Ein Mann randaliert in einem Stuttgarter Schnellimbiss. Zwei Zeugen mit Migrationshintergrund rufen die Polizei. Die kommt, und als erstes kümmern sich die Beamten nicht um den bedrängten Mitarbeiter hinter der Theke. Sondern? "Sie packen einen der beiden dunkelhäutigen Anrufer", berichtet Bea Böhlen über einen jener Fälle, die in ihrem Büro in den vergangenen Monaten eingegangen sind. Die Bürgerbeauftragte des Landes Baden-Württemberg sieht das harte Urteil der SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken, es gebe strukturellen Rassismus bei der Polizei, durch ihre Arbeit bisher nicht bestätigt. Sie sehe aber sehr wohl Bereiche, sagt die frühere Grünen-Landtagsabgeordnete, mit noch "viel Luft nach oben".
Leichter würde sich die Aufarbeitung polizeilicher Fehl- und Übergriffen gestalten, wenn umgesetzt worden wäre, worauf sich Grüne und SPD vor dem Hintergrund des Schwarzen Donnerstags von 2010 in ihrem Koalitionsvertrag im April 2011 geeinigt hatten. "Wir werden eine individualisierte anonymisierte Kennzeichnung der Polizei bei sogenannten 'Großlagen' einführen, unter strikter Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Polizistinnen und Polizisten", heißt es auf Seite 66. Die den Innenminister stellenden Sozialdemokraten mochten das Versprechen aber nicht erfüllen. 2015 wurde als schaler Kompromiss die Einrichtung des oder der Bürgerbeauftragten beschlossen für Beschwerden aller Art zur Arbeit der Landesverwaltung, aber eben auch der Polizei.
Die CDU schäumte, der damalige Fraktionschef Peter Hauk sprach von einer "linken Machenschaft", getragen von tiefem Misstrauen gegen die Polizei. Als die Union ein Jahr später die Regierung mit den Grünen einging, musste sie das Amt aber wohl oder übel schlucken, zumal der Koalitionspartner als ersten Beauftragten Volker Schindler aufbot, den früheren Vizepräsidenten im Aalener Polizeipräsidium. Schon in seinem ersten Jahresbericht hob er nicht nur die Bedeutung seiner Aufgabe hervor, sondern listete feinsäuberlich die Eingaben zum Thema Polizei auf.
Die Fehlerkultur soll positiv sein
Aus der Gesamtschau des Innenministeriums von 2015 bis heute stechen mehrere Aspekte heraus: 25 der insgesamt 155 aufgelisteten Fälle datieren aus den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres. Würde sich der Trend bestätigen, müsste erst recht genau hingeschaut werden. Zum Beispiel nach Reutlingen, mit zwei noch ungeklärten Fällen in den vergangenen Monaten. Oder nach Ravensburg, wo zwei Petitionen laufen, weil Betroffene sich nicht damit abfinden wollen, dass ihre Beschwerden in der Kategorie "Diskriminierung ethnischer Herkunft" als aufgeklärt und erledigt abgeheftet werden. Ginge es allein nach der politischen Führung im Hause Thomas Strobl (CDU), wären weitere Recherchen sinnlos. Denn wie sein Staatssekretär Wilfried Klenk erläutert, gebe es bereits in der Ausbildung Maßnahmen, "damit Rassismus und Diskriminierung in die polizeiliche Arbeit auch weiterhin keinen Eingang finden".
1 Kommentar verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 28.07.2020Das tiefe Misstrauen hat eine lang andauernde Vorgeschichte - ZEIT ONLINE
2012, Sept. – Nov. 2013 Serie Polizeigewalt mit 9 Artikeln https://www.zeit.de/serie/polizeigewalt
2012,…