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Krieg der Kerne

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Für den Koalitionsfrieden mit den Konservativen nimmt Ministerpräsident Winfried Kretschmann viel Gemurre seiner ParteifreundInnen in Kauf. Die umstrittene Verschärfung des Polizeigesetzes aber ist ein ganz anderes Kaliber – hier steht Markenkern gegen Markenkern.  

"Die Regierung ist stabiler, als man uns immer einreden will", sagt die konservative Kultusministerin Susanne Eisenmann, die bei den nächsten Landtagswahlen als Herausforderin von Ministerpräsident Winfried Kretschmann antritt. Tricky formuliert. Wer ist denn "man"? Vor allem in der CDU und ganz besonders in ihrer Landtagsfraktion wird fröhlich darüber spekuliert, wann und wie die ungeliebte Koalition mit den Grünen vorzeitig scheitern könnte. Anlässe gäbe es reichlich: das Tauziehen um den Landeshaushalt, das diesmal besonders heikel werden dürfte angesichts sinkender Steuereinnahmen und der herannahenden Schuldenbremse; Fahrverbote auch für Euro-5-Diesel in Stuttgart; oder eben die umstrittene Novellierung des Polizeigesetzes. Speziell die GralshüterInnen der inneren Sicherheit bei der CDU erfreuen sich an einem Szenario, bei dem dieses Thema dem ohnehin labilen Koalitionsfrieden zwischen den nach wie vor ziemlich unterschiedlichen Partnern heftige Rammstöße versetzt.

Für einen Ausweg wäre jenes Verhandlungsgeschick nötig, das gerade die Grünen im Staatsministerium eher selten an den Tag legen. Jedenfalls dann, wenn Markenkern gegen Markenkern steht. Winfried Kretschmann hat seit 2011, also schon unter Grün-Rot in Baden-Württemberg, vielfach und keineswegs ohne Erfolg bewiesen, dass er lieber den Konflikt mit der eigenen Partei riskiert als Koalitionsknatsch. In der von ihm so titulierten "Komplementärkoalition" mit der CDU – gemeint ist gegenseitige Ergänzung – hat er seinen eisernen Willen zum nachgiebigen Kompromiss noch ausgebaut. Von diesem Kurs hat er sich auch nicht abbringen lassen, wenn unten im Talkessel, in der Fraktion oder an der Parteispitze, Unmut hörbar wurde. Verkehrs-, Klima- oder Bildungspolitik lieferten dazu nicht wenige gute Gründe.

Das Polizeigesetz allerdings ist von anderem Kaliber. Im Nachgang zum Schwarzen Donnerstag im Stuttgarter Schlossgarten kämpfen die Grünen, allen voran der Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand, für Veränderungen. Die in anderen Bundesländern selbstverständliche anonyme Kennzeichnung der Einsatzkräfte in sogenannten Großlagen war nicht durchzusetzen, nicht gegen die SPD und gegen die CDU schon gar nicht. Stattdessen durfte Innenminister Thomas Strobl (CDU) BeamtInnen mit Body-Cams ausstatten und mehr PolizistInnen einstellen. In Mannheim wird "verhaltensbasierte Videoüberwachung" erprobt. Die seit November 2017 veränderte Rechtslage ließe es außerdem zu, auf Smartphones sogenannte Staatstrojaner zu installieren, um die laufende Telekommunikation von Verdächtigen anzuzapfen – was bislang noch an technischen Hürden scheiterte. Abwehren konnten die Innenexperten des größeren Regierungspartners in der ersten Novelle immerhin die Einführung von Online-Durchsuchungen oder einen vorbeugenden Polizeigewahrsam, der länger als 14 Tage dauern darf.

Union will die Verschärfung verschärfen

Zufriedengeben mochte sich Strobl damit nicht. Kaum waren die ersten Veränderungen unter Dach und Fach, kam der CDU-Landesvorsitzende mit seinem zweiten, 140-seitigen Entwurf aus der Kulisse. Ohne die Wirkung der beschlossenen Maßnahmen abzuwarten und – jeder schwarze Ministerpräsident hätte im umgekehrten Fall ein solches Vorgehen als üble Provokation gebrandmarkt – obwohl er ganz genau wusste, wie viel Widerstand es dagegen beim Koalitionspartner gab.

Aber steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein. Strobl will unter anderem, dass bestimmte Menschengruppen auf dem Weg zu Großveranstaltungen künftigen ohne einen konkreten Anlass und ohne einen Verdacht kontrolliert werden können. Ferner sollen Bodycams in Wohnungen eingesetzt, Schleierfahndungen und der sogenannte Präventivgewahrsam ausgeweitet werden. DNA-Analysen könnten zur Gefahrenabwehr angewandt und die heimlichen Durchsuchungen von Festplatten nun doch ermöglicht werden.

Da springt der Landesdatenschutzbeauftragte den Grünen zur Seite: Vor allem Letzteres, sagt Stefan Brink, sei, "wenn man es nüchtern betrachtet, eine Breitseite, die auf unsere Bürgerrechte abgefeuert wird". Insbesondere die Online-Durchsuchung von Computern wäre laut Brink ein massiver Eingriff in die Privatsphäre.

Ein Obergrüner warnt vor "1984"

Koalitionsinterne Gespräche fanden schon statt. "Die Verhandlungen laufen", heißt es im Innenministerium aufgeräumt. Der Fraktionsvize und parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Hans-Ulrich Sckerl, versucht, die eigenen Ansprüche zu verteidigen: "Wir  verfolgen eine andere Sicherheitspolitik und wollen die Balance aus Freiheit und Sicherheit wahren." Die Kombination der vorgeschlagenen unterschiedlichen Überwachungs- und Auswertungstools ziehe "dagegen schwere und nicht zu rechtfertigende Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürgern nach sich".

Aufgerufen von der Piratenpartei, hatten erst im Juli rund tausend AktivistInnen in Stuttgart gegen weitere Verschärfungen des Polizeirechts demonstriert. Und im Netz werden die Grünen von vielen Seiten an ihre Versprechen erinnert, weil es, wie der Landesvorsitzende der Piratenpartei Borys Sobieski sagt, "um schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte geht".

Einen strategischen Trumpf haben Minister Strobl und die Seinen allerdings in der Hand: Das Polizeigesetz muss ohnehin noch einmal geändert, weil angepasst werden an die Datenschutzgrundverordnung der EU. "Für uns hat die skizzierte zweite Reform des Polizeigesetzes das Ziel, den Datenschutz und den Schutz der Bürgerrechte zu verbessern, aber nicht zu verschlechtern", sagt Sckerl. Und speziell sein Landesparteichef Hildenbrand hat in der Vergangenheit gezeigt, dass er gerade hier keine Scheu hat, den Koalitionspartner schon mal anzukoffern – auch auf die Gefahr hin, Stirnrunzeln in der Villa Reitzenstein auszulösen.

Der Blick zwei Jahre zurück illustriert das Konfliktpotential. Hildenbrand hatte im Juni 2017 den Schwarzen "ausufernde Kontrollfantasien" vorgeworfen, weil Mautdaten zur Überwachung genutzt werden sollten. Die Aufregung war groß, erst recht, als der Grüne George Orwells "1984" ins Feld führte und den darin beschriebenen "totalitären Überwachungsstaat". Wie weit die beiden Parteien, aber auch inhaltlich und abseits der so gern von Einzelnen in der Union in Gang gesetzten Empörungsmaschinerie auseinander sind, unterstrich CDU-Generalsekretär Manuel Hagel. Er mochte oder konnte gar nicht verstehen, was dagegenspricht, auf ohnehin vorhandene Mautdaten zuzugreifen, um stattdessen "einen Verbrecher laufen zu lassen". Außer natürlich das "tiefsitzende Misstrauen der Grünen gegenüber Polizei und Justiz". Mal sehen, ob Ende 2019 Eisenmanns Satz von der Stabilität der Regierung noch immer seine Berechtigung hat.


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5 Kommentare verfügbar

  • Ruby Tuesday
    am 10.08.2019
    Antworten
    Der Regierungschef, der sich auch gern als Landesvater schmeicheln läßt schreibt nicht nur das Bestehen von Standesunterschieden fest indem er mit dem Landesadel Seit an Seit fest voranschreitet, auch mal zu einem Empfang mit Abendessen ins Neue Schloß lädt. Als der Erbprinz behauptete ihm wüchsen…
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