Da habe ich natürlich nicht in meiner Funktion als Justizministerin geklagt, sondern die Klage noch als Oppositionelle eingereicht. Wenn eine Regierung Entscheidungen trifft, dabei um den richtigen Weg ringt, und dann der Meinung ist, eine verfassungskonforme Regelung gefunden zu haben, kann ich als Teil des Kabinetts nicht ausscheren und sagen: Dagegen gehe ich jetzt juristisch vor. Deswegen bin ich ja 1998 als Ministerin zurückgetreten, bei meiner Klage gegen den Lauschangriff, die erfolgreich war.
Aber Sie haben das grundsätzliche Dilemma beschrieben. Mit der Entwicklung neuer Technik suchen Sicherheitsbehörden immer nach erweiterten Möglichkeiten zur Überwachung. Dadurch muss immer wieder neu ausgelotet werden, wie weit das gehen darf, das ist eine niemals enden wollende politische Auseinandersetzung. Da gibt es die Stimmen, die finden: "Das geht doch noch mit unserer Verfassung." Und eben die anderen, die einen Blick auf die Grundrechte haben, und sagen: "Nein, da muss doch schon viel eher eine Grenze gezogen werden."
Im Zweifel zieht diese Grenze dann das Bundesverfassungsgericht.
Ich bin schon, sage ich mal, besorgt, dass die Politik so oft ausloten möchte, wie weit sie gehen kann. Es gibt nämlich inzwischen so viele Entscheidungen, dass man eigentlich sagen müsste: "Das müssen wir nicht mehr austesten, halten wir uns doch einfach daran." Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist ja das beste Beispiel, wo trotz eindeutiger Rechtsprechung auf nationaler und internationaler Ebene noch Versuche gestartet werden, das trotzdem durchzusetzen. Statt einfach mal zu sagen: "Jetzt machen wir eben das, was geht. Nämlich eine anlassbezogene und damit auch eingeschränkte Verwendung dieser Daten." Das macht die Auseinandersetzung ein bisschen mühsam, und auch das Bundesverfassungsgericht ist nicht immer nur erfreut darüber, was es dem Gesetzgeber dann ein weiteres Mal aufzuschreiben hat.
Wenn ein Gesetz ganz oder in Teilen als verfassungswidrig zurückgewiesen wird, ist das das Eine. Aber ist es nicht schon bedenklich, wenn der äußerste Rahmen des rechtlich Möglichen ausgereizt werden soll?
Ja! Weil hier ein schleichender Prozess in Gang gesetzt wird. Manche Politiker fühlen sich immer wieder berufen, zu sagen: "Die Bürger wollen doch, dass wir mehr für ihre Sicherheit tun. Die haben doch gar nichts dagegen." Die Bedenken, zum Beispiel über Missbrauchspotenziale, sind dann eher etwas für Experten, noch nicht so sehr für den breiten Mainstream. Umso wichtiger, dass man gerade bei diesen Themen nicht nachlässt, sondern immer wieder klar macht, wo die Grenze zu ziehen ist.
Sie sprechen oft von "vorgeblich" mehr Sicherheit, "vermeintlichen" Zugewinnen an Sicherheit oder "suggerierter" Sicherheit – was ja impliziert, dass damit gar nicht wirklich ein Mehr an Sicherheit geschaffen wird. Worum geht es denn eigentlich?
2 Kommentare verfügbar
asisi1
am 04.11.2019