KONTEXT:Wochenzeitung
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Experte wider Willen

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Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha lebt seit Montag in Quarantäne. Nach Kontakten mit einer möglicherweise Corona-infizierten Person. Mit Kontext sprach er virtuell über strikte Maßnahmen und geschlossene Krankenhäuser.

Herr Lucha, wie geht es Ihnen?

Ich fühle mich gesund und fit, habe keine Symptome. Und ich kann – wie die Kanzlerin – meinen Amtsgeschäften in vollem Umfang nachkommen. 

Und angesichts der Steigerungsraten?

Natürlich blicke ich auf die mit Sorge. Aber gleichzeitig erlebe ich auch diese Welle der Solidarität, die jetzt durch unser Land geht, von der Wirtschaft bis zu vielen Ehrenamtlichen und wie mit den drastischen Maßnahmen, die wir in enger Abstimmung mit dem Bund beschlossen haben, umgegangen wird. Die sind richtig und notwendig, denn nur so können wir das Infektionsgeschehen abbremsen. 

Stichwort: drastische Maßnahmen. Der Landtag von Baden-Württemberg hat am 5. Febuar auf Antrag der Grünen erstmals über Corona debattiert. Ist die Zeit seither richtig genutzt worden? 

Wir haben die Weichen in Baden-Württemberg wirklich früh gestellt. Wenn ich beispielsweise daran denke, wie wir notwendige Testkapazitäten im Landesgesundheitsamt frühzeitig ausgebaut und die entsprechende Diagnostik beschafft haben. Noch im Januar haben wir Proben von Verdachtsfällen zur Analyse nach Berlin schicken müssen. Das klingt heute wie aus einer anderen Zeit. Und auch unsere Pandemiepläne haben wir frühzeitig überarbeitet. Aber es stimmt, was leider immer stimmt, bei epidemischen Geschehen: Die lassen sich nicht in allen Einzelheiten vorhersehen.  

Was hätte besser laufen können oder sogar müssen?

Sicherlich wird auch Baden-Württemberg aus dieser Krise lernen. Das werden hoffentlich alle. Aber jetzt stecken wir mittendrin, und jetzt ist nicht die Zeit für Bilanzen und Manöverkritik.

Dann anders herum und um nochmals auf den 5. Februar zu kommen. Fühlen Sie sich als Mahner, der nicht rechtzeitig gehört wurde?

Das würde ich nicht sagen. Wir alle lernen jeden Tag. Wir erwägen heute Dinge, an die wir gestern noch nicht gedacht haben, und morgen beschließen wir sie. Ich bin mir sicher, dass im Januar wohl niemand diese drastischen Einschnitte für unser aller Leben absehen konnte.

Das föderale Deutschland ist von verschiedenen Seiten unter Druck, weil ein Flickenteppich der Maßnahmen entstanden ist. Stimmt das?

Der Föderalismus funktioniert. Und er macht Sinn. Gerade bei so dynamischen Geschehen wie Pandemien gibt es eben einen Unterschied, ob es um Hamburg oder Hechingen geht. Die Akteure in den Ländern können die Situation vor Ort doch viel besser einschätzen und je nach Lage unterschiedlich reagieren. Auch die gemeinsamen Leitlinien, die wir mit dem Bund verabschiedet haben, zeigen, dass das Zusammenspiel der Bundes- und der Landesebene funktioniert.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist mehrfach vorgeprescht, andere Bundesländer haben nachgezogen, darunter auch Baden-Württemberg.

Bayern ist halt Söder – und Baden-Württemberg steht unter der Führung von Ministerpräsident Kretschmann für das Herbeiführen von Einvernehmen. Wir haben die Situation hier in unserem Land gemeinsam mit den Expertinnen und Experten, die jeden Tag eine tolle Arbeit leisten, stets mit Bedacht und Vernunft, ohne Panik und Aktionismus, akribisch analysiert und die für Baden-Württemberg notwendigen Maßnahmen ergriffen. Das ist nicht so daher gesagt. Das stimmt. Genauso wie es stimmt, dass wir in enger Abstimmung mit dem Bund und den anderen Ländern vorgegangen sind – ausdrücklich auch mit Bayern. 

Dann widersprechen Sie auch allen, die meinen, die Länder hätten Kompetenzen an den Bund abtreten müssen? 

Stimmt, die Einigung vom Sonntag beweist für mich das Gegenteil.

Sie haben bundesweit für Furore gesorgt mit dem Satz: "Unser Problem heißt nicht Iran, sondern Ischgl", die Après-Ski-Partys hätten ein ganz schweres Problem ins Land gebracht. Inzwischen gibt es in Tirol sehr scharfe Maßnahmen und in Österreich flacht die Infektions-Kurve leicht ab. 

In der öffentlichen Debatte wurde häufig suggeriert, man müsse in Deutschland einfach nur die Flughäfen dicht machen, weil das Problem aus dem weit entfernten Ausland zu uns komme. Die Erkenntnisse zeigen aber, dass dem nicht so ist. Es liegt an unserem eigenen Verhalten, ob und wie wir aus der Krise kommen. Auch Deutschland hat wie Tirol scharfe Maßnahmen ergriffen, deren Wirkung jetzt abzuwarten ist. Die Politik kann Verordnungen machen und Erlasse herausbringen – Erfolg werden wir nur haben, wenn die Bürgerinnen und Bürger mitziehen und Selbstverantwortung walten lassen.  

Die Aufarbeitung der Krise wird lange dauern. Eine intensive Debatte dürfte sich darum drehen, dass unsere Krankenhäuser mit dem Fallpauschalen-System, dem daraus resultierenden Kostendruck und nicht zuletzt auch einer Privatisierungswelle überzogen worden sind. 

Bei uns in Baden-Württemberg kann im Vergleich zu anderen Bundesländern von einer Privatisierungswelle nun wirklich keine Rede sein. Das Land investiert enorme Summen in die baden-württembergischen Kliniken. Alleine in diesem Jahr über 511 Millionen Euro.

An der Kritik am Gesundheitswesen, ganz abgesehen von einer Krise, ändert das aber wenig. War es, um ein vieldiskutiertes Beispiel zu nehmen, falsch, kleine Krankenhäuser im Land zu schließen?

Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir stärker sektorenübergreifend denken müssen. Gesundheitsförderung und Prävention, kurative Versorgung, Rehabilitation, Pflege, palliative Versorgung und natürlich auch die ehrenamtlichen Strukturen – das alles müssen wir zusammendenken In Baden-Württemberg soll, unabhängig von der Größe eines Krankenhauses, jede Bürgerin und jeder Bürger zum richtigen Zeitpunkt die optimal abgestimmte Behandlung bekommen.  

Sie öffnen aber gerade wieder welche, die noch nicht abgerissen sind und leer stehen. 

Richtig ist, dass wir uns angesichts der Situation Gedanken darüber machen, wie wir Kapazitäten hochfahren können, die wir im Normalbetrieb sonst nicht benötigen. Dazu gehört auch, die bestehende Infrastruktur bestmöglich zu nutzen. Dies führt aber nicht dazu, dass in ganz Baden-Württemberg plötzlich längst geschlossene Krankenhäuser dauerhaft wiedereröffnen.

Wie sind die Menschen in Baden-Württemberg nach Ihrem Eindruck mit dieser Bewährungsprobe zurechtgekommen? 

Wir in Baden-Württemberg sind bekannt für unseren starken und stabilen gesellschaftlichen Zusammenhalt. Zusammenhalt heißt jetzt für uns alle: Abstand halten, sich eine Zeit lang zurückziehen. Ich möchte allen Menschen danken, die sich in dieser Krise engagieren und einbringen. Da ist die Studierende, die jetzt in einer Klinik hilft, der Unternehmer, der seine Produktion auf Schutzmasken umgestellt hat, das sind viele Menschen in der Nachbarschaftshilfe, die für ältere Menschen einkaufen. Ich bin mir sicher: Wir werden als Land gestärkt aus dieser Krise herauskommen. 

Trauen Sie sich eine vorsichtige Prognose zu?  

Das Problem bei Prognosen ist bekanntlich, dass sie sich in die Zukunft richten. Das gilt diesmal ganz besonders. Ich bin aber zuversichtlich: Wenn wir als Gesellschaft jetzt alle an einem Strang ziehen, dann wird auch diese Krise irgendwann vorübergehen. Die nächsten Wochen und unser eigenes Verhalten werden dafür entscheidend sein.


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