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Das neue Waldsterben

Mein Freund, der Baum

Das neue Waldsterben: Mein Freund, der Baum
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Im Schönbuch sterben die Buchen. Des Naturparks Charakterbaum wird zum Opfer des Klimawandels. Zu viel Hitze, zu wenig Regen. Waldwanderer Winfried Kretschmann (Grüne) ist erschrocken.

Der Ort ist gut gewählt. Der Schönbuch, ein geschichtsträchtiger Forst, in dem einst Könige und Kaiser hinter den Hirschen her waren. Heute ist der Ministerpräsident da, weil es dem Wald schlecht geht, und das durchschlägt auf "Substanz und Seele", wie er sagt. Das hänge auch damit zusammen, dass der Wald ein Sehnsuchtsort der Deutschen sei, erläutert Winfried Kretschmann weiter, spätestens seit der Romantik, und er empfiehlt den Dichter Joseph von Eichendorff, der sich unter Bäumen offenbar geborgen fühlte.

O Thäler weit, o Höhen
O schöner, grüner Wald
Du meiner Lust und Wehen
Andächt'ger Aufenthalt!
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäft'ge Welt,
Schlag' noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt!
          Joseph von Eichendorff, 1810

Der Landesvater aus Sigmaringen-Laiz weiß das alles, weil er selbst ein Wanderer ist, und seine Ehefrau Gerlinde auch. Kontext hat das schon zu Beginn seiner Amtszeit ausführlich dokumentiert – hier und hier. Nun ist seit Eichendorff viel passiert in den deutschen Forsten und drumherum.

Nicht mal Brennholz

Der Schönbuch ist mit 156 Quadratkilometern der kleinste und erste Naturpark (seit 1972) in Deutschland. Südwestlich von Stuttgart gelegen, ist er ein wichtiges Naherholungsgebiet für die Metropolregion. Nachdem die Stürme "Lothar" (1999) und "Kyrill" (2007) breite Schneisen in den Wald geschlagen hatten, der mehrheitlich aus Fichte und Kiefer bestand, wurde verstärkt auf Laubbäume gesetzt. Die Buche nimmt heute ein Viertel der Waldfläche ein, wobei 70 Hektar von 550 als geschädigt betrachtet werden müssen. Viele Stämme sind nicht einmal mehr als Brennholz zu gebrauchen.  (jof)

Manche werden sich noch an das "Waldsterben" in den 1980er-Jahren erinnern, das als Begriff sogar Eingang in fremde Sprachen gefunden hat. Damals dachte man, es sei bald platt, das "grüne Zelt", das gut ein Drittel unseres Landes behütet. Und dann kam es doch nicht so weit, weil unter anderem Entschwefelungsanlagen sowie die Stilllegung von Braunkohlekraftwerken in der Ex-DDR geholfen haben, und die damalige Landwirtschaftsministerin Renate Künast das "Waldsterben" 2003 offiziell für beendet erklärt hatte.

Jetzt ist es wieder da. Nicht wegen des sauren Regens, sondern wegen etwas viel Schlimmerem, wegen des Klimawandels, der nur als Wort so harmlos daher kommt. Wandel, so scheint es, ist doch immer. Aber so? Kretschmann schaut nach oben, wo sich dürres Geäst vom blauen Himmel abhebt. Es waren einst die Kronen von Buchen, heute sind es morsche Stämme und Äste. Dass es sogar die Buchen einmal so "wickeln" würde, das habe er nicht erwartet, sagt der frühere Biologielehrer, das sei "dramatisch", das bedeute "Alarmstufe rot". Kretschmann ist sichtlich erschrocken. Fichten und Kiefern ja, aber Buchen, von denen wir als Kinder lernten, dass man sie bei Gewittern suchen sollte? Diesen Klimawandel müsse man mit aller Kraft bekämpfen, knarzt er in die Mikrofone.

Der Job des MP ist auch kein Honigschlecken

Der 72-Jährige steht auf einer Lichtung, kurzärmlig, graue Jeans, Wanderschuhe, mit noch ernsterer Miene, als er sie sonst an den Tag legt, um sich herum Pressevolk. Und dann ist man versucht zu denken, dass dieser Job auch kein Honigschlecken ist. Der Unfall auf der A 81 und das tote Kind sind erst ein paar Tage her.

Aus Pietätsgründen, schrieben die Zeitungen, sei die ursprünglich für Montag, den 7. September geplante Schönbuch-Begehung verlegt worden auf den folgenden Freitag. So lange musste das Waldsterben warten, erzielte aber danach mehr Aufmerksamkeit, weil das Thema mit dem emotional aufgeladenen und medial üppigst aufbereiteten Unfall des Ministerpräsidenten auf der Autobahn verknüpft war. Mehrere MitarbeiterInnen des Südwestrundfunks und der Chefredakteur des "Schwäbischen Tagblatts", Gernot Steger, hatten den Weg in den Forst gefunden.

Eingeladen hat Boris Palmer, 48, auf den Kretschmann große Stücke hält, die noch größer würden, wenn er gelegentlich die Klappe halten würde. Diesmal hört Kretschmann dem mit dem Pedelec gekommenen Jüngeren schweigend zu. Der Tübinger Oberbürgermeister sorgt sich um seinen Stadtwald und fragt, ob unsere Kinder hier noch wandern und radfahren können, ob der Wald als Heimat für Pflanzen und Tiere noch gerettet werden könne? Er tue seins dazu, sagt der Grüne, indem er die Stadt bis 2030 klimaneutral mache und die Häuslesbesitzer zwingen will, ihre Dächer mit Solarzellen zu decken. Allerdings bräuchte er dafür ein gesetzliches Go der Landesregierung. Ihr Chef guckt kurz hoch und sagt, man werde das wohlwollend prüfen.

Minister Hauk plädiert für Kirsche und Nüsse

Hört man dem Chef des Stadtwaldes, Thomas Englisch, zu, dann bleibt dafür nicht mehr viel Zeit. "Sie stehen hier vor toten Buchen", warnt der Revierleiter, "die im Frühjahr noch grün waren." Dürre und Hitze plagen die Bäume, deren Wurzeln in der trockenen Erde reißen und deren Kronen der Sonne nicht mehr standhalten. Englisch ist kein Alarmist, auch kein Förster mit Gamsbarthütchen, eher der Typ TÜV-Ingenieur, der nüchtern seinen Schadensbericht vorträgt, die Zahlen auf einem Klemmbrett notiert. Wenn so einer sagt, hier gingen die Bäume von sechs Förstergenerationen vor die Hunde, in zwei Jahren vom Klimawandel "kaputtgemacht", dann kann man seine "innere Wut" über diese "zermürbende Bilanz" zumindest erahnen. Englisch wird im November 30 Jahre Schönbuch auf dem Buckel haben. Er bittet darum, nicht mit einem "horizontalen Blick" die Wege entlang zu wandern, sondern immer mal wieder nach oben zu schauen.

Gerade noch rechtzeitig ist Peter Hauk, 59, in seinem schwarzen Audi quattro auf dem Parkplatz am Rittweg zwischen Waldhäuser-Ost und Bebenhausen eingetroffen. Im kurzärmligen weißen Hemd, das weiter sein könnte, steigt der CDU-Minister für den Ländlichen Raum aus dem Fond der Limousine, um für die Kameras der Reporter bereitzustehen, die angereist sind, das Bild "Politiker vor toten Bäumen" einzufangen. Der Diplom-Forstwirt sagt, man müsse eine "scharfe Bremse" ziehen angesichts der Erderwärmung, in deren Verlauf schon von bis zu sechs Grad plus gesprochen werde. Dem gelte es Einhalt zu gebieten, schließlich sei der Mensch wie ein Baum – "wenn die Grundversorgung nicht stimmt, baut er ab."

Das ist natürlich so richtig wie die Erkenntnis, dass alles mit allem zusammenhängt. Die freie Fahrt des freien Bürgers mit dem CO2, die Massentierhaltung mit Methan, die Holzindustrie mit der Monokultur des Waldes, der es als Lunge des Planeten richten soll und gerade hingerichtet wird. Das dürfte auch in der CDU bekannt sein. Ihr Mitglied Hauk empfiehlt, mit neuen Sorten zu experimentieren. Kirsche und Nüsse wären eine Möglichkeit.

Aber das führe jetzt zu weit, dies hier auf dem Friedhof der Buchen zu diskutieren. Das ist nicht der Ort, und die Zeit sowieso nicht. Der nächste Termin wartet, die Autokolonne fährt weiter, Palmer mit dem Pedelec voraus.


Eine gute Zusammenfassung, wie es um den Wald steht und was dringend getan werden müsste, hat der BUND erstellt, der schon seit einem Jahr vor einem neuen Waldsterben warnt. Mit vielen weiterführenden Links.


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5 Kommentare verfügbar

  • Josef Tura
    am 19.09.2020
    Antworten
    Freudenreich at it´s best! Der nicht so ganz dezente Hinweis auf Palmers E-Bike im Kontrast zu Hauks Protz-Quattro (Vierradantrieb braucht man natürlich im Schönbuch! Also zumindest als oberwichtiger Minischter, gell?) ist von überaus eleganter Hinterfotzigkeit.
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