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Neuer Stadtraum B14

Brandbrief an die Stadt

Neuer Stadtraum B14: Brandbrief an die Stadt
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Abgang mit Ärger: Das holländische Architekturbüro KAW steigt beim "Neuen Stadtraum B14" aus. Geschäftsführer Reimar von Meding will nicht mehr nach Stuttgart fahren, um sich mit Formalitäten und bürokratischem Abhandeln herumzuplagen.

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"Etwas schweren Herzens wende ich mich an Sie", schreibt Reimar von Meding in gleich lautenden und Kontext vorliegenden Briefen an Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn, Baubürgermeister Peter Pätzold und Markus Müller, den Präsidenten der Architektenkammer des Landes. Von Meding ist leitender Architekt und Geschäftsführer im niederländischen Büro KAW, das als eines von 24 zum städtebaulichen Wettbewerb "Neuer Stadtraum B14" eingeladen war. Nun teilt der KAW-CEO mit: "Wir haben uns gerade erst dazu entschieden, keinen Beitrag einzureichen."

Kommentar:

Unwillig und missmutig

Dass insbesondere kleinere Architekturbüros von Wettbewerben zurücktreten, weil ihre Kapazitäten begrenzt sind und sie zwischenzeitlich andere Aufträge erhalten haben, kommt vor. Dass aber ein großes, erfolgreiches Büro, das sich bereits intensiv in die Materie eingearbeitet hat, einen mehrseitigen Brief schreibt, um diesen Schritt zu begründen, deutet darauf hin, dass es sich hier nicht um ein Problem des Büros, sondern des Verfahrens handelt. Eigentlich lässt sich daraus nur folgern, dass die Verwaltung, die den Wettbewerb vorbereitet hat, nicht hinter dem Gemeinderatsbeschluss steht und ihn daher nur unwillig und missmutig ausführt. Wenn dem so sein sollte, wären in der Tat Kuhn oder Pätzold gefordert, diesen Missständen, die ein Architekt wie von Meding scharf kritisiert, so schnell wie möglich abzuhelfen.  (dh)

KAW – der Name bedeutet Kollektiv Architektur-Werkstatt – ist ein 1976 gegründetes Büro mit rund 70 Mitarbeitern und Niederlassungen in Groningen, Rotterdam und Eindhoven. Zu den Spezialgebieten gehören neben Wohn-, Schul- und Städtebau, Untersuchungen und Konzepte zur ökologischen Stadtentwicklung. KAW war auch als eines von fünf Büros am Ideenworkshop der Initiative Aufbruch Stuttgart beteiligt. Die Präsentation zeigt, wie das Büro arbeitet.

KAW geht vom gesamtstädtischen Zusammenhang aus: Anders als Rotterdam liegt Stuttgart in einem engen Tal mit vielen Autos. Milliardensummen sind für Opernsanierung und Infrastruktur vorgesehen. Dagegen fehlt Wohnraum, der Sozialbereich darbt, und die Baupolitik trägt zum Klimawandel maßgeblich bei. "Quer denken" steht doppelsinnig auf einer Folie, gemeint ist auch die Querrichtung zur B14, die Stuttgarter Stäffele. Zentrale Idee der Architekten für die "Kulturmeile" war eine als See ausgebildete breite Brücke von der Staatsgalerie hinüber zur Rückseite der Staatstheater. "Man muss schießen, sonst kann man kein Tor machen", steht auf der letzten Folie.

Ein Ideenworkshop ist noch kein Wettbewerb. Er kann Ansatzpunkte aufzeigen und Anstöße geben, sollte aber nicht mit einem fertigen Planungskonzept verwechselt werden. Immerhin stünde die Idee von KAW nicht im Widerspruch zur umstrittenen Verlängerung der Unterfahrung des Gebhard-Müller-Platzes, die der Gemeinderat erst vor sechs Wochen beschlossen hat, auch wenn kaum zu erkennen ist, wie das Ziel einer Reduzierung des Autoverkehrs um 50 Prozent damit erreicht werden kann.

Kann man eine kaputtgeplante Stadt reparieren?

"Wir hätten die momentan im Allgemeinen etwas erschwerten Umstände gerne in Kauf genommen", schreibt nun von Meding, "wären da nicht die extrem ungünstigen Voraussetzungen gewesen, die die Stadt für diesen Wettbewerb geschaffen hat." Die grundlegende Frage für die Stadt Stuttgart sei, "wie man vom Auto wegkommt. Wie man eine kaputtgeplante Stadt reparieren kann, ohne die gleichen Fehler auf anderen Ebenen nochmal zu machen."

Für diese grundlegende Frage habe die Stadt Stuttgart ein unpassendes Verfahren gewählt. Der Architekt bemüht sich, zu begründen, warum sein Büro trotzdem zugesagt habe: Weil "es nicht in unserer Art liegt, aufzuhören, sondern eher weiter- und möglich zu machen. … Und gerade von dieser kreativen Einstellung sollen Sie ja auch profitieren." Aber er sei doch erschrocken angesichts der hohen Zahl von 24 Teilnehmern. Von Meding macht die Rechnung auf, dass ein Wettbewerbsbeitrag die teilnehmenden Büros jeweils rund 100.000 Euro koste, sodass insgesamt Planungskosten von 2,4 Millionen entstünden, die durch das Preisgeld aber nur zu zehn Prozent abgedeckt seien. "Unternehmerisches Risiko ist immer dabei", schreibt er, "aber dies grenzt an Ressourcenverschwendung."

"Solch eine fehlende Vorauswahl wirkt wie Entscheidungslosigkeit", moniert der Architekt: "Als ob man alles abgreifen möchte, um ja nichts zu verpassen." Bei einer solchen Aufgabenstellung, bei der die Rahmenbedingungen enge Grenzen setzen, sei vorherzusehen, dass zwar 24 Entwürfe, aber nur drei bis vier grundsätzlich verschiedene Lösungsansätze zustande kämen. Da sei es doch besser, gleich nur fünf Büros einzuladen.

Vor allem aber kritisiert von Meding, dass das Wettbewerbsverfahren die Teilnehmer in der Entfaltung ihrer Ideen einschränke. "Es wurde ein Kolloquium eingerichtet", schreibt er, "Teilnahme war Pflicht. Ich habe 24 Stunden investiert, um nach Stuttgart zu kommen. Nur um Formalitäten anzuhören, die schon vorher klar waren." Das hatte sich der Architekt anders vorgestellt: "Ich hatte aufgrund der Wichtigkeit eine gute und eindrucksvolle Einführung erwartet", so der Architekt, "aber es war ein rein bürokratisches Abhandeln."

Lieber penible Vorgaben als große Gedanken

Auf der anderen Seite werde den Teilnehmern völlig unnötige Arbeit aufgebürdet: "Uns hat erschreckt, dass 24 Büros eingeladen werden, aber zum Beispiel einfachste Grundlagen wie ein Geländeschnitt nicht mitgegeben sind. Es wurde ernsthaft erwartet, dass 24 Büros alle nebeneinander für sich selbst solche Grundlagen erstellen. Während die Stadtverwaltung all diese Daten ja hat." Von Meding moniert auch die Verlängerung der Unterfahrung, wenn er schreibt: "Auch sind nur sehr ungenügende Angabe gemacht worden zu bereits beschlossenen Plänen, die in Kürze ausgeführt werden sollen."

Diesem laxen Umgang mit dem eigentlichen Thema des Wettbewerbs stünden penible Vorgaben zu den Formaten der abzugebenden Blätter gegenüber. "Das bedeutet auch, dass alleine durch die Festsetzung der Darstellung große Gedanken ausgeschlossen sind. Hier fehlt uns das Bewusstsein dafür, dass die Art der Darstellung auch etwas mit Inhalt zu tun hat und bestimmte Inhalte in solchen Formaten einfach nicht zu transportieren sind." Auf Details werde offenbar mehr Wert gelegt als aufs große Ganze. "Es muss aber doch darum gehen, ein ganzheitliches Konzept zeigen zu können, an dem die Stadt ihre Identität neu ausrichten kann und woran sie sich für Jahrzehnte orientieren kann. Wir haben deshalb in unserem Büro in Rotterdam ein riesiges Modell von Stuttgart gebaut, um eine neue Lesart der Stadt zeigen zu können. Das dürfen wir Ihnen faktisch gar nicht zeigen."

KAW würde sich "im Dienste der Stadt" ein anderes Wettbewerbsverfahren wünschen. Von Meding bietet weiterhin seine Hilfe an: "Sie können davon ausgehen, dass wir unsere inhaltlichen Erkenntnisse mit Stuttgart teilen werden. Dazu haben wir so wichtige Dinge zu sagen, dass wir denken, es lohnte sich das sowieso zu tun. Zur Not ist das einfach unser Geschenk an die Stadt." Aber: "Im laufenden Verfahren werden wir unseren Beitrag nicht machen."


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4 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 08.07.2020
    Antworten
    Ärger im Umgang mit den Stadt-Oberen, das ist in Kontinuität bereits seit Jahrzehnten so zu erleben! [1]

    Meine Anmeldung zur Veranstaltungsreihe „Zukunftsfelder für den Wirtschaftsstandort Stuttgart“
    im Juli 2012
    Mi. 04. Nachhaltige Technologien
    Di. 10. Wissen für morgen
    Dieser…
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