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Kontrolle kontrolliert

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Bei der Reform des Polizeigesetzes und dem Bleiberecht für Geflüchtete hat sich die grün-schwarze Landesregierung auf einen Kompromiss verständigt. Polizisten dürfen unter Auflagen in Privatwohnungen filmen und müssen protokollieren, warum sie Menschen auf Großveranstaltungen durchsuchen. Das begeistert nicht alle Fußballfans.

Als in Baden-Württemberg Ende 2017 eines der bundesweit schärfsten Polizeigesetze verabschiedet wurde, sprach Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) davon, mit den Maßnahmen "an die Grenze des verfassungsmäßig Machbaren" zu gehen. Im Gesetzesbeschluss hieß es seinerzeit: "Die neuen Befugnisse zur intelligenten Videoüberwachung, zur Überwachung der Telekommunikation, zur Anordnung von Aufenthaltsvorgaben und Kontaktverboten zur Verhütung terroristischer Straftaten und zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung zur Verhütung terroristischer Straftaten sowie die Möglichkeit zum Einsatz von Explosivmitteln sind spätestens fünf Jahre nach ihrem Inkrafttreten zu evaluieren."

19 Verhandlungsrunden waren nötig, bis sich die Regierungsparteien auf dieses Maßnahmenpaket verständigt hatten. Doch die Union und Innenminister Thomas Strobl (CDU) wollten nicht bis 2022 abwarten – erst dann soll eine offizielle Auswertung zur Wirksamkeit der erweiterten Befugnisse vorliegen. Nicht einmal ein Jahr nach der ersten Verschärfung drängte der konservative Juniorpartner in der Koalition auf die nächste Reform: Mit einem 160 Seiten umfassenden Papier machte sich Strobl zusätzlich für DNA-Analysen stark, die Rückschlüsse auf das Aussehen eines Tatverdächtigen ermöglichen sollen, er kämpfte für die heimliche Durchsuchung von Computern und Festplatten und wollte die Polizei in Privatwohnungen filmen lassen. Und er sprach sich für Personenkontrollen auf Großveranstaltungen aus, die nach Ansicht des Innenministers auch ohne konkreten Verdacht möglich sein sollten.

Nicht mit allen Forderungen war Strobl erfolgreich. "Wir haben", sagt der grüne Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand, "eine überzogene Verschärfung des Polizeigesetzes verhindert." Bei zwei Punkten gab es jedoch, trotz anderslautender Ankündigungen, Zugeständnisse der stimmenstärksten Partei im Südwesten.

"Leider konnten wir das nicht durchsetzen"

Bereits im vergangenen Dezember zeichnete sich ab, dass die Grünen dem Einsatz sogenannter Body-Cams in Privatwohnungen zustimmen würden. Dabei handelt es sich um Videokameras, die von den Beamten im Einsatz zugeschaltet werden können und bislang nur im öffentlichen Raum benutzt werden durften. "Dass wir als Grüne da mitmachen", begründete Hans-Ulrich Sckerl, der innenpolitische Sprecher der Fraktion, im Januar 2020 gegenüber Kontext, "das tun wir nicht, um der CDU zu gefallen oder Innenminister Thomas Strobl entgegenzukommen." Vielmehr hätte die Polizei "händeringend darum gebeten", um besser gegen häusliche Gewalt vorzugehen und die Beweislage bei Übergriffen durch die Videoaufnahmen zu verbessern. Um die Privatsphäre der Bevölkerung zu schützen und einen missbräuchlichen Einsatz zu verhindern, habe man einen Richtervorbehalt geschaffen. "Das bedeutet: Die Aufzeichnungen der Body-Cam dürfen in Prozessen erst verwertet werden, wenn sie von einem Richter genehmigt worden sind."

Auch in Bezug auf Personenkontrollen bei Großveranstaltungen äußerte sich Sckerl im Interview, er sprach damals von einem "Fortschritt, den wir haben wollten: Schluss mit anlasslosen Durchsuchungen und Personenkontrollen!" Diese sollten künftig nur noch erlaubt sein, wenn die zu durchsuchende Einzelperson einen konkreten Anlass dafür geliefert hat. Seitdem sich nun die Koalition vergangene Woche auf einen spruchreifen Kompromiss geeinigt hat, klingt das ein wenig anders. Der feine Unterschied besteht darin, dass die Polizei nun weiterhin im eigenen Ermessen entscheiden können soll, wer verdächtig genug wirkt, um kontrolliert zu werden – im Zweifel auch Personengruppen. Die Beamten müssen nun ein Jahr lang protokollieren, wen sie kontrollieren und die Kriterien dafür, um anschließend zu evaluieren, "warum und gegen wen Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen stattfinden", wie Sckerl auf Anfrage mitteilt. "Wir Grüne hatten noch strengere Vorgaben gefordert – beispielsweise, dass die Person selbst einen konkreten Anlass für die Kontrolle bieten muss." Er räumt ein: "Leider konnten wir das nicht durchsetzen."

Dennoch spricht Sckerl im Zusammenhang mit der neuen Regelung von einer Stärkung des Persönlichkeitsrechts: "Die Polizei darf nur unter strengsten Verhältnismäßigkeitsmaßstäben kontrollieren. Nur wenn sich im Einzelfall konkrete Tatsachen ergeben, dass eine Großveranstaltung gefährdet sein könnte, dürfen die Kontrollen überhaupt durchgeführt werden." Besonders wichtig sei, "dass Demonstrationen und Versammlungen nach dem Versammlungsrecht explizit ausgenommen sind."

Gegenwärtig eine illegale Praxis?

Bislang fehlten eindeutige Bestimmungen, was die Anforderungen an solche Personenkontrollen anbelangt, insbesondere wenn ganze Gruppen von Maßnahmen betroffen sind. Laut Sckerl werde nun "die Rechtslage präzisiert und eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen". Für die Freiburger Rechtsanwältin Angela Furmaniak kommt diese Aussage einem Eingeständnis gleich, dass anlasslose Kontrollen von Personengruppen, wie sie immer wieder bei emotional aufgelandenen Fußball-Derbys stattfinden, gegenwärtig eine illegale Praxis darstellen. Die Juristin verweist auf die obergerichtliche Rechtsprechung.

Im Rahmen einer Klage gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz führte das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2018 aus: "Polizeiliche Kontrollen zur gezielten Suche nach Personen oder Sachen setzen als Grundrechtseingriffe nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich einen objektiv bestimmten und begrenzten Anlass voraus." Im verhandelten Fall ging es um Identitätsfeststellungen über die automatisierte Erfassung von Kfz-Kennzeichen, "beispielsweise bei internationalen Fußballturnieren oder ähnlichen Großereignissen". Zwar beschränke "die Verfassung die Einrichtung von polizeilichen Kontrollstellen nicht auf Situationen, in denen eine konkrete Gefahr vorliegt." Vielmehr könne der Gesetzgeber Kontrollstellen "auch unterhalb dieser Schwelle erlauben, etwa zum Schutz von gefahrenträchtigen Großereignissen oder eingebunden in spezifische polizeiliche Ermittlungsstrategien". Dann müsse er diese "in hinreichend klarer und begrenzter Form regeln".

Anwältin Furmaniak verweist auf einen Fall vor dem Verwaltungsgericht Freiburg, der die Grundsätze dieses Urteils auf physische Personenkontrollen bei einem Fußballspiel übertrug. Bei der Partie SC Freiburg gegen Dynamo Dresden wurde eine angereiste Fangruppe von circa 170 Personen im Oktober 2017 über 2,5 Stunden aufgehalten, kontrolliert und verpasste schließlich das gesamte Spiel. Im Zuge der Aktion wurden nach Angaben der Polizei auch Pyrotechnik, Vermummungsmaterial, Messer und Schutzbewaffnung festgestellt – aber eben lange nicht bei allen Beteiligten. Einsatzleiter Gabriel Winterer wehrte sich damals gegen Kritik: "Unser Vorgehen war absolut verhältnismäßig." Das Verwaltungsgericht Freiburg kam fast genau zwei Jahre später zu einer abweichenden Einschätzung und stufte den kollektiven Freiheitsentzug als rechtswidrig ein.

Strobl will hartnäckig bleiben

Demnach war die Landesregierung also unter Zugzwang, für die Personenkontrollen auf Großveranstaltungen verfassungskonforme Kriterien zu definieren. Die grünen Zugeständnisse an die Union begründet die Partei mit einem Kompromiss beim Bleiberecht für Geflüchtete. Immer mehr Unternehmen hatten geklagt, dass ihre Auszubildenden und Angestellten abgeschoben wurden. Damit beschäftigte Geflüchtete bessere Bleibeperspektiven bekommen, will Baden-Württemberg nun gemeinsam mit anderen Bundesländern eine Bundesratsinitiative auf den Weg bringen. Bis eine solche Regelung in Kraft tritt, sollen alle Menschen, die bis spätestens 29. Februar 2016 in die Bundesrepublik eingereist sind und deren Fälle von der Härtefallkommission des Landes behandelt werden, vorrübergehend davon verschont bleiben, gegen ihren Willen außer Landes verfrachtet zu werden.

Während das als Erfolg für die Grünen zu verbuchen ist, hat die CDU bei den Reformen des Polizeigesetztes als Juniorpartner viele Punkte gegen den Widerstand des größeren Koalitionspartners durchgesetzt. Als die Neuerungen bei Polizeigesetz und Bleiberecht am vergangenen Dienstag auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurden, ließ sich Innenminister Strobl mit Freuden eine "gewisse Hartnäckigkeit" bei diesen Themen attestieren – und ließ wissen: "Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, dann ist es nicht das Ende." Beim Polizeigesetz jedenfalls dürfte erst einmal Ruhe sein: Der Gesetzesentwurf ist nun für die Anhörung im Landtag greigegeben, darüber hinaus soll es keine weiteren Änderungen vor den Landtagswahlen im März 2021 mehr geben. Zumindest wenn das ganze Vorhaben nicht, wie bei der vorangegangenen Reform, wegen erheblicher juristischer Bedenken noch einmal ganz grundsätzlich auf den Prüfstand muss, weil damals noch nicht alles gut und damit nicht zu Ende war.

Schlechte Noten vom Datenschutzbeauftragten

Das Zeugnis zum bisherigen Einsatz der Body-Cams ist verheerend, aber immerhin kann Stefan Brink vermelden, dass die Adressaten im Innenministerium rasch Abhilfe schaffen wollen. "In fast keinem einzigen Fall", so der Landesbeauftragte für Datenschutz Informationsfreiheit (LfDI), "der von uns in Augenschein genommenen Aufnahmen sahen wir Voraussetzungen erfüllt." Aus dem Polizeiauto sei gefilmt worden, im Revier oder, nach einer Festnahme, ein Mann bereits in Handschellen. Alles Situationen, weiß Brink, in denen Body-Cams gar nicht genutzt werden dürften. Denn die Anwendung sei bisher ausschließlich "an öffentlich zugänglichen Orten", erläutert der oberste Datenschützer, und in Paragraph 21 Absatz sechs des Polizeigesetzes (PolG) klar geregelt.

Aus den Kontrollen in Karlsruhe, Stuttgart und Mannheim müsse aber geschlossen werden, heißt es in seinem 145 Seiten starken Jahresbericht 2019 weiter, "dass vielen Polizeibeamtinnen und –beamten offenbar nicht bekannt oder jedenfalls nicht präsent ist, dass Body-Cams nicht dazu gedacht sind, jedes polizeilich relevante Geschehen zu dokumentieren". Brink, der anders als seine Vorgänger nicht weisungsgebunden ist, sondern einer unabhängigen Behörde vorsteht, hat "den kurzen Draht zu Innenministerium" genutzt. Mit der Reaktion sei er "sehr zufrieden". Es gebe Nachschulungen. Der jetzt auf den Weg gebrachten Ausweitung des Einsatzes steht der Landesbeauftragte dennoch oder gerade deshalb skeptisch gegenüber – "nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben". Im Detail will er sich aber erst äußern, wenn das geplante neue Polizeigesetz vorliegt. Die anstehende Anhörung ist die passende Gelegenheit. (jhw)


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