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Neun Monate Klimanotstand

Neun Monate Klimanotstand
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Im Mai 2019 hat Konstanz als erste deutsche Kommune den Klimanotstand ausgerufen. Seither versucht die Stadt, den verschiedenen Interessen gerecht zu werden. Eine Geschichte über Klimaschutz zwischen Schein und Sein.

Es kommt nicht so oft vor, dass sich die "New York Times" für Konstanz interessiert. Im vergangenen Jahr war das genau ein Mal der Fall – im Mai 2019. Damals hatte die Stadt auf Druck der lokalen Fridays-for-Future-Gruppe den Klimanotstand ausgerufen. Selbst in New York fand man das offenbar bemerkenswert.

Neun Monate ist das jetzt her. Was ist seitdem passiert? Die Antwort darauf fällt unterschiedlich aus – je nachdem, wen man fragt. Maike Sippel, Professorin im Bereich Nachhaltige Ökonomie an der Konstanzer Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) und engagiert bei den Scientists for Future, sagt: "Die Maßnahmen, die bislang in Konstanz beschlossen wurden, haben nicht die Größenordnung, die wir brauchen, um die international vereinbarten Klimaziele zu erreichen. Das ist einfach zu wenig." Daniel Hölzle, Apotheker und Vorsitzender des Verbandes der Konstanzer Einzelhändler, sagt dagegen: "Am Anfang hatten wir die Sorge, dass das alles in Aktionismus ausartet, aber jetzt sind wir zufrieden damit, wie die Stadt das Thema angeht."

In den vergangenen Monaten ist durchaus etwas passiert: Die Stadt hat eine ämterübergreifende Arbeitsgruppe gegründet, um das Thema Klimaschutz zu durchleuchten, Personal soll aufgestockt werden, die Bürgermeister verzichten auf ihre Dienstwagen, das Parken in der Stadt soll teurer, mehr Solaranlagen auf Dächern geschaffen werden. In einem Klimabürgerrat sollen die Konstanzer beteiligt werden, ein Experten-Rat soll die Stadt unterstützen, über einen neuen Klimafonds sollen CO2-Ausgleichszahlungen direkt in Konstanzer Klimaschutz-Projekte fließen. Und im Dezember hat der Gemeinderat einen so genannten Klimahaushalt verabschiedet: Demnach sollen 2020 fünf Millionen Euro in den Klimaschutz investiert werden. Dass sich die Stadt bemüht, bestreiten nicht mal die Fridays for Future.

Und trotzdem: Andere Städte wirken derzeit entschiedener. Während Tübingen ganz ohne Klimanotstand bis 2030 klimaneutral sein will, mag Konstanz sich nicht so recht auf ein Datum festlegen. Und während Freiburg in E-Busse investiert, setzt Konstanz weiter auf die Dieseltechnik. Hat die Stadt den Anschluss verloren an eine Bewegung, die sie mit angestoßen hatte?

Notstand verändert das Bewusstsein, glaubt der OB

Der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt empfängt an einem Mittwoch im Dezember in seinem Büro. Es liegt im historischen Rathaus, sehr malerisch, mit Blick auf den der italienischen Renaissance nachempfunden Innenhof. Der CDU-Mann Burchardt verteidigt den Notstandsbeschluss: "Die Kernbotschaft davon war: Wir müssen uns eingestehen, dass wir bislang viel zu langsam waren im Kampf gegen den Klimawandel." Der Notstand habe das Bewusstsein bei vielen Menschen verändert, glaubt er. Ein Beispiel dafür: Selbst der Einzelhandel, einer der großen Energieverbraucher der Stadt, will sich nun engagieren: Mit einem eigenen Nachhaltigkeits-Siegel wollen die Konstanzer Händler ihre Klimaschutz-Bemühungen demnächst sichtbar machen.

Die Politik sieht sich dabei als Vorreiter: "Wir haben die Priorität voll auf Klimaschutz gestellt", sagt Uli Burchardt. Dafür macht die Stadt auch erstmals seit mehreren Jahren wieder neue Schulden: 4,7 Millionen Euro.

Wie der Klimaschutz in Konstanz funktionieren soll, erklärt der Oberbürgermeister, der früher mal Forstwirt war, so: "Das CO2 machen wir zum Maßstab: Was uns am meisten CO2-Ersparnis bringt, das machen wir." Schon im nächsten Haushalt soll CO2 einen Preis bekommen – dieser soll, orientiert an den Vorschlägen des Deutschen Städtetags, zwischen 35 und 50 Euro pro Tonne liegen.

Erst einmal wenig ändern soll sich hingegen bei den städtischen Bussen: Während immer mehr Städte auf Elektroantriebe umrüsten, bleibt die Konstanzer Stadtbusflotte dem Diesel treu. "Es gibt bis heute keinen Bus, der unsere technischen Anforderungen erfüllt und ökobilanziell besser ist als die, die wir heute neu einsetzen", sagt Burchardt. Die älteren Modelle sollen auf Euro-6-Norm aufgerüstet werden, bis 2030 soll die gesamte Flotte klimaneutral sein.

Wer das Auto abgibt, bekommt eine Jahreskarte 

Die Entscheidung, weiterhin auf den Dieselantrieb zu setzen, fiel übrigens auch aufgrund eines Gutachtens, das Ralph Pütz, Professor und Spezialist für Nutzfahrzeugforschung und Abgasanalytik an der Hochschule Landshut, für die Stadtwerke Aschaffenburg verfasst hat. Darin schreibt Pütz unter anderem, dass die Gesamt-Ökologiebilanz eines batteriebetriebenen Elektrobusses deutlich schlechter sei als die eines dieselbetriebenen Busses mit Euro-6 Norm. Dazu muss man wissen: Pütz ging vom gesamtdeutschen Strommix (also inklusive Kern- und Kohlekraft) aus. Die Stadtwerke Konstanz nutzen aber ausschließlich Ökostrom, was die Ökobilanz von E-Bussen verbessert. Und: Pütz ist zwar ausgewiesener Experte auf dem Gebiet. Er ist aber auch ein großer Dieselbefürworter, gilt als industrienah und kandidierte schon mal für die CSU.

Ein anderes Beispiel dafür, wie unbarmherzig der Zeitgeist sein kann, ist die neue Autofähre, die ab Herbst 2020 zwischen Konstanz und Meersburg verkehren soll. Als 2016 der Entschluss fiel, die knapp 18 Millionen Euro teure Fähre mit verflüssigtem Erdgas (LNG, von engl.: liquefied natural gas) anzutreiben, konnten sich die Stadtwerke Konstanz noch als ökologische Vorreiter feiern lassen. Der Naturschutzbund Nabu lobte, die Treibhausgasbilanz von LNG sei im Vergleich zu Schweröl und Diesel besser. Drei Jahre später sind die Blicke skeptischer geworden. Umweltschützer warnen inzwischen, dass die Klimabilanz von LNG schlechter sein könnte als gedacht. Vor allem dann, wenn es über die umstrittene Fracking-Methode gewonnen werde. Problematisch zudem: Da es in Deutschland bislang keine Terminals für die Betankung mit LNG gibt, muss der Treibstoff aus Rotterdam mit einem Lastwagen angeliefert werden. Uli Burchardt sagt, er hätte gerne eine E-Fähre gebaut, "aber es gibt bislang keine Technologie, die leistungsfähig genug ist für unsere Autofähre".

Insgesamt will der Oberbürgermeister lieber auf Anreize als auf Verbote setzen. So sollen unter anderem Bus und Bahn besser koordiniert werden, und wer sein Auto abschafft, bekommt als Bonus eine Jahreskarte für den städtischen Bus. Die Frage ist nur: Reicht das aus, um die im Notstand formulierten Ziele zu erreichen?

Die Fridays vermissen eine Gesamtstrategie – und Mut

Manuel Oestringer hat da eine ziemlich klare Meinung: "Nein." Er studiert Chemie an der Universität Konstanz und engagiert sich in der Konstanzer Fridays-for-Future-Gruppe. "Unsere Bilanz zum Klimanotstand fällt eher durchwachsen aus", sagt der Aktivist. Woran es vor allem mangele, sei eine klare Gesamtstrategie und der Beschluss, dass die Stadt zu einem fixen Datum klimaneutral sein will. "Es fehlt der Mut und die Vision, entschiedene Schritte zu gehen", findet Oestringer.

Auch der fünf Millionen Euro schwere Klimahaushalt kann den Klimaschützer nicht überzeugen: "Die Summe entspricht etwa einem Prozent des Gesamthaushalts der Stadt für das kommende Jahr. Höchste Priorität sieht für mich anders aus." Zudem seien viele der aufgelisteten Maßnahmen zu vage, zu unkonkret und eher mäßig wirksam, so Oestringer. "Dass die Anschaffung einer Dokumentenmanagement-Software einer der größten Posten in diesem Haushalt ist (310 000 Euro), sagt eigentlich alles über das jetzt beschlossene Programm aus."

Die Kritik kommt für den Oberbürgermeister nicht überraschend. "Es ist okay, wenn die Fridays sagen, es geht zu langsam. Mein Job in der ganzen Sache ist es, die richtige Geschwindigkeit zu finden. Also schnell weiter zu kommen, ohne die Stadt zu beschädigen", sagt Burchardt.

Zielkonflikte gebe es da reichlich. Beispiel Wohnungsbau: Streng genommen dürften nach dem Klimanotstand kaum noch Neubauten entstehen. Aber wie erklärt man das denen, die verzweifelt eine neue Wohnung suchen?

"Uns gehen die Immobilien- und Mietpreise durch die Decke. Wenn wir aufhören zu bauen, dann bekommen wir den Markt gar nicht mehr unter Kontrolle", sagt der OB. Vielleicht auch deshalb hält er sich zurück mit konkreten Ansagen, wann genau Konstanz klimaneutral sein will. Burchardt bleibt vage und sagt nur: "So schnell wie möglich. Bis 2030 ist das ohne Ausgleichszahlungen nicht möglich." Aber darauf will er lieber verzichten: "Mit so einer Maßnahme würden wir nur den Druck aus dem Prozess nehmen, denn dann würden alle sagen: Was wollt ihr denn noch, wir sind doch klimaneutral. Dabei wären wir in Wirklichkeit kein bisschen weiter gekommen, außer, dass wir irgendwo auf der Welt Aufforstungsmaßnahmen finanzieren."

Klimaschutz als Wahlkampfhilfe?

Uli Burchardt kann die Rolle des besonnenen bürgerlich-grünen Klimaschützers ziemlich gut. In den letzten Monaten hat er zahlreiche Interviews dazu gegeben, war international in den Schlagzeilen. Ob ihm das helfe in dem in diesem Jahr anstehenden OB-Wahlkampf? Burchardt wischt die Frage vom Tisch; der Wahlkampf spiele bei dem Thema keine Rolle für ihn: "Meine Pflicht ist es, das Ganze so zu gestalten, dass man es abarbeiten kann. Wir müssen als Stadtgesellschaft einen gemeinsamen Weg finden."

Klingt gut, bedeutet aber nicht, dass Uli Burchardt das Thema nicht doch für sich zu nutzen wüsste. Denn: Erzählt man Manuel Oestringer von den Fridays for Future von diesen beiden letzten Sätzen des Oberbürgermeisters, kann er sich ein leicht spöttisches Grinsen nicht verkneifen: "Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich Herrn Burchardt in seinen Interviews so reden höre. Es klingt dann so, als wäre er nach dem ersten Gespräch mit uns selbst zur Einsicht gelangt, dass das mit dem Notstand eine gute Sache wäre. Tatsächlich war er davon gar nicht begeistert bei unserer ersten Begegnung. Erst ein gemeinsamer Antrag aller Gemeinderatsfraktionen hat den Weg dafür frei gemacht", erinnert sich der Aktivist an die Anfänge der Bewegung.

2020 könnte sich nun entscheiden, ob das mit dem Klimaschutz in Konstanz mehr Schein oder mehr Sein wird. Einige Projekte sollen umgesetzt werden, größere Ideen wie jene einer autofreien Innenstadt wurden aber auf die Jahre ab 2022 vertagt.

Ende Januar will der Oberbürgermeister eine erste Bilanz zum Klimanotstand im Gemeinderat vorstellen. Gut möglich, dass dann auch ein Satz wie dieser fällt: "Die bisher eingeleiteten Maßnahmen im Rahmen des CO2-Minderungskonzeptes der Stadt müssen konsequent weiterentwickelt und erheblich ausgebaut werden. Dabei reichen die technischen Maßnahmen alleine nicht aus, sondern müssen durch verhaltensbedingte Einschränkungen ergänzt werden." Manch einem im Rat könnte dieser Satz bekannt vorkommen. Er stand schon mal in einem Papier der Stadtverwaltung. Im Jahr 2007.


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4 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 22.01.2020
    Antworten
    @Dr. med. Dieter Lehmkuhl, Sie schreiben in Ihrem 1. Absatz „…nicht berücksichtigt ist.“
    Nun ist Ihre Feststellung auf all unsere Lebensbereiche anzuwenden, in denen "Politiker Innen" in Verantwortungspositionen für unsere Gesellschaft Entscheidungen treffen! Verpflichtet, so wie diese meinen,…
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