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Klimaschutz braucht Fakten – und Verbündete

Klimaschutz braucht Fakten – und Verbündete
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"Wir streiken, bis ihr handelt." Fridays-for-Future-AktivistInnen aus Baden-Württemberg haben ihre Forderungen in die Landespolitik getragen: konkret, knapp, nachvollziehbar und wissenschaftlich belegt. Was sie dazu von Seiten der Politik hören, überzeugt sie noch nicht.

In einem sind sich die Drei auf jeden Fall einig: Sie schlafen schlecht, angesichts von Zustand und Zukunft des blauen Planeten. Winfried Kretschmann hat gerade eine Doku über die Entwicklungen in der Antarktis gesehen. Noemi Mundhaas und Manuel Oestringer von FfF Konstanz stellen ihre weitere Lebens- und die Familienplanung hintan. Der Ministerpräsident rede als 71-Jähriger von seinen panischen Gefühlen, aber: "Was soll ich dann sagen?", fragt der 23-jährige und verlangt "dann doch erst recht nach dem Versuch, etwas zu ändern".

Oestringer studiert Chemie, Mundhaas Physik, beide sind beseelt von dem Vorsatz, nicht mit leeren Händen dazustehen in der Gegenwart und in der Zukunft. Und der berühmte Grüne aus Laiz ist so etwas wie eine Projektionsfläche, an der sie sich abarbeiten angesichts der Versäumnisse in der Vergangenheit. Erst vor gut einem halben Jahr hat die FfF-Bewegung im Land zusammengefunden. In Konstanz, einem Nukleus, mündete das Mahnen und Werben in die Erklärung des Klimanotstands durch den Gemeinderat. Sogar die entsprechende Resolution stammt aus der FfF-Feder.

Mit zehn Forderungen hat sich die Bewegung in der vergangenen Woche nun konkret in die landespolitische Debatte eingemischt. Herzstück auf dem Weg zur Klimaneutralität in Baden-Württemberg bis 2030 – "unsere Herzensangelegenheit", wie Mundhaas und Oestringer sagen –, ist eine Studie, die im nächsten Jahr fertig sein soll. Sie werde aufzeigen, heißt die bemerkenswert optimistische Einschätzung, "wie BW sein CO2-Budget für die 1,5-Grad-Grenze einhalten kann". Denn bisher werde zu unpräzise an "unter zwei Grad festgehalten". Vier Jahre nach dem Pariser Abkommen gebe es überhaupt keinen Plan zur Einhaltung der dort festgeschriebenen Verpflichtungen. Die Zeit sei aber nicht stehen geblieben, sagt Mundhaas und verweist auf den Sonderbericht des Weltklimarats IPCC aus dem Vorjahr zum Thema globale Erwärmung. Der mache klare Aussagen zu den "gravierenden Risiken", die jenseits einer Klimaerwärmung von eineinhalb Grad drohen. Nur ein halbes Grad mehr könne demnach eine Verdopplung von Extremwetterereignissen und das Auftauen von Permafrostböden auf einer Fläche so groß wie das Mittelmeer bedeuten.

Aus der Studie muss nach den Vorstellungen der AktivistInnen ein verpflichtender Maßnahmenplan fürs Land abgeleitet werden, dem konkret messbare Reduktionsziele zugeordnet sind, samt ihrer alljährlichen Überprüfung. Bei Nichterreichen müsse "unverzüglich" mit dem ebenfalls vorbereiteten Reaktionsplan gegengelenkt werden, weil nur auf diese Weise Planungssicherheit und die notwendige schnelle Umsetzung möglich sei. "Es kann doch nicht sein", sagt Noemi Mundhaas, "dass wir wissen, was getan werden muss, aber nicht handeln."

Kretschmann: "Wissensriese und Realisierungszwerg"

Kretschmann sieht sich höchstpersönlich selber in jenem Dilemma. Mit ebenfalls bemerkenswerter Offenheit zählt sich der Grüne zu den "Wissensriesen und Realisierungszwergen". Viel mehr müsste geschehen im Kampf gegen die Erderwärmung, bekennt er am 15. Oktober bei Veranstaltung "Let’s Talk Climate" in der Bad Cannstatter Kulturinsel, zu der die FfF Baden-Württemberg geladen haben. Andererseits hat er vier Jahrzehnte Erfahrung in Opposition und Regierung auf dem Buckel. "Es gibt physikalische Tatsachen, aber es gibt auch politische", sagt Kretschmann. Wahlen seien nun mal politische Tatsachen und die Grünen lange Zeit über zehn Prozent nicht hinausgekommen, trotz ihres Kernthemas Klimaschutz.

Den Gesprächsfaden übers "Musterländle Klimaschutz", wie es in dem FfF-Papier heißt, und zu den AktivistInnen will der Ministerpräsident nicht abreißen lassen. Nach dem ersten Treffen vor ein paar Monaten war er unzufrieden, weil er sich im Rückblick selbst als "zu oberlehrerhaft" empfand. Bei der zweiten Diskussion bemerkte er, dass seine Hinweise auf politische Mehrheiten, Zuständigkeiten und Möglichkeiten nicht wirklich verfingen. "Wir senken die Ticketpreise im ÖPVN, gerade in der Region Stuttgart", sagte er, "aber das kostet einfach Geld, und Geld fällt nicht vom Himmel". Für Anderes sei genau dieses Geld aber da, hielt ihm ein Mädchen entgegen. Die Atmosphäre war nicht unversöhnlich, aber auch nicht getragen von gegenseitigem Verständnis. 

Jetzt soll es weitere Treffen geben, gerade zum Forderungskatalog. Dessen erste 400 gedruckte Exemplare sind bereits vergriffen. Fast fünf Dutzend Ortsgruppen haben ihn unterzeichnet, von Schriesheim bis Isny, von Freiburg bis Ulm, erarbeitet wurde er gemeinsam mit den Scientists for Future Stuttgart und Professor Volker Wulfmeyer, Leiter des Instituts für Physik und Meteorologie an der Uni Hohenheim. Münden sollen die Forderungen in einen "1,5-Grad-Fahrplan".

Lob von der Politik, mal echt, mal vergiftet

In der Landespolitik wird das unterschiedlich aufgenommen. Andreas Schwarz, Chef der Grünen-Landtagsfraktion, bescheinigt der Fridays-for-Future-Bewegung, sie werde sehr zu Recht als Partner ernst genommen, genieße große Anerkennung und erhebe durchdachte Forderungen. Seine Fraktion werde "alle möglichen Hebel für mehr Klimaschutz im Land nutzen".

Anderes Lob ist teilweise eher vergiftet. Für die FDP-Fraktion begrüßt der Rottweiler Abgeordnete Daniel Karrais den Forderungskatalog, meint aber, er gehe an den Möglichkeiten des Landesgesetzgebers vorbei. Interessant, kontert Mundhaas, "wie die FDP schon eine Stunde nach unserer Pressekonferenz wusste, was nicht geht". Alles sei mit Wissenschaftlern ausgearbeitet, alle zehn Punkte könnten von Landesregierungen umgesetzt werden: "Wir hoffen, dass sich auch die FDP ihrer Verantwortung bewusst wird und die Einhaltung der überlebenswichtigen 1,5-Grad-Grenze priorisiert."

Den Grünen Schwarz hat die FfF-Bewegung zumindest in Teilen auf ihrer Seite, etwa bei der Idee eines Schattenpreises von 180 Euro pro Tonne CO2. Zur Erinnerung: Die Bundesregierung will ab 2021 mit zehn Euro pro Tonne einsteigen. Das 18-Fache davon ist die untere Grenze dessen, was laut Umweltbundesamt an Schäden durch den Ausstoß von schädlichen Gasen entsteht. "Alle landeseigenen Unternehmen und Einrichtungen müssen bei sämtlichen Entscheidungen und Ausgaben mit einem CO2-Preis von 180 Euro pro Tonne rechnen", heißt es in FfF-Forderung Nummer 1, um Klarheit über die tatsächlichen Kosten zu bekommen. Bei allen Ausschreibungen müsse das Land fordern, dass sich bewerbende Firmen ebenso mit diesem Schattenpreis kalkulieren.

Das ist nahe am Sofortprogramm der Grünen-Fraktion: "Um die realen Kosten des CO2-Ausstoßes für Gesellschaft und Umwelt zu errechnen, soll nach Plänen der Grünen ein sogenannter Schattenpreis von 180 Euro pro Tonne CO2 eingeführt werden", heißt es darin. Und weiter: "Darunter verstehen wir eine Art ökologisches Währungssystem, das bei Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen anzuwenden ist, die – von Baumaßnahmen bis zu Beschaffungen der Verwaltung – den Fokus auf klimafreundliche Produktion und Planungen verschieben sollen". Um den Unterschied zu erkennen, muss niemand Sprachwissenschaften belegt haben. "Muss" heißt es bei den einen, "soll" bei den anderen.

Die FfF-AktivistInnen bemühen Fakten, Kretschmann Sophokles

Vor allem aber kommen Noemi Mundhaas und Manuel Oestringer in allen Gesprächen immer wieder auf die Studie zurück. Sie haben sich im Landtag mit den Klima-Fachleuten von Grünen, CDU, SPD und FDP getroffen und wollen einen weiteren Vorstoß bei Kretschmann machen, weil der sie auch mit seinen Vergleichen bisher nicht überzeugt hat. Zum Beispiel mit dem Hochspringer, der schon bei 2,10 Metern nicht über die Latte kommt und sie deshalb auf 2,70 gar nicht erst legen muss. Genauso gehe es ihm aber politisch, sagt er an dem Tag, an dem sich sein Kabinett nicht auf eine einheitliche Position zur Verschärfung des Klimapakets von Union und SPD im Bund einigen konnte: "Mir fehlen einfach die Verbündeten."

Und dann arbeitet das Trio im spontanen Wortwechsel nach der allwöchentlichen Regierungspressekonferenz am 26. November noch einen anderen zentralen Unterschied heraus: Mundhaas und Oestringer setzen auf die Überzeugungskraft immer neuer Fakten. "Deshalb ja die Studie", beharrt die 24-Jährige. So wollen sie eine Dynamik bei der Bearbeitung des Megathemas Klimawandel erzeugen. Kretschmann dagegen hofft – "das könnt ihr schon bei Sophokles nachlesen" – auf den Menschen als findiges Wesen. Der könne Dinge machen, "die wir heute noch gar nicht kennen". Genau aus diesem Grunde müsse man auch nicht verzweifeln. Verzweifeln nicht, streiken schon: Am "Global Day of Climate Action" gehen wieder Zehntausende auf die Straße statt in die Uni oder in ihre Schulen. So lange eben, da sind die beiden Studierenden sicher, bis gehandelt wird.

 

Info:

Am Freitag, dem 29. November rufen die Fridays for Future zum Internationalen Klimastreik "Global Day of Climate Action" auf. Wo überall und ab wann demonstriert wird, kann man hier nachschauen.


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3 Kommentare verfügbar

  • Manfred Müller
    am 19.01.2020
    Antworten
    Wie fast überall, nehmen wir Deutsche uns zu wichtig! Wir sind nun einmal keineswegs der Nabel der Welt. So ist auch die hiesige Klimadiskussion von Ideologien überfrachtet. Es werden auch viele - von sogenannten Klimaexperten - vorgebetete Argumente einfach nur nachgeplappert. Bei einem…
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