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Testosteron für die Union

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Röttgen, Laschet, Merz: Jetzt rütteln also drei Männer am Zaun und wollen Bundeskanzlerin werden. Vor allem Friedrich Merz gibt mit kraftstrotzender Rhetorik den konservativen Erlöser. Und ausgerechnet für ihn rührt die Spitze der Südwest-CDU die Werbetrommel.

Es ist keine zwei Wochen her: Susanne Eisenmann mokierte sich in einem Interview über den "Testosteronüberschuss im Westen". Die Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2021 sah in Armin Laschet, Jens Spahn, Friedrich Merz und Norbert Röttgen einen Beleg dafür, dass "es Männern aus NRW offensichtlich weder an Führungsanspruch noch an Selbstbewusstsein mangelt". Und sie sagte noch einen bemerkenswerten Satz: Auf diese Weise werde "ein falsches Bild vom Personenpotenzial der Partei vermittelt".

Ein besonders falsches vermittelt allerdings der Bewerber, hinter dem sich zu versammeln Eisenmann, CDU-Landeschef Thomas Strobl, sein Generalsekretär Manuel Hagel und Fraktionschef Wolfgang Reinhart in keineswegs üblicher Einigkeit beschlossen haben. Denn Merz möchte seiner Partei "die Richtungsentscheidung nicht erspar­en", bricht mit der Ära Merkel. Ganz oben auf der Liste stehen die toxischen Versprechen in der Flüchtlings- und Ausländerpolitik. Für viel Aufregung im Netz sorgt seine wenig christliche Ansage an die Gestrandeten zwischen Griechenland und der Türkei: "Wir können Euch nicht aufnehmen". Dutzende KommentatorInnen sprechen ihm die Legitimation ab, das Personalpronomen in ihrem Namen zu benutzen.

Ohnehin will der Sauerrländer mit der beharrlichen Wiederholung der von der "Alternative für Deutschland" und den HardlinerInnen in der Union genährten These vom "Kontrollverlust" vor vier Jahren im Trüben fischen. Eine neue Spaltung der Gesellschaft ist programmiert, gerade angesichts der jüngsten Entwicklungen an der griechisch-türkischen Grenze. Die Kanzlerin hat in vielen Bereichen, längst nicht allein sozial- und fiskalpolitisch, vieles falsch gemacht in ihrer Amtszeit. Der Herbst 2015 und die legendären Sätze "Wir schaffen das" und "Dann ist das nicht mehr mein Land" gehören aber eindeutig zu dem Teil des Erbes, das eigentlich niemand in der Republik ausschlagen dürfte. Erst recht nicht diejenigen, die sich so gern auf das C im Parteinamen berufen.

Merz, der Hobbypilot und Millionär mit dem Selbstverständnis, er gehöre zum Mittelstand der Republik, will also raus aus dem, was er reichlich diffus und rückwärtsgewandt für die Mitte hält, will Kante zeigen mit einer betagten Gesellschaftspolitik und 2018 schon mal erfolglos recycelten Vorschlägen, die er jetzt als "Aufbruch 2020" vermarktet. "Das muss ein vorgezogener April-Scherz sein", ereiferte sich vor zwanzig Jahren sogar CSU-Generalsekretär Thomas Goppel, als der damals frisch gebackene Unionsfraktionschef Merz laut über eine Vollbesteuerung der Rente und die schrittweise Erhöhung des Einstiegsalters auf 70 nachdachte. Jetzt ist die Idee, das Verhältnis zwischen Arbeitszeit und Ruhestand "neu zu justieren", Teil jener Visionen, mit denen er erst den CDU-Vorsitz und dann das Kanzleramt erobern will.

Kundige wissen, dass der Vorschlag Frauen mit ihrem überproportionalen Anteil an unbezahlter Familienarbeit in besonderer Weise träfe. Katrin Schütz, Staatssekretärin im Stuttgarter Wirtschaftsministerium, applaudiert dennoch als eine der ersten Parteifreundinnen bundesweit, weil "Friedrich Merz mit Wirtschafts- und Finanzkompetenz die Herausforderungen einer globalisierten Weltwirtschaft in unsicheren Zeiten bewältigen wird".

2012 hat Schütz für Baden-Württemberg das Projekt "Frauen im Fokus" ersonnen, zwecks Durchsetzung von mehr Gleichberechtigung in der Union. Jetzt stellt sie sich an die Seite der Initiative "Wir Frauen für Friedrich Merz". So richtig mitgliederstark ist sie noch nicht, sie findet aber einschlägige Unterstützung, zum Beispiel durch Linnéa Findeklee. Die Vorständlerin der niedersächsischen Werte-Union beklagt den Niedergang im Journalismus ("Wenn wir heute Nachrichten sehen, werden die Nachrichten nicht neutral vermittelt, sondern wertend und aus den Augen von Linken, Grünen und Sozialdemokraten"), oder sie wirbt für ein neues altes Frauenbild ("Konservativismus wird fälschlicherweise mit Rechtsruck gleichgesetzt").

Ärger gibt es auch schon. Christian Bäumler, Landesvorsitzender des Arbeitnehmerflügels CDA, spricht Marianne Guthoff, der Chefin der CDA-Frauen im Südwesten, das Recht ab, mit dieser ihrer Funktion für Merz zu werben. Begründung: Der Bundesvorstand der Frauen-CDA habe sich in Guthoffs Anwesenheit "ohne Widerspruch" gegen Merz ausgesprochen. "Die Methoden, die Ihr 2018 angewandt habt, um Friedrich Merz durchzubringen, werde ich nicht mehr tolerieren", kündigt Landesvorstandsmitglied Bäumler an. Für die harten Bandagen, mit denen in den kommenden Wochen parteiintern gekämpft werden wird, steht der Kampf um die Deutungshoheit, der sich sofort im Netz entwickelt. Die Aktion "Linkstrend stoppen" erwiderte auf Bäumler: "Man sollte besoffen nicht bei FB posten, oder es zumindest wieder löschen, wenn man nüchtern ist."

Überhaupt 2018: Führende Köpfe der Südwest-CDU, die in der praktischen Politik in Berlin seit Jahren eine immer kleinere Rolle spielt, gelten manchen als Erfinder des Kandidaten Merz. "Von Baden-Württemberg getriggert" sei Merz’ Rückkehr gewesen, zitierte die "Frankfurter Rundschau" beim ersten Anlauf vor zwei Jahren einen CDU-Mann aus NRW. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, sein Schwiegersohn und Landeschef Thomas Strobl, der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der Union, Christian von Stetten, ebenso wie dessen Vater Wolfgang wurden als treibende Kräfte genannt.

Inzwischen verlangen gerade solche ParteifreundInnen, die Annegret Kramp-Karrenbauer ihre Loyalität verweigerten, nach "Führung", so Generalsekretär Hagel, nach einem Vorsitzenden, "der Verantwortung übernimmt, jemanden, der unserer tollen Partei wieder Selbstbewusstsein verleiht". Der CDU-Fraktionschef wendet sich gegen das bloße "Weiter so". Und Strobl passiert in seiner Aschermittwochsrede ein vielsagender Lapsus, als er bekennt, schon auf dem Hamburger Parteitag 2018 für Merz gestimmt zu haben – danach habe er sich "alle Mühe gegeben", die neue Chefin zu unterstützen.

Ob die Merz-Fans die Mehrheitsverhältnisse an der Basis richtig einschätzen und wie die rund 150 Südwest-Delegierten denken, wird sich erst beim Bundesparteitag am 25. April zeigen. Dem Quartett an der Spitze und der Handvoll baden-württembergischer Claqueurinnen von "Wir Frauen für Friedrich Merz" stehen mächtigen Kräften gegenüber: die NRW-CDU, mitglieder- und dementsprechend delegiertenstärkster Landesverband, einzelne Schwergewichte, wie Volker Bouffier (Hessen), Daniel Günther (Schleswig-Holstein) und Bernd Althusmann (Niedersachsen), die CDA oder – jedenfalls vorerst – die Frauen-Union. Sie hat versprochen, alle Bewerber erst einmal inhaltlich mit ihren frauen-, familien- und gesellschaftspolitischen Positionen zu bewerten.

Der Blick in die Vergangenheit könnte die Aussichten des Kandidaten Merz erheblich eintrüben. 1995 hat er als Bundestagsabgeordneter einen fraktionsübergreifenden Kompromiss zur Abtreibung als zu wenig restriktiv abgelehnt, er ist der Erfinder der "freiheitlichen deutschen Leitkultur",seit den Kriegen auf dem Balkan tut er sich schwer mit der Aufnahme von Flüchtlingen. 1997 gehörte der damals 41-jährige zu 138 Bundestagsabgeordneten, die sich weigerten, die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen.

Staftatbestand Vergewaltigung in der Ehe

Seit 1972 hatten SozialdemokratInnen, einzelne Liberale und ChristdemokratInnen, später die Grünen dafür gekämpft, dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar wird. Immer wieder waren sie am Widerstand vor allem der Unionsmehrheit gescheitert. Unvergessen nicht nur unter Feministinnen die schenkelklopfende Heiterkeit in den Reihen von Union und FDP, als Petra Kelly 1983 wissen will: "Sind Sie dafür, dass die Vergewaltigung in der Ehe auch in das Strafgesetzbuch kommt?" 1995 spricht Wolfgang von Stetten, CDU-MdB und Reform-Gegner, von "graduellen Unterschieden (...) zwischen diesem Ehemann, der nun aus Rücksichtlosigkeit oder Verlust an Selbstbeherrschung oder vermeintlichem Recht auf sexuellen Verkehr seine Frau zwingt, und jemandem, der eine wildfremde Frau vergewaltigt, das kann nicht gleichbehandelt werden". Zwei Jahre später kam dank einer interfraktionellen Frauen-Initiative endlich doch die Wende. Horst Eylmann (CDU), niedersächsischer Vorsitzender des Rechtsausschusses, appellierte gerade an die Männer in seiner Partei und mit Blick auf den so langen Kampf für Annahme. Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth nannte das neue Gesetz ein "Kernstück der Menschenrechts- und Gleichberechtigungspolitik, weil es im tiefsten Kern um die Würde von Frauen geht".  (jhw)

Es ging hauptsächlich um die sogenannte Widerspruchsregelung und damit um eine besonders unredliche Idee. Ehefrauen sollte das Recht eingeräumt werden, durch Rücknahme ihrer belastenden Aussage die Einstellung der Strafverfolgung herbeizuführen, auch weil die Opfer vom Täter selbst, von Eltern oder Kindern dazu hätten bedrängt werden können. O-Ton Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth nach dem Abstimmungserfolg: "Ich halte es für verächtlich, dass wir so lange brauchten, um das Selbstverständliche zu tun."

Lange Zeit hat Merz sein Votum von damals nicht kommentiert. Jetzt nennt er es "wie immer gezielt und bösartig zu behaupten", er habe gegen die Strafbarkeit gestimmt. Dann legt er noch einen drauf: "Aufgrund meiner beruflichen Erfahrungen hatte ich wie viele andere auch die Befürchtung, dass Strafverfahren durch Falschbehauptungen zerstrittener Ehepartner dem berechtigten Schutzinteresse betroffener Frauen eher schaden als nützen würden." Und in Sachen Gleichgerechtigung macht er sich gerade ebenfalls besonders beliebt – nicht nur im Netz –, weil er bei der Besetzung von Wahllisten nicht auf Gleichstellung, sondern auf die "Realität in der Partei" setzen will: Parität "wäre dann eben nicht nur eine Bevorzugung der Frauen, sondern auch eine Diskriminierung der Männer". Ebenfalls aussagekräftig ist dieser eine Moment nach der Niederlage in Hamburg, als er seiner Ehefrau die stehenden Ovationen für die neue Parteichefin untersagt. Das Video war damals und ist heute wieder ein Renner. Geschadet es ihm in bestimmten Parteikreisen ganz und garnicht nicht. "Raute, ade!" umreißt der kommentierenden Fans seinen "dringenden konservativen Wendewunsch", der wichtiger sei "als alles andere".

So gesehen sagt das Bekenntnis von Strobl, Eisenmann, Hagel und Reinhart zu Merz sehr viel aus über den Zustand der Südwest-CDU. Sie glaube, "die Zeiten, in denen man rumlaviert, sind vorbei", sagt die Spitzenkandidatin. Mit dem Votum für Merz "haben wir ziemlich genau eine Stimmung im Land aufgegriffen, nicht nur bei Mitgliedern, sondern auch wenn wir mit Unternehmern oder Bürgern sprechen". Und: Gerade mit Blick auf die Landtagswahl "glauben wir, dass Merz das verkörpert, was in Baden-Württemberg hilfreich sein kann". Ausgerechnet einer, dem seit vielen Jahren nachgesagt wird, die Entwicklungen im Landesverband besonders genau einschätzen zu können, will zum jetzigen Zeitpunkt soweit auf keinen Fall gehen: Günther Oettinger bekennt am vergangenen Wochenende einerseits, dass er 2018 für Merz votierte. 2020 gebe es allerdings "zwei zusätzliche Kandidaten: Norbert Röttgen und Armin Laschet, "und deshalb will ich jetzt abwarten, mit welchem Programm und welcher Konzeption die neuen Kandidaten in diese parteiinterne Entscheidung hineingehen". Keine schlechte Idee.


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3 Kommentare verfügbar

  • chr/christiane
    am 06.03.2020
    Antworten
    Ich war auch immer dafür, dass mehr Frauen in die Politik gehen sollten.
    Nach Merkel, Kipping,Baerbock,Nahles,Kramp-Karrenbauer..... und von der Leyen, die sich gerade als Expertin die minderjährige Greta auf den Chefsessel der EU erhoben hat--sehne ich mich regelrecht nach Männern an der…
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