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Wenn der Staatsschutz ermittelt

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Gegen die drei Stuttgarter Stadträte Luigi Pantisano, Hannes Rockenbauch und Tom Adler liegt ein Strafbefehl vor: Sie sollen wegen Hausfriedensbruch gut 6000 Euro zahlen. Die Ermittlungsgruppe Rabe hat alles sauber dokumentiert.

Als die Sachbearbeiterin vom Staatsschutz bei ihm anrief, dachte Luigi Pantisano zunächst, es könnte um die rassistischen Beleidigungen handeln, denen der linke Kommunalpolitiker seit Anfang 2016 regelmäßig ausgesetzt ist. Oder um die Morddrohung, die der Stuttgarter Stadrat erhielt. Immerhin ist die gleiche Kriminaloberkommissarin am Apparat, die federführend für die Ermittlungen war. Erfolge gibt es hier – bis heute – allerdings keine vorzuweisen. Stattdessen eröffnet sie Pantisano, dass sie sich mit dem Thema Rechtsextremismus gar nicht so gut auskenne. Eigentlich sei sie auf Linksextremismus spezialisiert. Und das ist auch der Grund für ihren Anruf: Gegen Pantisano laufe ein Strafverfahren wegen Hausfriedensbruch, und sie sei die zuständige Sachbearbeiterin. "Das kannst Du Dir nicht ausdenken," kommentiert der Stadtrat.

Das Telefonat begab sich im August 2018. Knapp vier Monate zuvor wurden in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 in Stuttgart-Heslach zwei leerstehende Wohnungen besetzt. Zwei Familien, die jeweils jahrelang vergeblich nach einer bezahlbaren Bleibe in Stuttgart gesucht hatten, zogen hier ohne Erlaubnis der Eigentümer ein. Und der Stuttgarter Gemeinderat diskutierte kontrovers, wie legitim ziviler Ungehorsam ist, um einer dramatischen Not mehr Gehör zu verschaffen. Viele äußerten zwar grundsätzliches Verständnis, betonten aber, dass Protest legal bleiben müsse. Unterstützt und befürwortet wurde die Aktion hingegen von Stadträten der Fraktionsgemeinschaft SöS-Linke-Plus. Daher saßen Hannes Rockenbauch (SöS), Tom Adler (Die Linke) und Luigi Pantisano (SöS) am 02. Mai 2018 in einer der besetzten Wohnungen und befragten eine junge Mutter, die hier fünf Tage zuvor eingezogen war, in einem Livestream zu ihrer Situation.

Nun handelt es sich beim Hausfriedensbruch, also dem unbefugten Eindringen in fremdes Besitztum, um ein Antragsdelikt, das nur dann verfolgt wird, wenn die Geschädigten es wünschen. Die Anzeige gegen Rockenbauch, Pantisano und Adler stammt jedoch gar nicht von den betroffenen Eigentümern, sondern von zwei alten Bekannten aus dem Gemeinderat: den Ex-AfDlern und Ex-Stadträten Bernd Klingler und Heinrich Fiechtner. Mit den Ermittlungen wurde daraufhin die Kriminalinspektion 6, der Staatsschutz, beim Polizeipräsidium Stuttgart beauftragt, und die hat ganze Arbeit geleistet.

Die Beweislage ist eindeutig: blaue Kommode und rotes Regal

Siebzehn Seiten umfasst die Medienauswertung der Ermittlungsgruppe Rabe (sic), auf denen der akribische Nachweis erfolgt, dass die drei Stadträte tatsächlich in der besetzten Wohnung saßen. Das belegen eine blaue Kommode, ein rotes Regal, ein Spiegel, eine Zimmerpflanze, eine Lampe und ein geflochtener Stuhl in der linken Wohnzimmer-Ecke, die im Live-Video der Stadträte zu sehen waren, und die die Ermittler in einem SWR-Beitrag über die Besetzung wie auch in ihrer polizeilichen Beweisdokumentation wiedererkennen.

Verbunden mit zahlreichen roten Umrahmungen und einer Grundriss-Analyse der besetzten Wohnungen halten es die Beamten ausweislich der Ermittlungsakte für höchstwahrscheinlich, dass es sich auf allen Aufnahmen um dieselben Gegenstände handelt, und das Live-Video der Stadträte aus der besetzten Wohnung gestreamt worden ist. Trotz intensiver Recherche ist den Staatsschützern dabei offenbar kompromittierendes Material entgangen. Unerwähnt bleibt, wie noch in der ersten Minute des Livestreams zu vernehmen war, dass die drei Stadträte heute zu Gast bei den Besetzern sind. Und ab Sekunde 36 fragt der Tatverdächtige Rockenbauch seinen Komplizen Pantisano: "Luigi, wo sind wir genau?" – "Wilhelm-Raabe-Straße 4, Stuttgart Heslach."

Auf Anfrage der Redaktion folgt – ein Geständnis. "Wir haben ja nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass wir in den besetzten Wohnungen waren", sagt Hannes Rockenbauch, der behauptet, sich dazu schon mehrfach öffentlich bekannt zu haben, und sich wundert, wie aufwändig das nun bewiesen werden soll. Auch Pantisano ist irritiert über den Aufwand und die Art, wie ihre friedliche Aktion nun als Linksextremismus kriminalisiert werde. Im Fall der Drohungen gegen ihn, sagt er, habe sich der Staatsschutz begnügt, die anonymen Schreiben auf Fingerabdrücke zu untersuchen und aufgegeben, als dort nichts zu finden war.

Häuser besetzen ist teurer als sie leer stehen zu lassen

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft jedenfalls leitete auf Basis der EG-Rabe-Ermittlungserfolge am 16. Juli 2018 ein Verfahren gegen die drei Stadträte ein, und vergewisserte sich zehn Tage später beim Telefonat mit den Eigentümern, dass die Strafverfolgung auch tatsächlich gewünscht ist. Die Geschädigten nahmen die Vorlage an und stellten einen Strafantrag, der beim Delikt des Hausfriedensbruch Voraussetzung für eine Verurteilung ist.

Seit vergangener Woche liegt nun ein Strafbefehl gegen die drei Stadträte vor: Sie sollen, ohne Gerichtsverhandlung, jeweils 30 Tagessätze zahlen. Das macht je nach Einkommenslage zwischen 1800 und 2400 Euro Buße. Für Tom Adler entbehrt die Summe nicht einer gewissen Ironie. Denn seit 2016 gilt in Stuttgart ein Zweckentfremdungsverbot, mit dessen Hilfe der ungerechtfertigte Leerstand von Wohnraum verhindert werden soll. Die Stadt kann deswegen Bußgelder bis zu 50 000 Euro pro Fall verhängen und tut das auch: Insgesamt 2400 Euro sind seit Inkrafttreten an Strafzahlungen verhängt worden. "Auch wenn es juristisch keinen Zusammenhang gibt", sagt Adler, "sind das doch interessante Verhältnisse."

Gegen die Strafbefehle wollen die drei nun Beschwerde einlegen und den Fall vor Gericht verhandeln lassen. Dass sie in den Wohnungen waren, bestreitet keiner von ihnen. "Wir als Stadträte gehen hin und reden mit den Leuten", sagt Pantisano. Für ihn sei das "eine Mindestanforderung an Kommunalpolitik". Während die Beweislage recht eindeutig erscheint, geht es den Dreien insbesondere um eine politische Einordnung: So gehöre es zum zivilen Ungehorsam dazu, das Gerichtsverfahren als Bühne zu nutzen. Aber braucht es das überhaupt noch? "Viele Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat behaupten, die Trendumkehr beim Wohnungsbau wäre schon geschafft", sagt Tom Adler und lächelt gequält. "Aber es wird schwer, diese Behauptung auch mit Fakten zu belegen."

Vom Staatsschutz auf CD gebrannt: Das entlarvende Video der Stadträte.


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8 Kommentare verfügbar

  • D. Hartmann
    am 10.08.2019
    Antworten
    Der Blick ins Gesetz ...

    § 123 Hausfriedensbruch
    (1) Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin…
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