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Rote Socken reloaded

Rote Socken reloaded
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Seit Jahrzehnten hegt und pflegt die Union ihr linkes Feindbild. Nach der Landtagswahl in Thüringen ist der Preis, den alle DemokratInnen dafür zahlen, zu hoch. Denn mit der absurden Gleichsetzung von links und rechts wird die Relativierung von Nazis in Kauf genommen – auch in der CDU im Südwesten.

Thomas Strobl zieht einen alten Spruch besonders gern aus dem Zettelkasten, um seine Prioritäten bei der politischen Entscheidungsfindung zu illustrieren: "Erst kommt das Land, dann die Partei und dann die Person." Das Zitat, eigentlich von Erwin Teufel, ist gerade hochaktuell. Bernhard Vogel, einst Regierungschef in Rheinland-Pfalz und dann in Thüringen, begründet damit seine Unterstützung für Gespräche mit Bodo Ramelow. Denen sollte sich seine Partei "nicht versagen", zitiert die "Thüringer Zeitung" den 87-Jährigen, der aber zugleich eine Koalition ausschließt.

Aus Rheinland-Pfalz kommt auch CDU-Vize Julia Klöckner, die zu jenen ParteifreundInnen zählt, die schon der Gedanke an irgendeine Form der Kooperation zwischen CDU und Linken mit Grausen erfüllt. Schließlich propagiere letztere in ihrem Thüringer Wahlprogramm "die Rückkehr zum Sozialismus". Erschreckend sei, sagt sie gerade an die Adresse der mysteriösen Mitte der Gesellschaft, von der jetzt so viel die Rede ist, wie links und rechts "zwei Extreme auf fruchtbaren Boden fallen". Das müsse erst einmal in Ruhe analysiert werden, denn "ein paar Stunden danach eine komplette Theorie zu haben, das würde uns als Politiker und Sie als Journalisten überfordern".

Nicht wirklich: Die komplette Theorie zum Vorgehen der CDU ist so durchschaubar wie Plexiglas. In unregelmäßigen Abständen werden die immer gleichen Töne angeschlagen. Im Vertrauen darauf, dass in Vergessenheit geraten ist, wie geschmeidig nach der Wende die Überführung der dem DDR-Staatssozialismus anhängenden Schwesterparteien funktioniert hat. Und mit dem Kalkül, dass bei der Linken irgendwas hängen bleibt vom alten Hautgout der roten Socken. Selbst an einem evangelischen West-Import mit Gewerkschaftskarriere wie Bodo Ramelow. Dabei scheint der Zweck die Mittel zu heiligen, auch die Klöckners. Denn die Rückkehr zum Sozialismus steht gar nicht im Wahlprogramm der Linken.

"Womöglich nicht ganz dicht"

In den Programmen, sogar im 2011 in Erfurt verabschiedeten Grundsatzprogramm, finden sich statt dessen ganz andere Sachen. Solche, die CDUler, allen voran Mike Mohring, der Thüringer Landeschef und Auslöser der entlarvenden Aufregung, sofort unterschreiben könnten: "Unternehmerinnen und Unternehmer, die die Risiken der Selbstständigkeit tragen und in den bei uns überwiegend kleinen und mittleren Betrieben wirken, ermöglichen Beschäftigung, Ausbildung und Innovation. Sie brauchen Unterstützung beim Wachstum, weniger Bürokratie und Hilfe bei der Unternehmensnachfolge."

Nie wird der Begriff "Sozialismus" ohne das entscheidende Adjektiv "demokratisch" verwendet. Das unterschlagen CDU und FDP geflissentlich, immer in der Hoffnung, dass das Publikum den Bogen schlägt zum alten DDR-Sozialismus. Das wiederum soll die Gleichsetzung der "Linken" mit dem AfD-Landesverband rund um Björn Höcke rechtfertigen. Dabei wird in dessen Wahlprogramm, ein Beispiel von vielen, schwadroniert über die in Thüringen "günstigen Rahmenbedingungen", die eine "in Teilen linksextreme Landesregierung vorfindet, um über eine Veränderung des Staatsvolks ihrer ideologischen Wahnvorstellung einer multikulturellen Gesellschaft näher zu kommen".

Mohring will weiterhin Gespräche führen mit Ramelow. Einige schwarze Granden aus dem Norden und Westen finden das öffentlich gut. Manuel Hagel hingegen, Generalsekretär der baden-württembergischen CDU, hält alle, die "an dieser Stelle offen" sind, für "womöglich nicht ganz dicht". Es sei "grotesk", Gemeinsamkeiten mit der Linken zu suchen. Einer seiner vielen Kommentatoren widerspricht: "Wer lieber ein absolutes Chaos möchte, bevor man geschaut hat, ob man eine gemeinsame Lösung findet, ist wohl eher nicht ganz dicht." Bei aller Abneigung "gegen 'die Linke'", schreibt ein anderer, "so einen schlechten Job hat der Bodo jetzt auch nicht gemacht in Thüringen. Ähnlich wie Kretschi bei uns in BW".

CDU setzt auf Kampfparolen

Die Spitze in Baden-Württembergs CDU befeuert die andere Tonlage. "Ich habe für derartige machtpolitische Überlegungen keinerlei Verständnis", sagt Kultusministerin Susanne Eisenmann. Die Linke stehe für Enteignungen und habe den Sozialismus im Parteiprogramm stehen – das widerspreche der Grundüberzeugung in der CDU. "Mir sträubt sich wirklich alles, wenn ich an eine Zusammenarbeit denke", ergänzt Thomas Strobl, "in ein paar Tagen feiern wir den 30. Jahrestag des Mauerfalls – und dann darüber nachdenken, mit den SED-Nachfolgern zu paktieren?"

Der baden-württembergische Innenminister könnte sich die Antwort selber geben. Natürlich ist verständlich, dass sich eine große Mehrheit von ChristdemokratInnen sträubt gegen Dialog oder gar eine Suche nach Schnittmengen. Teils aus jeweils eigenem persönlichen Widerwillen gegenüber einer Partei, die als Nachfolgerin der oft als "Partei der Mauerschützen" titulierten SED in die deutsche Nachkriegsgeschichte eingetreten ist. Teils aus der nachvollziehbaren Sorge, dass etliche tausend Mitglieder einen solchen Tabubruch mit unverzüglichem Austritt quittieren würden.

Das schließt einen solchen historischen Schritt faktisch aus. Doch das hat sich die Union auch selber zuzuschreiben. Denn in ihrer Auseinandersetzung setzt sie weiterhin auf die allzu platten Kampfparolen und weigert sich, anzuerkennen, dass die Linke seit dem Mauerfall mehrheitlich eine deutliche Entwicklung durchgemacht hat: weg vom Schönreden der DDR hin zu einem wirklich demokratischen Sozialismus-Verständnis ohne jede Fixierung auf revolutionären Umsturz.

Die routinierte Gleichsetzung der Ränder

Der andere schädliche Reflex der CDU-Rhetorik ist bis heute die routinierte Gleichsetzung der Ränder. So sollte die absurde Vorstellung eingeimpft bleiben, die Linke von heute verfolge Vorstellungen, die nicht weniger inhuman, ökonomisch irrwitzig und demokratiefeindlich seien als die vom rechten Rand. "Die Linke schadet dem Ansehen der Demokratie ebenso wie die rechtsextreme NPD", sagte Thomas Strobl schon 2008 als Generalsekretär der Landes-CDU. Viel anspruchsloser geht's kaum bei der Analyse politischer Parteien. Ohnehin unvergessen ist Peter Hintzes Rote-Socken-Kampagne, mit der Kohls Generalsekretär 1994 den Verdacht schürte, SPD und Linke wollten gemeinsam die christlich-liberale Bundesregierung beerben. Dabei wussten alle AkteurInnen, dass es nur vier Jahre nach dem Mauerfall keine große Nähe zwischen diesen beiden Parteien im Bundestag gab.

Blockflöten

Für einige Monate in der Wendezeit haben Union und FDP die zum Markenkern stilisierte Bekämpfung des Sozialismus zwangspausieren lassen. Zum eigenen Nutzen, versteht sich. „Die Mitgliedschaft in der DDR-CDU zog eine ganz besondere Klientel an“, schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung im Rückblick auf die Christlich-Demokratische Union im Osten. Und weiter: „Die Blockpartei-Mitglieder wirkten noch unaufrichtiger als die durchschnittlichen Genossen, denn sie schoben sich noch bedenkenloser als jene die kleinen Vorteile zu, deren Austausch für das Funktionieren der DDR-Gesellschaft so wichtig war.“ Dennoch ging 1989 alles ganz schnell. Noch im November trat Gerald Götting, langjähriger Vorsitzende der DDR-CDU, zurück. Mitte Dezember wurde aus dem Bekenntnis zum Sozialismus eines zur Marktwirtschaft. Und im Oktober 1990 fand der Vereinigungsparteitag mit der West-CDU statt, ohne jeden prominenten Widerstand. (jhw)

In den Abwehrreflexen führender Funktionäre von Thomas Strobl bis Julia Klöckner zeigt sich zudem eine alte Dauerschwäche der Union: Das vertraute Weltbild ist nicht übertrieben anspruchsvoll begründet. Da ist die Thüringer CDU-Wählerschaft deutlich weiter. Mit einem Menschenfänger wie Ramelow und einer erstaunlichen Zweidrittelmehrheit vor Augen rät die ihrer bevorzugten Partei, sich die Sache mit der Ausschließeritis noch mal grundsätzlich zu überlegen. Und Kati Wilhelm, dreifache Biathlon-Olympiasiegerin aus dem Thüringer Wald mit sehr rot gefärbtem Haar und SPD-Nähe, hat die Auseinandersetzung über die Konsequenzen aus dieser womöglich historischen Landtagswahl schon mit einem bemerkenswerten Hinweis bereichert: Die Linken-Wähler von anno 2019 seien "garantiert nicht die, die die DDR zurück haben wollen". Kurt Biedenkopf, CDU-Urgestein und Ex-MP in Sachsen, weiß, dass die Linken "inzwischen keinesfalls mehr mit den Linken von vor ein paar Jahren zu vergleichen sind". Und Joachim Gauck, der Bundespräsident a.D., verlangt, einen Hardcore-Kommunisten zu unterscheiden von einem Ministerpräsidenten – und jetzt kommt's –, der doch gezeigt habe, "dass er mit einem linken Profil dieser Gesellschaft nicht schadet".

In der seit dem Wahlsonntag unter #ltwth2019 laufenden digitalen Debatte haben sich inzwischen Hunderte Normalos und Promis zu Wort gemeldet. "Die Union muss endlich die Gräben des Kalten Krieges verlassen", schreibt Gregor Gysi. Denn ein Bodo Ramelow stehe nicht am politischen Rand, sondern genau wie seine Partei "in der Mitte der Gesellschaft". Manche Tweets wiederholen sich, weil verschiedene AutorInnen auf dieselbe Idee kommen und UnionspolitikerInnen die Lektüre des Buchs "Wie Demokratien sterben" (Steven Levitsky/Daniel Ziblatt) empfehlen. Viele warnen vor der Äquidistanz. Und erst recht vor der Gleichsetzung von Björn Höcke, der gerichtsfest Faschist genannt werden dürfe, mit dem Erfurter Ministerpräsidenten.

Und Thomas Strobl könnte seinen Zettelkasten um eine in diesem Tagen besonders häufige ge- und retweetete Einsicht von Erich Kästner in Sachen Rechtsextremismus erweitern: "Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf."


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5 Kommentare verfügbar

  • Ruby Tuesday
    am 03.11.2019
    Antworten
    Parteien weben längst gemeinsam Deutschlands Leichentuch. Der Bodenseekreis gehört, sagt man, zu den finanziell besser gestellten Regionen der Republik. Trotzdem gestattet der in Parteien organisierte Obrigkeitsstaat die organisierte Grundwasservergiftung in Schutzgebieten. Die CDU, im…
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