir eine Stiftung Wohnen gründen, die Grundstücke und Gebäude aufkauft und danach sehr günstig vermietet oder verpachtet. Dadurch würde ein Teil des Wohnungsmarktes der Spekulation entzogen. Das ist die Grundvoraussetzung, dass die Mieten wieder sinken können beziehungsweise dass sie eingehegt werden. Danach brauchen wir im zweiten Schritt natürlich auch ambitioniertere Neubauziele. Da ist zu wenig passiert in den letzten Jahren.

Im Zuge von S 21 werden auch einige Flächen frei. Welche davon kann man bedenkenlos zubauen und bei welchen muss man sich ums Klima kümmern?

Die Entwicklung des Rosensteinquartiers ist mit Blick auf den Städtebau und Wohnungsbau eine große Chance. Das ist die aktuell größte zusammenhängende Fläche, die wir im Stadtgebiet bebauen können, und deswegen sollte man das auch zügig tun. Natürlich müssen die Planungen insgesamt auch unter Berücksichtigung ökologischer und stadtklimatischer Aspekte stattfinden. Es sind ja schon sehr viele Frischluftschneisen zugebaut worden in Stuttgart und man muss künftig kucken, dass man das nicht weiter macht.

Stichwort zügig: S 21 hat sich bekanntermaßen schon extrem verzögert und die anschließende Bebauung der frei werdenden Flächen erst recht. Sie sind von außen und haben vielleicht einen neutraleren Blick darauf als Gegner und Befürworter, die sich schon fast über Jahrzehnte den Kopf einschlagen. Wie stehen sie zu S 21 generell?

Um das ganz offen zu sagen, ich hielt S 21 immer aus einem Grund ein für sinnvolles Projekt: Eben weil es eine städtbauliche Entwicklungschance bietet. Allerdings muss man festhalten, dass viele von den Punkten, die Kritikerinnen und Kritiker angeführt haben, eingetroffen sind. Das Projekt ist deutlich teurer geworden, es hat sich deutlich verzögert und es stellen sich auch noch einige inhaltliche Fragen, etwa was die Leistungsfähigkeit des Bahnhofes betrifft. Da macht es keinen Sinn, da drumherum zu reden. Zweitens finde ich, die Art und Weise, wie das Projekt entwickelt wurde, darf sich nie wieder wiederholen. Das hat Gräben und Wunden in die Stadt gerissen, die wir heute noch erleben. Ich glaube, dass es hilfreich ist, dass ich nicht in die Entscheidungsprozeße der letzten 10 oder 15 Jahre eingebunden war.

Haben sie soweit Einblick, dass Sie sich ein Urteil darüber erlauben können, ob das Ding dann überhaupt wirklich funktioniert? Sie sagen ja selbst, es gibt ja immer noch einige Punkte, die ungeklärt sind.

Ich habe keinen Einblick in die nichtöffentlichen Unterlagen und Gutachten, deswegen kann ich das nicht abschließend beurteilen. Was aber aus meiner Sicht auf jeden Fall diskussionwürdig ist – da hat die Stadt ja inzwischen auch ihre Zusage erteilt, das zumindestens mal zu prüfen zu wollen –, ist ein ergänzender unterirdischer Bahnhof. Wenn wir in dieser Größenordnung bauen, muss hinterher die Leistungsfähigkeit der Verkehrsbereiche auch sichergestellt sein. Mit Blick auf den Klimawandel müssen wir die Verkehrswende hinbekommen und dafür brauchen wir zwangsläufig die Schiene. Deswegen muss das nochmal untersucht werden. Das nicht zu machen, wäre aus meiner Sicht fahrlässig.

Ja, das hätte man vor 20 Jahren etwas gründlicher machen müssen. Schon damals war klar, die Bahn muss ausgebaut werden, wir müssen mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene tragen. Und dann halbiert man die möglichen Gleise von 16 auf 8 und das mit dem Anspruch, künftig mehr Züge reinzukriegen. Das kann doch kaum funktonieren?

Ich glaube, was jetzt wichtig ist, ist, dass wir nicht nochmal die Diskussion wie vor 15 oder 20 Jahren führen. Das Projekt ist entschieden und es ist im Bau, und ich halte das auch nicht für eine realistische Position, wenn man jetzt dafür wirbt, das noch zu stoppen. Das wäre auch nicht mein Weg. Man muss jetzt kucken, wo es Hebel und Steuerungsmöglichkeiten gibt, um das Projekt so aufzustellen, dass wir die Verkehrswende hinbekommen.

Zur Verkehrswende gehört auch der Verkehr auf der Straße. Wollen Sie weniger Autos in der Stadt?

Ich will weniger gefahrene Kfz-Kilometer, absolut. Vor allem im Innenstadtbereich ist es aus meiner Sicht dringend notwendig, es gibt ja auch entsprechende Zielbeschlüsse des Gemeinderates. Das ist ein richtiger Weg, der da aus meiner Sicht eingeschlagen ist. Jetzt muss es darum gehen, den jetzt zügig umzusetzen. Es geht ja nicht nur darum, dass wir weniger Kfz-Kilometer haben, sondern auch darum, dass die Stadt dadurch lebenswerter wird. Etwa wenn ich mehr Grün in der Stadt habe oder mehr Plätze, wo ich mich aufhalten kann.

Die Verkehrswende gehört mit der Klimawende zusammen. Wenn ich durch Stuttgart laufe, fallen mir ein paar Dächer auf, die noch Solarzellen vertragen könnten. Muss man da vielleicht auch Mieter und vor allen Dingen Besitzer ein bisschen – ich hätte fast gesagt, dazu nötigen – ausdrücklicher darauf hinweisen, dass man das nutzen kann?

Ich finde, da muss zuallererst einmal die Stadt ihre Hausaufgaben machen und alle belegbaren Flächen nutzen. Und das muss aus meiner Sicht wirklich zügig geschehen. Und ja, dann muss man auch darüber nachdenken, wie man Private dazu ermuntern kann. Es gibt andere Städte, die Community-Solarprogramme machen, wo dann die Stadtwerke Dächer belegen und man als Bewohner einen Teil des Stroms günstiger beziehen kann. Grundsätzlich halte ich den Klimawandel für die große Menschheitsaufgabe für die kommenden Jahrzehnte. Deswegen habe ich in Tengen viel in diese Richtung angestoßen. Wir haben den ersten Windpark im Landkreis Konstanz gebaut und das haben wir in einem sehr breiten Dialogprozeß mit der Bürgerschaft gemacht. Das lief über mehrere Runden und am Ende des Tages gab es auch einen Bürgerentscheid, bei dem zwei Drittel dafür gestimmt haben.

Zum Schluss der Ausblick auf die OB-Wahl in Stuttgart. Sie möchten natürlich gewinnen, klar. Aber es ist ja nicht ausgeschlossen, dass es im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit gibt. Sagen wir mal, nur um das theoretisch in den Griff zu kriegen, Sie sind Dritter. Treten Sie dann nochmal an?

Ich warte das Ergebnis am 8. November ab und werde das in Ruhe bewerten. Es kommt schon konkret darauf an, wie naheliegend zum Beispiel die ersten Drei beieinander sind. Ich glaube, dass es nicht sinnvoll ist, vor einem ersten Wahlgang solche Überlegungen anzustellen. Sondern jeder wirbt für seine Position und dann sieht man, wo man landet und muss danach im Lichte des Ergebnisses bewerten, ob es weitergeht oder ob man gegebenenfalls jemand anderen unterstützt. Bis dahin, ganz klar, werbe ich um Stimmen und Unterstützung für mein Programm.


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8 Kommentare verfügbar

  • Stefan Urbat
    am 01.10.2020
    Antworten
    Man sollte die Erfahrungen aus einer Kleinstadt als Bürgermeister m.E. nicht überbewerten: Tengen hat weniger Einwohner als die Verwaltung der Landeshauptstadt Mitarbeiter und als kleine Gemeinde hat Tengen sehr wenig Kompetenzen, von denen viele anders als im Stadtkreis Stuttgart beim…
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