KONTEXT:Wochenzeitung
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Keine Klagen bitte!

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Im Windschatten des Klimaschutzes hat das Bundesverkehrsministerium ein Gesetz auf den Weg gebracht, das das bisherige Planungsrecht bei Großprojekten auf den Kopf stellt. Klagemöglichkeiten von Bürgern und Umweltverbänden schließt es nahezu aus. Am 4. Dezember berät der Bundesrat darüber.

Andreas Scheuer ist ein Freund einfacher, griffiger Formulierungen. "Klimaschutz soll Spaß machen" ist eine davon, "Wir wollen mehr H2O und weniger CO2" eine andere. Wem sich Sinn und Kontext letzterer Aussage nicht gleich erschließen: Bundesverkehrsminister Scheuer (CSU) tätigte sie im Juli dieses Jahres, als er den Aktionsplan "Niedrigwasser Rhein" vorstellte. Der Hintergrund ist der durch extreme Trockenheit im Sommer 2018 verursachte niedrige Pegelstand des Rheins, der die Schiffstransporte weitgehend zum Erliegen brachte – und damit auch viele vom Frachtgut abhängige wirtschaftliche Aktivitäten. Industriebetrieben fehlten die Rohstoffe, Tankstellen hatten zu wenig Benzin und Diesel. Die Güter mussten über die Straßen transportiert werden und nicht – und nun sind wir beim Scheuer-Punkt "weniger CO2" – emissionsärmer per Binnenschiff.

Das sei die am wenigsten klimaschädliche Transportweise überhaupt, sagt Scheuer, und damit die auch bei Niedrigwasser funktioniere, müssten beim Rhein oder anderen Flüssen die Fahrrinnen tiefer gegraben werden. Eine Klimaschutzmaßnahme also. Wer kann da etwas dagegen haben, dass die auch so schnell wie möglich umgesetzt wird? Mit wem Scheuer den Aktionsplan präsentiert hat (mit Industrievertretern) und mit wem nicht (Umweltverbänden und Bürgerinitiativen), weist schon grob die Richtung. Umweltverbände beispielsweise haben etwas dagegen, denn die hier plakativ behauptete Klimaschutzmaßnahme ist nicht unbedingt ökologisch; viele negative, inakzeptable Folgen für die Umwelt habe eine Fahrrinnenvertiefung des Rheins, argumentierte der BUND Rheinland-Pfalz schon 2015 wegen des gleichen Ansinnens. Dass die angebliche Klagefreudigkeit solcher Umweltverbände Planungsprozesse großer Projekte in die Länge ziehe, ist eine besonders gern bemühte Argumentation, oder neudeutsch: ein Narrativ von Wirtschaft und ihr naher Politiker.

Das soll nun anders werden. Nachdem Scheuers Ministerium schon im letzten Jahr ein "Planungsbeschleunigungsgesetz" vorgelegt hat, das Bürgerbeteiligung und Klagemöglichkeiten einschränkt (Kontext berichtete – am 7. Dezember 2018 trat es in Kraft), geht sein nächster Streich noch weiter: Am 6. November beschloss das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf mit dem grotesk sperrigen Namen "Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz" – zuvor "Genehmigungsbeschleunigungsgesetz".

Von der Ausnahme zur Regel?

Das Gesetz gehört zum Klimapaket der Bundesregierung. Doch sein Inhalt erweckt den Anschein, als sollten im Windschatten eines behaupteten Klimaschutzes grundlegende Rechtsveränderungen vorgenommen werden, auf die viele Wirtschaftsvertreter lange nicht einmal zu hoffen gewagt hatten. Ein Prinzip, das bei Rechtsverschärfungen im Sicherheitsbereich nach Terroranschlägen nicht unbekannt ist. Denn das Gesetz bedeutet, wenn es in Kraft tritt, nichts anderes als eine komplette Wende im Planungsrecht. Statt üblicher gründlicher Planfeststellungsverfahren können Infrastrukturprojekte nun einfach per Gesetz beschlossen – man spricht dann von einem "Maßnahmengesetz" – und dadurch quasi unanfechtbar werden. Denn die Klagemöglichkeiten von Bürgern und Verbänden fielen fast vollkommen weg. Statt vor Verwaltungsgerichtsinstanzen wäre nur noch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht möglich.

Zwar stehen im Gesetzentwurf bislang erst zwölf Projekte, bei denen das neue Gesetz testweise angewandt werden soll – sieben Eisenbahn- und fünf Wasserstraßenprojekte –, und es wird auch der Ausnahmecharakter betont. Doch viele Vertreter von Verbänden und auch Juristen erwarten, dass bald weitere folgen. Und manche Politiker erwarten dies offenkundig auch: Der Heidelberger FDP-Bundestagsabgeordnete Christian Jung, der den Gesetzentwurf ausdrücklich begrüßt, hat bereits eine Liste von Wünschen für den Südwesten genannt. Etwa den Ausbau des Walldorfer Autobahnkreuzes, die Vertiefung des Rheins nördlich von Karlsruhe, den zweigleisigen Ausbau der Gäubahn oder bestimmte Brücken über den Rhein.

Und der ehemalige Richter Dieter Reicherter befürchtet, das Gesetz könnte auch auf Stuttgart 21 angewandt werden; konkret auf den immer noch nicht planfestgestellten Abschnitt PFA 1.3b (Filderbahnhof mit Gäubahnanschluss). "Der Bundestag könnte dann durch ein Gesetz zum Beispiel die Projektausführung auf den Fildern regeln. Die Klagen der Schutzgemeinschaft Filder und andere Rechtsverfahren wären dadurch erledigt", so Reicherter am 11. November auf der 489. Montagsdemo gegen Stuttgart 21.

Scharfe Kritik von Verbänden und Juristen

Kein Wunder also, dass viele Umweltverbände und Bürgerinitiativen das Gesetz scharf kritisieren und Widerstand ankündigen. Scheuers Gesetzentwurf "verstößt klar gegen geltendes Recht", meint etwa BUND-Geschäftsführer Olaf Brandt: "Wer sich nicht an Umweltrecht halten möchte, schränkt das Klagerecht ein." Zudem sei Scheuers Ansinnen, Großprojekte per Gesetz genehmigen zu lassen anstatt durch eine Verwaltungsentscheidung, auch "eine schwere Verletzung der Aarhus-Konvention, welche die Beteiligungsrechte der Zivilgesellschaft garantiert." Scheuer setze sich also nicht nur über Bundes-, sondern auch über Europarecht hinweg.

Das sehen renommierte Juristen ebenso. Das Ziel des Gesetzentwurfs sei, "den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz und insbesondere die Umweltverbandsklage auszuschalten", so der Osnabrücker Rechtsprofessor Thomas Groß. Dies sei "weder verfassungs- noch europarechtskonform." Der Ausschluss eines effektiven Rechtsschutzes setze "in einer Zeit, in der in anderen EU-Staaten die Unabhängigkeit der Justiz eingeschränkt wird, ein fatales Signal für die Zukunft des Rechtsstaates in Deutschland."

Interessanterweise werden manche Kritikpunkte im Gesetzentwurf selbst eingeräumt: "Grundrechtlich relevant ist (…) die mit einem planfeststellenden Gesetz verbundene Minderung des gerichtlichen Rechtsschutzes", steht darin etwa. Daher haben solche Gesetze "Ausnahmecharakter", und "dem Gesetzgeber steht nicht generell eine Kompetenz zur Zulassung von Infrastrukturvorhaben anstelle der Verwaltung zu, sondern nur für einzelne, ausgewählte Projekte." Und wann konkret wäre das der Fall? "Wenn hierfür im Einzelfall gute Gründe bestehen, etwa weil die schnelle Verwirklichung des Vorhabens von besonderer Bedeutung für das Gemeinwohl ist." Eine durchaus dehnbare Formulierung. In einem vom Bundesverkehrsministerium beauftragten Gutachten zu dem Gesetzentwurf erläutert der Rechtsprofessor Jan Ziekow, "dass das ausgewählte Vorhaben ein dieses von anderen Vorhaben unterscheidendes Charakteristikum aufweisen muss, das die Abweichung von der gesetzlich normierten Regel-Zuständigkeitsordnung als von sachlichen Erwägungen getragen erscheinen lässt." Kurz: Um das Gesetz anzuwenden, muss schon ein sehr gewichtiger Grund vorliegen.

Doch genau diesen Anspruch halte Scheuers Gesetz nicht ein, sagt der renommierte Düsseldorfer Verwaltungsrechtler Clemens Antweiler auf Kontext-Anfrage: "Der besondere Sachgrund, die Gemeinwohlrelevanz sind hier entscheidend. Und daran fehlt es bei den zwölf im Gesetzentwurf genannten Projekten eindeutig." Die Bundesregierung halte sich hier nicht an die selbst gesetzten, sehr engen Ausnahmekriterien. Antweilers Fazit: Dies sei "der erste Schritt, dass die Ausnahme zur Regel wird."

Hektisch durchgeboxt

Erstaunlich ist auch, wie hektisch das Gesetz vorangetrieben wurde. Lässt sich Scheuers Aktionsplan für den Rhein im Juli zwar schon als Schritt in diese Richtung interpretieren, war dabei aber noch nicht von einem neuen, Planungsverfahren weiter beschleunigenden Gesetz die Rede. Explizit für ein solches setzten sich kurz danach erst die Länder Nordrhein-Westfalen (CDU-FDP-Regierung) und Niedersachsen (SPD-CDU-Regierung) ein. Am 13. September legten fünf CDU-Politiker, darunter der Vorsitzende der Mittelstandsunion Carsten Linnemann und Generalsekretär Paul Ziemiak, einen "Elf-Punkte-Plan für schnelleres Planen und Bauen" vor. Einige Punkte daraus: "Beschleunigung von Gerichtsverfahren", "verstärkten Einsatz von Maßnahmegesetzen prüfen" und "Verbandsklage einschränken".

Zum letzten Punkt wurde ausgeführt: "Umweltverbände sollen nur klagen dürfen, wenn die Belange des entsprechenden Verbands direkt betroffen sind oder eine ordnungsgemäße Beteiligung der Umweltverbände im Genehmigungsverfahren nicht gegeben war. Ansonsten wird das Verbandsklagerecht pauschal für die Blockade von Infrastrukturprojekten benutzt." Das zeigt ein Verständnis von Umweltverbänden als Störfaktor und ist eine kaum verhohlene Spitze etwa gegen die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und den BUND.

Anfang Oktober besuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel Tunnelbohrmaschinenhersteller Herrenknecht und sagte bei dieser Gelegenheit: "Es ist Tatsache, dass unsere Planung schneller werden muss." Und am 16. Oktober schließlich war der Gesetzentwurf fertig und wurde verschiedenen Umweltverbänden zur Stellungnahme vorgelegt – für die sie gerade einmal einen Tag Zeit hatten.

Mit erstaunlich wenig Medienresonanz wurde der Entwurf am 6. November vom Bundeskabinett durchgewinkt, als nächstes steht am 4. Dezember die Beratung im Verkehrsausschuss des Bundesrates an. Hier könnte es immerhin Gegenwind aus Baden-Württemberg geben. Das Land wolle "aller Voraussicht nach" gegen den Gesetzentwurf stimmen, man sehe diesen "mit großer Skepsis, weil damit Bürgerrechte ausgehebelt werden", wird Uwe Lahl, Amtschef im Verkehrsministerium, vom SWR zitiert. Einstweilen wird der Gesetzentwurf aber noch vom CDU-geführten Justizministerium geprüft. Davon ist auch abhängig, wie man sich im Bundesrat verhalten werde. Auf Kontext-Anfrage erklärte Ministeriumssprecher Robin Schray, eine Bewertung werde frühestens Anfang Dezember vorliegen.

Eisenmann wollte Lehren aus S 21 ziehen – jetzt nicht mehr

Koalitionssprengstoff bietet das Gesetz aber auch im Südwesten: Denn Susanne Eisenmann, Bildungsministerin und designierte CDU-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2021, hat sich schon klar auf die Linie der Bundes-CDU geschlagen: "Die CDU unterstützt das Ziel des Gesetzentwurfs, Verkehrsprojekte schneller umzusetzen", sagte sie gegenüber der "Stuttgarter Zeitung", und: "Nur durch einen schnellen Ausbau von Schienennetz und Wasserstraßen können wir einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz leisten."

Das mag verwundern. Denn im Zusammenhang mit Stuttgart 21 war Eisenmann vor einigen Jahren noch die einzige prominente CDU-Politikerin im Land, die bei dem Großprojekt Mängel bei der Bürgerbeteiligung beklagt und dabei in einem Gastbeitrag für die StZ sogar den Soziologen Niklas Luhmann und dessen Satz von der "Legitimation durch Verfahren" zitierte: Der besage vereinfacht, so Eisenmann, "dass langwierige Aushandlungsprozesse, die möglichst viele Interessen berücksichtigen, am Ende nicht nur gute Entscheidungen hervorbringen, sondern eben gerade auch breite Zustimmung erzeugen". Im Zuge der Vorwahlkampfprofilierung eine von ihr offenbar nicht mehr als opportun erachtete Meinung.

Allerdings lassen die aktuellen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ohnehin nicht erwarten, dass das Ländergremium sich gegen Scheuers Gesetz stellt. Doch selbst wenn es am Ende auch noch den Bundestag passiert, viele Kritiker prophezeien dem Gesetz schon jetzt, dass es ihm ebenso ergeht wie Scheuers letztem Debakel-Projekt, der PKW-Maut: Es scheitert wegen Unvereinbarkeit mit dem EU-Recht. Hier wird immer wieder die Aarhus-Konvention zitiert, die bestimmte Beteiligungsrechte der Bürger fordert. Daran hat die CDU offenbar auch schon gedacht: In dem erwähnten Elf-Punkte-Plan von Linnemann, Ziemiak und Co. steht an allererster Stelle: "Reform der Aarhus-Konvention". Und weiter: "Die Bundesregierung muss die EU-Ratspräsidentschaft 2020 für eine Initiative zur Reform der Aarhus-Konvention nutzen, um damit eine Verfahrensbeschleunigung und Modernisierung der Beteiligungsverfahren zu erreichen."

Der Jurist Clemens Antweiler kann allein über das Ansinnen nur den Kopf schütteln: "Wir ändern das europäische Umweltrecht, bis es uns passt? So wie das der amerikanische Präsident macht?" Doch selbst wenn dies versucht werde, glaubt er nicht an einen Erfolg.


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2 Kommentare verfügbar

  • Lowandorder
    am 02.12.2019
    Antworten
    Herr B'Scheuer - knüpft damit dort an - wo einst ein Helmut Kohl die sog planungsrechtlichen Großverfahren (Autobahnen Großdeponien Überlandleitungen 100Tds Volt + AtomR etc - aus durchsichtigen Beschleunigungs- sprich Rechtsschutzverkürzungsgründen - aus der Eingangsinstanz Verwaltungsgerichte 1.…
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