KONTEXT:Wochenzeitung
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Die Autoindustrie regiert durch

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Massive Angriffe auf mühsam errungene Erfolge im Windschatten der Corona-Krise beklagt die Deutsche Umwelthilfe. Kontext hat deren Geschäftsführer Jürgen Resch zum Autogipfel und zu den Fahrverboten in Stuttgart befragt.

Herr Resch, seit Mitte März gibt es in den Medien eigentlich nur noch ein Thema. Fragt noch jemand nach Ihnen?

Ja, im Moment sehr stark, beispielsweise aktuell zur Rückenstärkung durch den Europäischen Gerichtshof. Dessen Generalanwältin hat soeben unsere Rechtsauffassung zur Illegalität praktisch aller Euro-5- und Euro-6-Dieselfahrzeuge bestätigt. Wir erleben auch in den letzten Wochen, dass viele Menschen erschrocken sind, wie Industriekonzerne im Windschatten von Corona versuchen, die Uhr beim Klimaschutz, Grundwasserschutz und bei der Luftreinhaltung zurückzudrehen.

Zum Autogipfel: Die Autoindustrie hat versucht, auf eine Neuauflage der Abwrackprämie hinzuwirken.

Der Gewinn vor Steuern Daimler, VW und BMW betrug in den letzten zwei Jahren 66 Milliarden Euro – trotz aller Rückstellungen für die Abwicklung von Dieselgate. Allein im letzten Jahr wurden 8,2 Milliarden Euro an Dividenden ausgezahlt. Es ist nachgerade unanständig, erneut vom Staat Steuermilliarden für Kaufprämien einzufordern. Dass selbst die Stuttgarter Diesel-Grünen um Ministerpräsident Kretschmann den Kauf schmutziger Verbrenner mit Steuergeldern gefördert sehen wollen, zeigt die symbiotische Verschmelzung der Autokonzerne mit den Regierungen.

Was sollten die Hersteller Ihrer Meinung nach tun?

Die Automobilindustrie muss wie andere Branchen ihren Strukturwandel hin zu rein elektrischen Antrieben erst mal selbst finanzieren. Sie hat hierfür ausreichend Finanzmittel. Renault hat gerade entschieden, sich in China von der Produktion von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor komplett zu verabschieden. BMW, Daimler und VW müssen schnellstmöglich ihre Überkapazitäten bei der Produktion von Verbrennern abbauen und endlich mit der Entwicklung und dem Bau konkurrenzfähiger Elektrofahrzeuge beginnen. Ein weiteres Geschäftsfeld könnten ÖPNV-Fahrzeuge sein. Hier könnte Deutschland mit seinem Knowhow wirklich durchstarten.

Der elektrische Antrieb ist aber auch kein Allheilmittel.

Da haben Sie völlig recht, bei schweren Nutzfahrzeugen werden wir noch einige Jahre länger Verbrenner sehen. Bei Pkws und leichten Nutzfahrzeugen haben aber nur noch emissionsfreie batterieelektrische Fahrzeuge eine Marktberechtigung. Neben dem Ausstieg aus dem Verbrenner sollte sich die hiesige Automobilindustrie schwerpunktmäßig auf den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs konzentrieren. Deutschland sollte sich als Staat verstärkt auf die Schiene konzentrieren und sich verbindlich erklären, bis 2030 die Elektrifizierung des Schienennetzes von aktuell ca. 60 auf 100 Prozent zu erhöhen. Die Schweiz hat bereits seit Ende der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts über 99 Prozent ihrer Schienenstrecke elektrifiziert. Die Kraftfahrzeugindustrie könnte für die Schiene, auch für die Straße, für den ÖPNV und für umweltfreundlichen Gütertransport produzieren.

Macht der elektrisch betriebene Pkw da überhaupt noch Sinn?

Jede Technologie hat Vor- und Nachteile. Kobalt und Lithium sind die zu lösenden Themen der Elektromobilität – Erdöl und Erdgas das zu lösende Thema der Verbrennermotoren. Alle neutralen Studien zeigen aber - selbst bei dem aktuell hohen Kohlestromanteil - die eindeutigen Vorteile für die Eletromobilität. Der ökologische Rucksack von Diesel- und Benzin-Pkws ist deutlich schwerer: Umweltbelastung durch die Ölförderung, Ölpipelines, Raffinerien, aber auch viele seltene oder problematische Metalle und Beschichtungen werden gern unterschlagen, wenn sehr plakativ auf die Belastung rund um Kobalt aus dem Kongo verwiesen wird. Beim Merkel-Gipfel fordert nun die Autoindustrie einen Fall-Back und finanzielle Förderung von 3.000 Euro für beliebig spritdurstige Diesel-SUVs. Hoffentlich widersteht die Bundesregierung dem Druck und verweigert BMW, Daimler und VW weitere Kaufprämien. Diese würden nicht nur allen Verpflichtungen zum Klimaschutz zuwiderlaufen, sondern die Automobilindustrie in eine gänzlich falsche Richtung lenken. Dies wäre ein Danaergeschenk, um nochmal ein paar Monate oder Jahre Produkte zu produzieren, die die Welt nicht braucht. Die Politik sollte sich überlegen: Wie kann ich der Industrie klarmachen, diese Krise als Chance zu betrachten, und sie dazu bewegen, noch schneller aus dem Verbrenner auszusteigen.

Dividenden aus Steuermitteln sind aber vom Tisch?

Die Diskussion über einen Verzicht auf Dividendenzahlungen bei gleichzeitig Milliarden Kaufprämie halte ich für ein durchsichtiges Manöver, der Industrie ein "Opfer" abzuringen und dann Milliarden an Steuermitteln zu erhalten. Ich halte Kaufprämien sowieso für das falsche Instrument. Warum keine Kaufprämien bei Büchern, warum kein Jahresticket für den ÖPNV?

Aber Dieselöl ist immer noch steuerbegünstigt?

Wir haben an vielen Stellen Fehlallokationen in der Gesetzgebung, besonders ärgerlich die jährlich rund acht Milliarden Euro Subvention bei der Dieselbesteuerung. Ich mache mir persönlich große Sorgen um den Fortbestand der Arbeitsplätze in der deutschen Automobilindustrie. Diese Fehlsteuerung hin zu spritdurstigen Monster-SUVs hat dazu geführt, dass heute Tesla einen höheren Börsenwert hat als Daimler, Volkswagen und BMW zusammen. Das ist keine Blase, sondern eine vorsichtige Bewertung dessen, was sich in den nächsten Jahren noch einmal verstärken wird.

Was sagt Daimler dazu?

Ich habe vor einem Dreivierteljahr Herrn Källenius die Frage gestellt, ob er schon mal in einem Tesla Model 3 saß. Er zögerte mehrere Sekunden und sagte dann ja, mehrfach. Meine Antwort: Sie haben sieben Jahre Rückstand: in der Architektur, in der Software, in der künstlichen Intelligenz, die dort jetzt in über einer Million Fahrzeuge ununterbrochen neue Daten sammelt. Und der vergrößert sich von Tag zu Tag. Die alte Technik weiter zu perfektionieren, das erinnert mich an die Endphase der Dampflokomotive, als es schon Elektroloks gab, und an den verzweifelten Versuch der Gewerkschafter, den Heizer als Arbeitsplatz zu erhalten.

Kommen wir zu Stuttgart: Ausgerechnet Umweltminister Franz Untersteller hat Ende März gesagt, mit dem Rückgang des Verkehrsaufkommens infolge der Corona-Krise sei das Thema der Fahrverbote am Neckartor "abgehakt".

Wir sehen in Stuttgart ganz nüchtern, wer regiert. Es sind nicht die Diesel-Grünen in der Staatskanzlei, sondern die Chefs von Daimler, VW und Bosch. Tatsächlich ist es im Ländle irrelevant, welche Partei die Regierung stellt. Die Autokonzerne regieren hier durch. Kretschmann hat anfangs ja mal gesagt, jedes Auto weniger auf der Straße sei gut für die Umwelt. Er wurde auf die Knie gezwungen und Daimler hat ihm bis heute nicht erlaubt, wieder aufzustehen und mit durchgestrecktem Rücken der Automobilindustrie entgegenzutreten.

Laut Gerichtsbeschluss muss das Land ab 1. Juli in den am stärksten belasteten Zonen Stuttgarts Fahrverbote auch für Euro-5-Diesel einführen.

Das ist die Interpretation des Landes, die wir nicht teilen.Wir haben einen rechtskräftigen Beschluss vor dem Bundesverwaltungsgericht im Februar 2018 erwirkt, der besagt, dass Stuttgart spätestens zum 1. September letzten Jahres ein flächendeckendes Euro-5-Fahrverbot hätte erlassen müssen.

Verkehrsminister Winfried Hermann hat nun aus aktuellen Gründen – mit einer passenden Metapher – um eine "Atempause" gebeten.

Nein – gerade jetzt muss das Land eine konsequente Luftreinhaltepolitik betreiben. Wir haben durch das am Neckartor seit Jahresbeginn geltende Dieselfahrverbot für Euro 5 und zwei Sondereffekte – im Februar viel Wind und Regen und ab Mitte März weniger Verkehr durch Covid-19 – zum allerersten Mal eine Grenzwerteinhaltung. In der Pragstraße, wo es kein Euro-5-Fahrverbot gibt, lag der Wert aber im ersten Quartal 2020 noch bei 49 Mikrogramm, also 9 Mikrogramm oberhalb des Grenzwertes. Diese Zahlen belegen, dass das Dieselfahrverbot kommen muss und wird. Gerade während der Corona-Pandemie müssen wir die saubere Luft für die Menschen im gesamten Stadtgebiet sicherstellen.

An der B14 mag es etwas weniger sein. Aber sonst sitzt derzeit jeder im Auto, und zwar möglichst allein.

Die Situation ist tatsächlich prekär. Wir haben einen Einbruch im ÖPNV im Bundesgebiet von über 70 Prozent. Das heißt, viele Menschen, die sich bis jetzt an den in Deutschland und in Stuttgart unbeliebten, nicht prioritär betrachteten ÖPNV gehalten haben, entscheiden sich heute, im Auto zur Arbeit zu fahren, und belasten damit zusätzlich die Städte. Es droht die Gefahr, dass nach dem Ende der Bewegungsbeschränkungen sogar mehr Pkw durch Stuttgart fahren und die Belastung der Atemluft mit dem Dieselabgasgift NO2 weiter steigt. Wir erleben aber auch eine Zunahme der Fahrradnutzung.

Temporäre Radwege in Stuttgart

"Dass jetzt alle die, die mit Bus und Bahn zur Arbeit fahren, einfach aufs Auto umsteigen sollen, kann keine Lösung für die Fahrverbotestadt Stuttgart sein", so die Initiative Zweirat, die bereits am 30. März die Stadt Stuttgart aufgefordert hat, an den mehrspurigen Hauptverkehrsstraßen temporär eine Spur für den Radverkehr abzutrennen. Am Sonntag, dem 26. April, zeigte sich die Stadt nun bereit, für wenige Stunden mittels Pylonen (amtlich: Leitkegel, auch Hütchen oder Warnkegel genannt), von der König-Karls-Brücke an, einen 700 Meter langen Radweg von der Mercedesstraße abzutrennen.

Die Forderung von Zweirat gilt auch und gerade für die zentralste der Hauptverkehrsstraßen, die B14, die in Stuttgart den Cityring bildet. Beim Wettbewerb für die Neugestaltung der B14 wurde der Abgabetermin vom 24. April auf den 15. Juli verschoben. Statt Ende Mai soll das Preisgericht nun Mitte September tagen.  (dh)

Im Wettbewerb der Stadt Stuttgart zur Neugestaltung der B14 ist eine durchgängige Fahrradspur vorgesehen.

In allen Städten gibt es solche Planungen. Sie dauern für gewöhnlich fünf bis zehn Jahre. Wir haben in Stuttgart beantragt, dass temporäre Fahrradwege innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen eingerichtet werden. Wir haben 202 Städte dazu aufgefordert, auch Stuttgart.

Und die Reaktion?

Vom Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter bekam ich einen vierseitigen Brief, er hat große Sympathien zum Ausdruck gebracht. Der Stuttgarter beigeordnete Bürgermeister Pätzold hat unseren Antrag bräsig abgelehnt: Die Stadt mache genug, und man haben auch nicht die Leute, noch mehr Fahrradwege einzurichten. Ich finde klasse, dass jetzt die Fahrradaktivisten, direkt vor der Daimler-Zentrale, einen Radweg einfach mit dem Pinsel eingerichtet und die Stadt gezwungen haben, sich doch nochmals mit unserem Antrag zu beschäftigen. Offensichtlich geht es in Stuttgart nicht anders als durch zivilgesellschaftlichen Druck. Ich bin gespannt, ob eine angeblich grün mitregierte Stadt es schafft, das wenigstens mal bestehen zu lassen. Stuttgart ist auf dem Weg, zum Detroit Deutschlands zu werden. Sie sollten sich ein bisschen aus der Umklammerung der Dieselindustrie befreien und schauen, wie sie es schaffen, eine Veränderung hinzubekommen.

Was machen andere Städte?

Berlin, Köln oder Düsseldorf folgen unseren Anregungen. Berlin ist eigentlich bekannt für nicht allzu schnelle Umsetzungen. Als wir die Diesel-Fahrverbote in Berlin vor Gericht durchgesetzt haben, sagte die Verwaltung, zehn Monate Zeit für das Bestellen von Schildern sei zu kurz. Aber jetzt, bei den Pop-up-Fahrradwegen, ist es Berlin gelungen, von der Idee über Behördenbeteiligung, Planungsprozess, ordentliche Bewilligung, Beauftragung der Einrichtung und Eröffnung innerhalb von 48 Stunden alles hinzubekommen. Am Tag der Eröffnung waren die Leute so begeistert, dass Berlin jetzt Bezirk für Bezirk 21 Kilometer beschlossen und bereits 15 neu eingerichtet hat.

Steht die Anerkennung der DUH als gemeinnützige Organisation noch in Frage?

Nein, das zuständige Finanzamt hat vor nicht allzu langer Zeit seine intensive Prüfung abgeschlossen und uns für fünf weitere Jahre den Freistellungsbescheid erteilt. Gerade die Autohersteller und der Autohandel wehren sich seit über zehn Jahren dagegen, von der DUH kontrolliert zu werden, ob sie umweltbezogene Verbraucherschutzvorschriften einhalten. Alle Vorwürfe, die die Branche vorgebracht hat, wurden im vergangenen Jahr letztinstanzlich vor dem Bundesgerichtshof zurückgewiesen: Wenn in Deutschland der Staat bei umweltbezogenen Verbrauchervorschriften keine Kontrolle vornimmt, dann muss eine damit beauftragte Organisation – und wir haben einen staatlichen Auftrag – dies wahrnehmen. Ich finde es interessant, dass das Land Baden-Württemberg, in dem ja nun die Grünen auch schon seit einigen Jahren tätig sind, es bis heute nicht wagt, bei schwerwiegenden Verstößen Bußgelder gegen die Automobilindustrie zu erlassen.

Wie das?

Nach einem schwerwiegenden Verstoß mit millionenfachem Betrug bei der Einführung der Daimler-S-Klasse, der auch gerichtsfest wurde, habe ich an Franz Untersteller und Fritz Kuhn geschrieben – weil die gegenseitig aufeinander verwiesen haben – und die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens gefordert. Ein Jahr später hat man mir jemanden an den Bodensee geschickt, der mir versuchte zu erklären, dass man sich nach langer Prüfung dagegen entschieden habe. Man wolle einen wichtigen Arbeitgeber, ein wichtiges Unternehmen in Baden-Württemberg "nicht verärgern". So viel zum Selbstverständnis des grünen Teils der Landesregierung gegenüber der Automobilindustrie. Ich fordere eine Rückbesinnung auf demokratische Spielregeln: dass souverän nicht das Großunternehmen ist, sondern der gewählte Volksvertreter, und dass die Regierung mit dem Parlament sinnvolle Regelungen für die Bevölkerung trifft.

 

Nachtrag: Erst nach Redaktionsschluss (und Tage nach dem Interview) hat Kontext erfahren, dass der zuständige Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik am Dienstag, den 5. Mai die Einrichtung von 1,5 Kilometer temporärer Radwege beschlossen hat.


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3 Kommentare verfügbar

  • Peter Nowak
    am 11.05.2020
    Antworten
    Als bekennender Fußgänger ohne Fahrlizenz ist mir das Bestreben, den Autoverkehr zu drosseln, sehr sympathisch. Trotzdem hätte ich mi kritischere Fragen zum Agieren der Umwelthilfe gerade in einer Zeitung wie Kontext gewünscht. Dazu gehört die Frage, ob die Umwelthilfe nicht eher zur Abmahnagentur…
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