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Grüne Jugend ist sauer

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Die jungen Grünen haben einen Merkspruch, der gut passt zur aktuellen Unruhe in der Mutterpartei: "Heute an die Probleme von morgen denken." Hätte Winfried Kretschmann den Rat in Fragen der Personalentwicklung befolgt, hätte er jetzt weniger Probleme.

Jetzt also Andre Baumann. Der langjährige Nabu-Landesvorsitzende aus Schwetzingen, der erst 2016 aus seinem Verband als Staatssekretär ins baden-württembergische Umweltministerium und damit in die Politik rotierte, wird Nachfolger von Volker Ratzmann und damit Bevollmächtigter des Landes beim Bund. Erst nach und nach sickerte parallel zur internen Bekanntgabe der Personalie am Montagabend die offizielle Begründung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann durch: Er hat wie "die anderen Neuberufenen im Kabinett wirklich eine ausgezeichnete Arbeit geleistet". Eingeleuchtet hat dieses Motiv dem grünen Nachwuchs nicht. Von einem "Offenbarungsseid" sprach einer der Jüngeren in der Landtagsfraktion, zumal der Neue noch nie in Berlin gearbeitet habe.

Tatsächlich lieferte der Ministerpräsident mit seiner Entscheidung einen weiteren Beleg dafür, dass er in Personalfragen nicht eben mit einem glücklichen Händchen gesegnet ist. Im verbleibenden Jahr der Legislaturperiode stünden viele politische Initiativen rund um den Klimaschutz und die Energiewende an, sagte er über den Staatssekretär, der aus rechtlichen Gründen sogar seinen Posten aus dem Umweltministerium mitnehmen muss. Deshalb seien "profunde Kenntnisse und ein umfassendes Rüstzeug des guten Netzwerkers und sachorientierten Politikers" gefragt. Die Kehrseite der Medaille: Umweltminister Franz Untersteller ist einen emsigen Vertreter los, der viel unterwegs war im Land, bestens vernetzt und immer mit fachlicher Expertise werbend für grüne Überzeugung.

Karussell der immer gleichen Namen

Außerdem stehen noch ganz andere Entscheidungen an. Zahlreiche Abgeordnete, allen voran Brigitte Lösch, kandidieren nicht mehr für den Landtag. Zwei MinisterInnen, Edith Sitzmann (Finanzen) und vor allem Franz Untersteller (Umwelt), nehmen 2021 den Hut. Von Staatsrätin Gisela Erler wird erwartet, dass auch sie sich in den Ruhestand verabschiedet. Hinzu kommt eine weitere Baustelle mit dem vakant werdenden Chefposten im Stuttgarter Rathaus. Hier muss dringend eine überzeugende Lösung gefunden werden, und zwar schon in drei Wochen, entsprechend dem Zeitplan des Kreisverbands. Seit OB Fritz Kuhn am 7. Januar den Verzicht auf eine weitere Kandidatur verkündete, befürchten viele der Gehandelten inzwischen, "als Wanderpokal zu enden", wie eine Grüne sagt, "weil immer die gleichen Namen fallen."

Auf Volker Ratzmann hätte nach Meinung von Jungen und Jüngeren in Partei und Fraktion gut Anna Christmann (Jahrgang 1983) folgen können, die Bundestagsabgeordnete und Digitalisierungsfachfrau aus Stuttgart. Als frühere Büroleiterin von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hätte sie landes- und bundespolitische Erfahrung im Gepäck. Oder der Wirtschaftswissenschaftler Danyal Bayaz (Jahrgang 1983) aus Heidelberg, ebenfalls ein Bundestagabgeordneter. Beide hätten ihre Mandate aufgeben müssen. Zugleich hätte aber ein weiterer Aufstieg im Land nach der Landtagswahl im nächsten Frühjahr gewinkt, denn nach heutigem Stand dürften die Grünen in welcher Konstellation auch immer wieder auf der Regierungsbank landen.

Entsprechende Erwartungen geweckt hatte kein Geringerer als Regierungssprecher Rudi Hoogvliet, einer der engsten und längsten Mitarbeiter des Ministerpräsidenten. Den unerwarteten Aderlass grüner Führungskräfte hatte er mit dem Satz quittiert: "Winfried Kretschmann hat jetzt die Gelegenheit, junge Kräfte einzubinden – das hatte er ohnehin vor, nun ist es ohne Irritationen möglich." Im Fall Andre Baumann (Jahrgang 1973) musste der Begriff "jung" einigermaßen gedehnt werden. Lea Elsemüller und Deniz Gedik, die Landesvorsitzenden der Grünen Jugend, haben davon jedenfalls ganz andere Vorstellungen. "Wir sind gespannt, wie der vielzitierte Generationenwechsel in der Praxis aussehen wird und werden diesen Prozess kritisch begleiten." Natürlich sei nicht davon auszugehen, "dass vakante Positionen allesamt mit Personen aus der Grünen Jugend" besetzt würden. Aber mit der einen oder anderen halt schon, so die Hoffnung, denn immerhin bringt der Nachwuchs inzwischen 1300 Mitglieder auf die Waagschale.

Die jungen Grünen gelten als Fundi-Störenfriede

Kretschmann und die Seinen haben die Talente, die sich entwickeln und entwickelt haben, aber nicht wirklich auf dem Schirm. Wofür die Geschichte jener Cylindropuntia imbricata steht, des Kaktusses, der seit August 2016 nach dem Regierungschef benannt ist. Drei Exemplare hat der Züchter Holger Dopp ihm damals mitgegeben. Und der Ministerpräsident hielt es für angemessen, eines davon dem Nachwuchs zu überlassen. So wächst das stachelige Ding nun in der Landesgeschäftsstelle in der Marienstraße vor sich hin. "Wir sind immer eher als Fundi-Störenfriede wahrgenommen worden", erinnert sich eine frühere Vorsitzende des schon 1988 gegründeten Verbandes, "unser Rat war nie gefragt."

Oft ist die Bedeutung der Jugendorganisationen für die jeweiligen Parteien beschrieben worden. "Die Zeit" stellt sogar eine gewagte These auf: "Wahlprogramme lesen? Lohnt sich eher nicht. Parteien lernt man besser kennen, indem man sich ihre Jugendorganisationen ansieht." Die Junge Union wird so konterfeit: "Wir sind jung und frech, aber nicht zu sehr (man muss schließlich an die Karriere denken)". Den Jusos unterstellte das Hamburger Wochenblatt, der SPD bester Feind zu sein. Und den Grünen wurde vorgehalten, sie habe sich selbst "stolz zur Ponyhoflobby erklärt". Das war vor vier Jahren nach einem Post des Tübinger OB Boris Palmer, der nach weniger "naiv-idealistischer Ponyhof-Politik" und mehr Grenzen verlangt hatte. "Bad Boy und Provinzpolitiker Boris Palmer will mehr Zäune und weniger Ponyhof", konterte der Nachwuchs damals mit einem Seitenhieb auf dessen wenig grüne Ansichten zur Flüchtlingspolitik, "wir wollen weniger Zäune und konsequenten Menschenrechtsschutz!"

Politisch und im Verhältnis zwischen der Parteijugend und dem Zugpferd Kretschmann kann von Ponyhof gar keine Rede sein. Die Jungen mischten und mischen sich ein in heikle Migrationsthematik, in Sachen Stuttgart 21, vor allem in der Aufarbeitung des "Schwarzen Donnerstag" und auch in die vielen heftigen Debatten zur anonymisierten Kennzeichnung von Polizei-Einsatzkräften bei sogenannten Großlagen. Als 2015 klar wurde, dass sich SPD-Innenminister Reinhold Gall der Polizei mehr verpflichtet fühlt als dem Koalitionsvertrag, warf die Grüne-Jugend-Vorsitzende Lena Schwelling dem Roten Wortbruch vor und verlangte von der eigenen Fraktion einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Die Ulmer Gemeinderätin (Jahrgang 1992) versuchte sich als bisher zielsichere Prophetin: "Mit einem solchen Vorgehen kommt die SPD langfristig nicht mehr über 15 Prozent."

War wohl nix mit "heute an morgen denken"

In anderen Parteien bleiben Junge, die schon mal Verantwortung übernommen und auf sich aufmerksam gemacht haben, auf dem Schirm. Juso-Vorsitzende können Bundeskanzler werden wie Gerhard Schröder oder KönigInnen-Macher wie Kevin Kühnert, der im SPD-Mitgliederentscheid im vergangenen Herbst die eigenen Mitglieder mobilisierte zu Gunsten von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Jungunionisten knüpfen Netzwerke fürs Leben, so wie 1979 beim Nachtflug über die Anden den gleichnamigen Pakt, um sich gegenseitig nach oben zu hieven. Günther Oettinger war dabei und schaffte es bis in die Villa Reitzenstein. Am höchsten auf der grünen Karriereleiter im Land stieg Alex Bonde, der es vom Chef der Grünen Jugend bis zum Landwirtschaftsminister brachte. Viele der Vorgänger- oder NachfolgerInnen sitzen heute als Fachleute in Ministerien, in Rathäusern, in Kommunalparlamenten. "In Wartestellung", sagt eine Gemeinderätin.

Manche schon lange. Woran sich gut 13 Monate vor der nächsten Landtagswahl auch nichts mehr ändern wird, weil Kretschmann eine größere Rochade scheut. Stattdessen wird im Staatsministerium schon mal der Blick konkret auf die Zeit nach dem 14. März 2021, dem Wahltag, geworfen. Immer unter der Voraussetzung, die Wahl geht für die Grünen erfolgreich aus, könnte der jetzt als der richtige Mann am richtigen Platz für Berlin so hoch gelobte Baumann flugs wieder zurückkehren nach Stuttgart, um die Untersteller-Nachfolge anzutreten. Genau: Heute an die Probleme von morgen denken eben. Wer von der Förderung eigener Politgewächse selbst nach acht Jahren an der Regierung so wenig hält, muss QuereinsteigerInnen promoten. Auch Petra Olschowski (Jahrgang 1965) wird für jedes freiwerdende Amt munter gehandelt. Aber das ist eine andere Geschichte.


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