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Neubau gegen hohe Mieten

Globuli aus Beton

Neubau gegen hohe Mieten: Globuli aus Beton
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Die Immobilienlobby und ihre Lautsprecher preisen die Bauwut als vermeintliches Wundermittel gegen die Wohnraumkrise an. Doch dass Neubauten zu sinkenden Preisen führen, lässt sich empirisch nicht belegen – im Gegensatz zur Wirksamkeit des Berliner Mietendeckels.

"Wer immer wieder dasselbe sagt, hat Recht", wiederholt der Satiriker Max Uthoff in seinem Programm "Gegendarstellung" so lange, bis man geneigt ist, ihm zu glauben. Und tatsächlich muss eine Behauptung nur lange genug zirkulieren, bis sie eines Tages als Gemeinplatz durchgeht – egal, ob sie zutrifft oder nicht. Wer hat noch nie von dem legendären Stromausfall in New York gehört, in dessen Folge die Geburtenrate neun Monate explosionsartig in die Höhe geschnellt ist? Blöd nur, dass die begleitende Statistik zum Vorfall gar keinen signifikanten Anstieg hergibt. Aber, aber! "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast", das hat doch schon Winston Churchill gewusst! Wobei es auch für dieses doch so berühmte Zitat, welch bitterböse Ironie, keinen originalen Beleg gibt.

Doch wenn sich ein Gerücht erst verselbstständigt hat, reproduziert es sich wie von Zauberhand und durchaus auch in seriösen Medien. Die Magie der Repitition haben auch Ratgeber für gelungenes Marketing erkannt, wenn sie dazu raten: Die Kernbotschaft muss auf Anhieb verständlich sein und damit auch was hängen bleibt, möglichst oft wiederholt werden. Und kaum irgendjemand hat dieses Prinzip so vorbildlich verinnerlicht wie die bundesdeutsche Betonfront, die ihr Wundermittel gegen die Wohnungsnot mit einem ikonischen Mantra bewirbt: "Bauen, bauen, bauen", ganz als ob es so einfach wäre.

Der Zentrale Immobilien Verband, dem man eine gewisse Nähe zur Politik nachsagen kann, wirbt schon lange für mehr Bautätigkeit in der Republik. Bauen, bauen, bauen wird dort bei jeder sich bietenden Gelegenheit als "Gebot der Stunde" angepriesen – von eben jenem Spitzenverband der Immobilienlobby, der die Immobilienweisen der Bundesregierung (das wohnungspolitische Pendant der Wirtschaftsweisen) jedes Jahr mit einem Gutachten beauftragt, das sich 2019 noch vor dem Vorwort bei den "Unterstützern" bedankte. Mit dabei war zum Beispiel die Vonovia, Deutschlands größter Immobilienkonzern, der in seinen Wohnungen etwa eine Million Menschen beherbergt und besonders für rücksichtslose Rentnerverdrängung bekannt ist, wenn sich diese nach kostspieligen Modernisierungen die Miete nicht mehr leisten können.

Die Lobby hat da eine Idee. Genau eine 

"Bauen, bauen, bauen", diese Botschaft ist längst auch bei der Bundesregierung angekommen und aus dem politisch-medialen Diskurs kaum mehr wegzudenken. Für Ralph Brinkhaus, den Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Bundestag, ist sie "das beste Mittel gegen zu hohe Mieten", für Innenminister Horst Seehofer (CSU) kennt die "kritische Lage am Wohnungsmarkt nur eine Antwort", nämlich … Sie wissen schon. Nicht nur die Berliner Landes-SPD ist nach einer Klausurtagung überzeugt, dass gegen die Wohnungsnot nur das dreifache B hilft, auch die Bundespartei präsentiert auf ihrer Website "die beste Mietpreisbremse: Bauen, bauen, bauen".

Eine intensivierte Bautätigkeit als effektivste Maßnahme gegen explodierende Mietpreise wollen auch die Kommentatoren verschiedenster Medien erkannt haben. Diverse Volks- und Betriebswirte, Mietervereine und Immobilienlobbyisten benennen den Mangel an verfügbaren Angeboten unisono als zentrale Ursache für die grassierende Wohnungsnot in der Republik. Wenn liquide Highperformer aus der heruntergekommenen Bruchbude heraus- und in einen attraktiven Neubau in verkehrsberuhigter Spitzenlage umziehen, so die zentrale Annahme, könne der freigewordene Wohnraum von einkommensärmeren Menschen genutzt werden; durch diesen Sickerungseffekt regulierten sich Angebot und Nachfrage quasi von selbst und der angeheizte Markt entspanne sich, wenn nur genug gebaut, gebaut, gebaut werde.

Was da schlecht ins Bild passt? Fakten, Fakten, Fakten.

Denn "so überzeugend das Modell klingen mag, mit der empirischen Realität hat es kaum etwas zu tun", urteilen gut 200 WissenschaftlerInnen, die zu Wohnen und Stadtentwicklung forschen, in ihrem gemeinsamen Appell "Für eine wirklich soziale Wohnungspolitik". Wenn an der These etwas dran wäre, müssten die Mieten dort, wo besonders viel gebaut wird, sinken oder zumindest weniger stark steigen als anderswo. Das ist aber nicht der Fall.

So verweisen die ForscherInnen auf eine Studie der Schweizer Empira AG von 2018, die über einen Zeitraum von zehn Jahren verschiedene Einflussfaktoren auf die Mietpreisentwicklung in 80 deutschen Städten untersucht hat. Demnach würden zwar, wie sie im Appell ausführen, "durch den Umzug in einen Neubau immer Wohnungen frei, die etwas kleiner, etwas älter und etwas preiswerter sind". Weil aber die freiwerdenden Wohnungen bei der Neuvermietung meist teurer angeboten würden, müsse "im Ergebnis festgestellt werden, dass eine verstärkte Neubautätigkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht zu einer Ausweitung von bezahlbaren Wohnungsangeboten führt, sondern vielmehr die Ertragssteigerungen im Bestand beschleunigt". Während das Phänomen in Deutschland kaum untersucht sei, betonen die Forscher, dass sich die Ergebnisse der Empira mit internationalen Befunden, etwa von der University of Cambridge, decken. "Dagegen ist uns keine einzige empirische Studie zu angespannten Wohnungsmärkten bekannt, die Sickereffekte auf das Niveau bezahlbarer Wohnungsversorgung belegen kann."

Zwei Millionen Wohneinheiten stehen leer

Dass bauen, bauen, bauen reichen würde, entpuppt sich also als Fehlannahme und auf einen Effekt zu setzen, der sich nicht nachweisen lässt, ist ein bisschen Globuli. In ihrer Untersuchung kommt die Schweizer Empira AG zu dem Befund, dass vor allem die "Situation auf dem jeweiligen Arbeitsmarkt der Faktor mit der stärksten Korrelation zur Entwicklung der Mietpreise ist".

Ein Teufelskreis entsteht: In wirtschaftlich starken Regionen mit großem Zuzug wird verstärkt investiert, weil viel Rendite winkt – in Krisengebieten immer weniger, weil es hier nix zu holen gibt. Der steigenden Nachfrage in den Boom-Zentren stehen auch in der Bundesrepublik geisterstadtähnliche Landstriche gegenüber, wobei sich der Leerstand in Deutschland auf schätzungsweise zwei Millionen Wohneinheiten beziffert, die günstig wären, die aber niemand haben will. Dieser Umstand könnte, statt einer blinden Bauwut das Wort zu reden, Anlass sein, über gleichwertigere Lebensverhältnisse unabhängig vom Wohnsitz nachzudenken, die tatsächlich zu einer entspannteren Lage führen könnten und auch im Grundgesetz vorgesehen sind.

Doch die Probleme, die das Vertrauen in den Marktmechanismus hervorgebracht hat, sollen nun gelöst werden, indem man die Probleme dem Marktmechanismus anvertraut. Wie gut das funktionieren wird, ist abzusehen. Ob überhaupt ein ernsthaftes Interesse an einer preiswerten Versorgung der gesamten Bevölkerung besteht, darf angesichts des dauerhaft ausbleibenden Erfolgs bei strikter Weigerung, ideologische Glaubenssätze mit der empirischen Realität abzugleichen, bezweifelt werden. Unter anderem auch deswegen, weil tatsächlich wirksame Maßnahmen, die sich kurzfristig umsetzen ließen, nicht umgesetzt werden wollen – wie unter anderem die leidige Debatte um den Berliner Mietendeckel verdeutlicht.

Die Ministerin braucht keinen Mietendeckel

Eigentlich scheint die Lage klar: Erst verdoppeln sich die Mieten in der Hauptstadt innerhalb von zehn Jahren. Dann kommt der Deckel und sie sinken. Sebastian Hein vom Immobiliengutachter Value AG spricht von einer atypischen Entwicklung in Berlin und betont: "Es ist die einzige Top-7-Metropole, in welcher die Mieten spürbar sinken – wegen des Mietendeckels."

Die F+B Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt kommt in ihrem Wohnindex für das erste Quartal 2020 zu dem Befund, dass es an den Spitzenstandorten "wieder eine anziehende Mietdynamik" gebe. "Ganz anders in Berlin. Im Gegensatz zu den anderen deutschen Metropolen entspannt sich die Entwicklung der Angebotsmieten weiter. (...) Die durchschnittliche Angebotsmiete lag um 2,4 Prozent niedriger als vor 12 Monaten". Das Online-Portal Immowelt geht sogar davon aus, dass vom Mietendeckel betroffene Wohnungen innerhalb eines Jahres um acht Prozent günstiger werden, in einzelnen Stadtteilen sogar um bis zu 18 Prozent.

Natürlich sind dadurch nicht alle Probleme aus der Welt: Hinzuziehende haben es unter Umständen noch schwerer, eine Bleibe in der Hauptstadt zu finden, weil sich das Angebot nicht vergrößert, teils werden Mietwohnungen in Eigenheimwohnungen umgewandelt, zudem haben sich die nicht regulierten Neubauten laut Immowelt im Vergleich zum Vorjahr um 17 Prozent verteuert. Der Mietendeckel ist also weit davon entfernt, als Allheilmittel die über Jahrzehnte entstandenen Probleme am Wohnungsmarkt auszubaden. Aber als Mosaikstein könnte man es als Erfolg bewerten, wenn Durchschnittsmenschen, deren Mietkosten seit Jahren konsequent schneller steigen als ihr Einkommen, zur Abwechslung mal ein Stück weit entlastet werden. Nachdem sich, auf ihre Kosten, der Umsatz in der deutschen Immobilienbranche innerhalb eines Jahrzehnts verdoppelte.

Doch für Innenminister Horst Seehofer kommt ein Mietendeckel auf Bundesebene schon deswegen nicht in Frage, weil er "keine einzige neue Wohnung schafft", außerdem Investoren abschrecke und "die positive Entwicklung bei der Bautätigkeit" gefährde (was nicht einmal stimmt, denn in Berlin hat die Zahl der Baugenehmigungen nach Inkrafttreten des Mietendeckels um fast zehn Prozent zugenommen). Auch für Baden-Württemberg, mit der teuersten Mietstadt der Republik (Stuttgart) und der Stadt mit den am schnellsten steigenden Mieten (Freiburg), hat Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) einem möglichen Mietendeckel bereits im vergangenen Herbst eine klare Absage erteilt: "Eine staatliche Kontrolle und Deckelung von Mieten verursacht einen extremen bürokratischen Aufwand, schafft aber keine einzige neue Wohnung", ließ sie wissen. Ihrem Kollegen, Innenminister Thomas Strobl (CDU), muss das gut gefallen haben, denn er wiederholte den Satz wenige Wochen später wörtlich, als er bei den Immobilieneignern von Haus und Grund Singen vorsprach. Und er garnierte ihn mit einem Bonmot: "Dieser Deckel macht dem Wohnungsbau einen Dachschaden."

Den Bruch riskieren

Ob der Berliner Mietendeckel mit dem Grundgesetz der Republik vereinbar ist, ist umstritten. Die einen sagen so, die anderen so, je nachdem, wer das Gutachten beauftragt hat. Verschiedene Verfahren gegen das Gesetz aus der Hauptstadt liegen beim Verfassungsgerichtshof Berlin und beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vor. Teils geht es um unterschiedliche Fragestellungen: Einmal muss geklärt werden, ob ein solcher Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Eigentumsrecht verhältnismäßig und durch die Verfassung gedeckt ist. Zum anderen geht es formal darum, ob Berlin überhaupt eine Gesetzgebungskompetenz hat, sich so in das Mietrecht einzumischen. Sollte sich herausstellen, dass der Stadtstaat dies nicht darf, muss das wiederum nicht automatisch heißen, dass ein Mietendeckel an sich verfassungswidrig ist – aber dass es in die Kompetenz des Bundes fallen würde, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen.

In einem Urteil vom August 2019, damals zur Mietpreisbremse, stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass eine Miethöhenregulierung durch den Gesetzgeber "ein legitimes Ziel" sei, räumte breite Gestaltungsräume ein und betonte, dass es im öffentlichen Interesse liege, "durch die Begrenzung der Miethöhe bei Wiedervermietung der direkten oder indirekten Verdrängung wirtschaftlich weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen aus stark nachgefragten Wohnquartieren entgegenzuwirken". Im "Deutschlandfunk" bezeichnet Autor Panajotis Gavrilis den Berliner Vorstoß als "ein Wagnis mit ungewissem Ausgang", das "juristisch auf wackeligen Füßen" stehe. "Aber immerhin haben hier politische Akteure eines bewiesen: Mut. Immerhin nimmt Berlin die Beantwortung der 'sozialen Frage' wirklich ernst und handelt. Denn seien wir ehrlich: Alle Versuche wie die Mietpreisbremse waren bisher allenfalls Kosmetik, wirkungslose Instrumente."

Und wenn Berlin nicht darf, könnte immer noch die Republik dürfen. Angesichts der bekannt gewordenen Äußerungen zum Mietendeckel aus der Bundesregierung scheint jedoch mehr als fraglich, ob selbige sich in ihrer aktuellen Zusammensetzung zu einem solchen Schritt entschließen würde. Gegen das Drängen vom Juniorpartner SPD entschied sich die Bundesregierung Ende Juni dagegen, den Pandemie-bedingten Kündigungsschutz zu verlängern. Wer durch die Corona-Krise keine Einnahmen mehr hat, sollte wenigstens seinen Mietvertrag nicht verlieren. Doch damit ist seit Anfang Juli wieder Schluss. "Die Union hält eine Verlängerung der Ausnahmeregelung für das falsche Signal auf dem Weg zurück zur Normalität", berichtet der WDR. (min)


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2 Kommentare verfügbar

  • Claus
    am 02.08.2020
    Antworten
    Die Beton-Raffkes und Konsorten verhalten sich nicht nur zutiefst asozial, sondern zudem extrem klimaunfreundlich mit ihrer Zementmentalität. Und die Mörtelklauber in relevanten Politik- und Verwaltungspöstchen übersehen diesen absoluten Blödsinn vollkommen. Beton, Beton, Beton.
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