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Polizeigesetz

Alarmlämpchen in Hochfrequenz

Polizeigesetz: Alarmlämpchen in Hochfrequenz
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Der praktische Nutzen ist fraglich und die Maßnahme erfordert gravierende Einschnitte in Grundrechte. Trotzdem will die Landesregierung den Einsatz von polizeilichen Bodycams auf Privaträume ausweiten. Die Grünen machen munter mit.

Die Rechnung ist einfach und könnte aufgehen für die CDU: In zahlreichen Wahlkreisen wird es bei der Landtagswahl im nächsten März ein Kopf-an-Kopf-Rennen um prestigeträchtige Direktmandate geben. Wenige Prozentpunkte können den Unterschied machen. Da passt ein emotionales Thema bestens ins Konzept, das den ungeliebten Koalitionspartner praktischerweise ordentlich in Argumentationsnöte bringt. Denn wer könnte schon dagegen sein, dass prügelnde (Ehe-)Männer und Familienväter gefilmt und überführt werden mit Hilfe von Bodycams?

Die Antworten sind deutlich komplexer, als Innenminister Thomas Strobl (CDU) beim offiziellen Akt der Einbringung des neuen Polizeigesetzes in den Landtag weiszumachen versuchte. Jedoch haben grüne Abgeordnete, wie ihre bisherige taktische Performance zeigt, den schieren Behauptungen und wenig aussagekräftigen Beispielen für den angeblichen Nutzen nichts entgegenzusetzen trotz mahnender Stellungnahmen, die mit dem Gesetzentwurf frei Haus geliefert wurden, etwa von der Neuen Richtervereinigung oder der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Kritische Anmerkungen gibt es zur Verhältnismäßigkeit und zu Eingriffen in die Grundrechte, zur Praktikabilität oder der Gefahr einseitiger Darstellungen. Stattdessen spricht der grüne Fraktionsvize Hans-Ulrich Sckerl selber von "diesen prekären Vor-Ort-Situationen, in denen Frauen und immer mehr auch Kinder der Gewalt ihrer Peiniger – so nenne ich das einmal – tatsächlich ausgesetzt sind und in denen die Polizei einfach verbesserte Eingriffsmöglichkeiten zur Beweissicherung, zum Eigenschutz, aber auch zum Schutz von Frauen und Kindern braucht".

Dabei ist die Faktenbasis zum Beleg der Sinnhaftigkeit bemerkenswert schmal. So schmal, dass die Ordnungshüter sich im internen Evaluationsbericht mit schräger Prosa helfen müssen, um dem Anliegen den Anschein von richtig und wichtig zu verpassen: "Ein Polizeivollzugsbeamter berichtete von einer Situation mit häuslicher Gewalt, bei der der mutmaßliche Täter noch im Beisein der Polizeivollzugsbeamten seine Ehefrau, die gemeinsamen Kinder sowie die Polizeivollzugsbeamten massiv beleidigte, bedrohte und seinen Aggressionen freien Lauf ließ. Als er das Haus verlassen hatte, wurde sofort der Bodycam-Einsatz angedroht und durchgeführt, ab diesem Zeitpunkt war keinerlei aggressive Regung mehr festzustellen, er verhielt sich im Gegenteil fast schon überkorrekt."

Da blinken alle Alarmlämpchen in Hochfrequenz. Nur "ein Polizeibeamter" von 625, die den Fragebogen zurückschickten, konnte oder wollte mit diesem eigenen Erleben aufwarten. Für die Sache ergiebig ist sein Beitrag indessen nicht, denn so wie geschildert kann sich der Vorgang schwerlich abgespielt haben. Erst vor der Haustür und dann plötzlich mit durchschlagendem Erfolg bringt die Drohung mit der Bodycam beziehungsweise ihr Einsatz einen prügelnden Wüterich zur Räson? Wie kommt er dahin? Warum muss er noch gefilmt werden, wenn er schon abgeführt wird und das Haus verlassen hat?

Wenn schon Märchenstunde, dann mit Biss. Satire darf alles, britische erst recht, zumal auf der Insel schon seit 2005 mit zweifelhaftem Erfolg gefilmt wird: Monty Python jedenfalls würde seine zwei Policemen in den Horror einer häuslichen Gewaltszene stolpern lassen, damit sie erst einmal ihre Vorschriften aus den Hosentaschen kramen, um ausführlich zu studieren, wie sie die Kameras an den schmucken Uniformen einsetzen können – während der alkoholisierte Ehemann weiter auf seine Frau einschlägt.

Studien von der Polizei für die Polizei

Natürlich treiben Beschreibungen wie diese Polizeigewerkschaftern und allen Law-and-order-PolitikerInnen die Zornesfalten auf die Stirne, kommen der Realität aber doch näher als konstruierte Polizistenliteratur. Denn seriöse Untersuchungen zeigen, wie problematisch die Benutzung solcher Kameras im realen Alltag ist. Eine Schweizer Studie zählt "Vorfälle von häuslicher Gewalt" ausdrücklich zum "nicht sinnvollen Einsatzbereich". Zum Beispiel deshalb, weil oft "'das Ganze' schon gelaufen sei, wenn man in eine Wohnung hineingeht". Der Sachstandsbericht für die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder zum Thema blickt zurück auf den allerersten Modellversuch in Hessen im Jahr 2013 und erinnert daran, dass damals statt der üblichen zwei mindestens drei Beamte auf Streife unterwegs waren, damit "der ‚Kamerabeamte‘ in Kontrollsituationen lediglich eine passive Rolle mit dem Ziel hochwertiger Aufnahmen einnehmen kann".

Es gibt Stellungnahmen von wissenschaftlicher Seite für mehrere Landtage. Beim Einsatz der Bodycam müsse "ein entsprechend großer Abstand zu den aufzunehmenden Personen vorhanden sein", weil "immer der gesamte Körper" zu sehen sein solle, sowie "eine sehr ruhige Haltung, damit die Bilder scharf bleiben", schreibt das Kriminologische Forschungsinstitut Hannover. Die AutorInnen vergessen nicht, an den zweifelhaften Ursprung der vielen positiven Einschätzungen zu erinnern, die es landauf landab gab und die längst in zahlreiche Ländergesetze für die Anwendung der Körperkameras im öffentlichen Raum mündeten: "Medienwirksam" seien 2014 die Erfahrungen aus dem Frankfurter Stadtteil Alt-Sachsenhausen veröffentlicht worden, samt dem "Rückgang von Gewalt gegenüber Polizisten von 37,5 Prozent". Hört sich nach einer großen Zäsur an, in absoluten Zahlen entsprach das aber lediglich einer Abnahme von 40 auf 25 Fälle.

Da kann der von der Polizei für die Polizei gefertigte Bericht für Baden-Württemberg locker mithalten. Interviews wurden geführt und von jenen 624 BeamtInnen, die einen der 850 versendeten Fragebögen zurückschickten, stimmten gerade mal 47 Prozent der Aussage zu, bereits die Androhung einer Bodycam sei "grundsätzlich geeignet, aufkommende Gewaltdelikte gegen Polizeivollzugsbeamten präventiv zu unterbinden". Und allein mit einem Winkelzug soll die These von der deeskalierenden Wirkung der Filmerei gestützt werden, denn schließlich steigt die Zahl der Übergriffe auf BeamtInnen. Dies geschieht nur deshalb, schreiben die namentlich nirgends erwähnten AutorInnen tricky, weil es durch den Kamera-Gebrauch zum "Nebeneffekt der Dunkelfelderhellung" komme.

Dennoch offenbart Strobl sogar, dass es sich um sein ganz persönliches Wünsch-Dir-Was handelt, weil er dieses Begehren, die Kameras in Wohnungen einzusetzen, "schon lange" hegt. An CDU-Sekundanten mangelt es natürlich nicht. Siegfried Lorek, der Waiblinger Abgeordnete und Polizeirat a.D., der es als Praktiker eigentlich viel besser wissen müssten, beklagt, wie Beamte "nach Hausstreitigkeiten in die Wohnung kommen und es dann massive Konfliktsituationen gibt bei der Überlegung: Darf ich jetzt gerade die Bodycam nehmen, oder darf ich sie nicht einsetzen?"

Dabei – so könnten Grüne argumentieren, wenn sie denn wollten – ist die Antwort ganz einfach: Nein. Nach geltender Rechtslage dürften die Beamten überhaupt nicht in fremden Wohnungen filmen. Aber der Reiz, Wählerstimmen zu fangen mit publikumswirksamer Aufrüstung der Polizei, ist einfach zu groß. Thomas Blenke (CDU), noch so ein wackerer Streiter für Verschärfungen, kann sich gar nicht beruhigen, wenn ihm aus dem berufenen Munde des früheren Koalitionspartner FDP die Wahrheit entgegenschallt. "Sie müssen schon zur Kenntnis nehmen, dass es Menschen gibt, die der heiligen Überzeugung sind, dass dieses Gesetz nur marginal nutzt", so Ex-Justizminister Ulrich Goll.

Wenn's brenzlig wird: den Richter anrufen

Trotz so vieler Steilvorlagen versuchen die Grünen gar nicht, in die Offensive zu kommen. Es stimmt, dass die Versachlichung von auf Emotion gebürsteten Themen schwierig ist und dass die SkeptikerInnen immer neuer Verschärfungen keinen leichten Stand haben, erst recht seit der berüchtigten Silvesternacht von 2015 auf der Kölner Dom-Platte. Und es stimmt, dass die dringend gebotene, juristisch feinziselierte Abwägung von Grundrechten - öffentliche Sicherheit versus Unverletzlichkeit der Wohnung – nicht als wahlkampftauglich gilt. Aber in der Sache gäbe es jede Menge einzuwenden, anstatt kampflos nachzugeben, zumal im neuen Polizeigesetz mit der Regelung zu den Personenkontrollen noch zusätzlicher Sprengstoff verborgen ist.

Ob argumentative Rettung gegen die schwarzen Hardliner rechtzeitig naht, muss sich nach der Sommerpause zeigen. Wenigstens geben sich SPD und FDP, wie schon bei der ersten Verschärfung vor drei Jahren, alle Mühe, das Werk aus dem Hause Strobl zu entzaubern. Im September findet erst einmal eine Anhörung im Landtag statt, zu der die demokratische Opposition auch Mark Zöller geladen hat. Der hat im Auftrag der rheinland-pfälzischen Landesregierung analysiert und ein ganzes Buch geschrieben zur heiklen Causa. Einer der Kernsätze ist in Strobls Innenministerium entweder nicht angekommen oder negiert worden: "Geltendes Verfassungsrecht ist zu Recht kein 'Wunschkonzert'. Dass die Nutzung von Bodycams in bestimmten Fällen einsatztaktisch sinnvoll sein kann, sagt somit noch nichts über die verfassungsrechtliche Machbarkeit aus." Notwendig sei eine "einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlage", die jedoch "zwingend einem Richtervorbehalt unterstellt werden müsste".

Da kommen wieder Monty Pythons Policemen ins Spiel, denn die müssten also nach hurtigem Studium der Vorschriften zur Bedienung der Kameras umständlich das Diensthandy – falls vorhanden, was in Baden-Württemberg keineswegs selbstverständlich ist – aus der Tasche ziehen, um einen Richter zu kontaktieren mit der Bitte, die Erlaubnis zum Filmen zu erteilen, um dann endlich zuzugreifen und den Prügler von seiner Familie zu trennen ...


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