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Aufwachen!

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AfD-Abgeordnete wie Bernd Gögel, Emil Sänze und ihr Ex-Parteifreund Heinrich Fiechtner, leisten sich Unverschämtheiten am laufenden Band. Die anderen Landtagsfraktionen bringt das in die Bredouille. Weil noch immer nicht geklärt ist, wo die Grenze verlaufen muss zwischen kluger Zurückhaltung und dringend notwendigem Protest.

Winfried Kretschmann hat lange überlegt, wie er auf die schrille Tonlage von ganz rechts reagieren soll. Eines wollte er auf jeden Fall vermeiden: die Provokationen aufwerten durch eigenes Einschreiten. Im Landtag sitzt der Ministerpräsident traditionell gleich neben dem Rednerpult und damit den Gögels und Baums von der AfD direkt gegenüber. Fast jeden Zwischenruf bekommt er mit, darunter auch solche, die den Stenografen entgehen und deshalb den Weg ins Protokoll nicht finden. Viel Unsinn muss er sich anhören und viel Brüskierendes. Nur einmal rügt er das "völkische Denken", aus dem "ein neuer Totalitarismus wachsen kann". Das lasse sich bei Hannah Arendt nachlesen.

Zu Beginn der Sommerpause hat sich der Grüne die "Alternative für Deutschland" jetzt doch vorgeknöpft. Er spricht von der Mitverantwortung für die Verrohung der Sitten und beklagt, dass "die Reden im Landtag durchzogen sind von dumpfem Nationalismus und plumpen Ressentiments", dass "Institutionen zutiefst verachtet werden" und "Maß und Mitte gänzlich verschwunden" seien. Und Gögel und Sänze und Fiechtner belegen jeden einzelnen Vorwurf in ihren Reaktionen.

Emil Sänze hyperventiliert

Ersterer, Chef der größten Oppositionsfraktion, beklagt daraufhin per Pressemitteilung die "Anfeindungen eines gescheiterten Alt-Maoisten", der das politische Klima in Baden-Württemberg vergifte und Zwietracht unter den Menschen säe. Nationalismus wird umgedeutet in "patriotische Überzeugungen und die Liebe zur deutschen Heimat, zur deutschen Kultur und deutschen Werten". Er wirft Kretschmann vor, deutsche Staatsbürger verächtlich zu machen, "die ihre verfassungsmäßigen Rechte auf Meinungsfreiheit und gesellschaftliche Mitbestimmung wahrnehmen", er spricht von "widerlichsten Propagandamethoden" und dem "Züchtigungselement der Nazi-Keule, um deutsche Patrioten und national denkende Mitbürger zu stigmatisieren und kriminalisieren".

Noch schärfer reagiert Sänze, der einst versuchte hatte, AfD-Landeschef zu werden. Er bescheinigt dem Ministerpräsidenten, "beseelt zu sein von Zurückweisung und Rachegelüsten". Er wolle die Destabilisierung des Landes, damit "es zu politischen Auseinandersetzungen wie im Deutschland der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts" komme: "Dann wäre der Umbau in eine kommunistische Weltordnung sichergestellt. Das ist Kretschmanns Traum, das ist Kretschmanns Ziel. Die einzige Kraft, die ihn und seine Kumpane mit demokratischen Mitteln aufhalten kann, ist die AfD."

Fiechtner, der Stuttgarter Krebsmediziner, weiß abwegige Fantasien fast immer noch zu überbieten. Auf Facebook schreibt er von "faschistoiden Hetzern" gleich welcher Farbe, denen gemeinsam sei, dass sie "in demagogischer Manier passende Sündenböcke zur Ablenkung von ihren eigenen Schandtaten suchen". In einer Collage aus vier Fotos setzt er Kretschmann mit Hitlers Propagandaminister Josef Goebbels gleich. Spätestens damit wird aus Frechheit und Anmaßung ein möglicher Prüffall für Juristen.

Das Team im Staatsministerium will den Regierungschef nicht im Urlaub in Schottland stören, als wäre die Nachricht nicht ohnehin längst bei ihm angekommen. "Wir beobachten aber sehr genau", sagt der stellvertretende Regierungssprecher Arne Braun. Dazu müsste gehören, wie Fiechtner nachlegt ("Im Gegensatz zu Kretschmann verfolge ich keine totalitären Ideen") oder wie ihm die Idee gefällt, die Bürgerschaft zum Waffentragen zu verpflichten. Beobachtet werden müsste sowieso viel konsequenter, zum Beispiel die Facebook-Blase von Gögel.

Der Ministerpräsident wird für "demenzkrank" oder "irre" erklärt und soll ausgebürgert werden, nach Sibirien oder Saudi-Arabien, damit er dort "die Sharia genießen" kann. Den Mechanismus der Verbreitung solcher wahnartigen Ausfälle beschreibt Kretschmann selbst: "Früher wurden am Stammtisch auch wüste Dinge gesagt, vor allem hat man gut gebechert dabei", sagt er in einem Interview. "Aber das hat halt fünf Leute erreicht." Heute seien es gleich Tausende in den sozialen Medien, und dort schaukele sich die Blase einfach hoch.

Sabine Wölfle (SPD) will Konsequenzen

Daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen, verlangt einmal mehr die Emmendinger SPD-Abgeordnete Sabine Wölfle. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende kritisiert die AfD regelmäßig scharf, hat schon mehrfach ein gemeinsames Vorgehen der anderen Fraktionen angeregt. Jetzt aber müsse gehandelt werden: "Die aktuelle Entgleisung von Fiechtner, aber auch die Kommentare von Gögel, Christina Baum und Sänze, die ständigen Regelverstöße und die sichtbare Verachtung des Parlaments müssen endlich eine Antwort bekommen." Wölfle schlägt vor, dass Grüne, CDU, SPD und FDP "eine interfraktionelle Arbeitsgruppe bilden, welche sich aufgrund der Erfahrungen der vergangenen drei Jahre eine Strategie überlegt, wie man in der noch verbleibenden Restzeit der Legislaturperiode einen angemessen Umgang mit der AfD findet".

Gerade um den Anfängen zu wehren: Fiechtners Profil hat 5000 Likes auf Facebook, das von Bernd Gögel 7500, Alice Weidel hat fast eine Viertelmillion. Donald Trump bringt es auf 24 Millionen, Matteo Salvini, Italiens Innenminister und einer der größten Hetzer, der keine JournalistInnenfragen mehr beantwortet und nur noch digital oder direkt vor den überall in Italien jubelnden Fans kommuniziert, auf für Europa erschreckende 3,7 Millionen. Applaudiert wird ihm in einem Land, in dem 80 Prozent der Menschen Katholiken sind, vor allem für seine anhaltende Niedertracht. Aktuell zum Beispiel Salvinis Ankündigung: "Scheiß Zigeunerin, du wünschst mir ein Projektil, ich komme bald mit dem Bagger. Ciao!"

Es gilt diese Erkenntnis aus allen europäischen Ländern, in denen PopulistInnen das Sagen oder zumindest Einfluss haben, und in den USA erst recht: "Die, die mit dem Hass nicht einverstanden sind, sind schlichtweg zu leise", sagt Matthias Quent, Direktor des von der Amadeu Antonio Stiftung getragenen Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft. "Sie verlassen die Netzwerke und sind nicht hörbar."

Von Hilfslosigkeit spricht Sabine Wölfle und erinnert daran, dass der nächste Wahlkampf im Land schon demnächst beginnt. "Dann brauchen wir erst recht einen Plan", sagt die gebürtige Wuppertalerin, die selbst bereits Adressatin von Morddrohungen war. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke will die Debatte vor die Tür von Landtagspräsidentin Muhterem Aras tragen. Das Landtagspräsidium sei "der richtige Ort ist, um derartiges Fehlverhalten zu diskutieren". Im Übrigen setzt er auf "die Vernunft" des Publikums, sich "ein Urteil über solche verbalen Amokläufe zu bilden". Ansonsten werde es wenig Möglichkeiten geben, AfD-Leuten "den Mund zu verbieten".

"Lass es nicht an dich ran!"

Aras unterstreicht unterdessen, wie wichtig grundsätzliche Überlegungen dazu sind, wo billige Polemik, die für Schlagzeilen sorgt, endet, und wo der wehrhafte Schulterschluss gefragt ist. In einem Interview mit der "Südwest-Presse" nach dem Kretschmann-Goebbels-Post berichtet sie, wie sie ihr Amt – beispielsweise bei Schulbesuchen – manchmal mit dem eines Schiedsrichters beim Fußball erklärt: "Es darf robust zugehen, aber die Spielregeln müssen eingehalten werden." Es geht aber nicht robust zu im Landtag, auf Parteiveranstaltungen und im Netz. Sondern demokratieverachtend.

Immerhin macht die Landtagspräsidentin öffentlich, wie sie inzwischen mit Hassmails umgeht. Anfangs habe sie gedacht: "Lies es nicht, lass es nicht an dich ran!" Seit gut einem halben Jahr wird aber sortiert. Alle Mails, die einen Straftatbestand erfüllen, gehen an die Staatsanwaltschaft. "Gegen einige Hetzer ist schon Ordnungsgeld verhängt worden", berichtet Aras. Auch Kretschmann kann gegen Heinrich Fiechtner vorgehen. Die Blaupause dafür hat der Freiburger Rechtsanwalt und AfD-Rechtsaußen Dubravko Mandic geliefert. 2015 montierte er die Gesichter von 15 SpitzenpolitikerInnen, darunter Angela Merkel und Joachim Gauck, in ein Bild von Angeklagten in den Nürnberger Prozessen und postete es auf Facebook. Inzwischen ist er wegen Beleidigung in mehreren Fällen verurteilt.

Genauso wie Wölfle will Uli Sckerl, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, nach der Sommerpause auf die anderen Fraktionen zugehen. Immer aufs Neue zeige sich, "dass alle demokratischen Kräfte gefordert sind, diesem abstoßenden Schauspiel entgegenzutreten". Im Plenum selber trete die AfD "die Würde des Hauses mit Füßen". Ihre Reden, ihre Pressemitteilungen und Verlautbarungen via Social Media seien "durchzogen von persönlichen Beleidigungen, dumpfem Nationalismus und plumpen Ressentiments, in denen es immer um Hass und Hetze geht". In der AfD-Fraktion sieht Sckerl "ein Sammelbecken von Selbstdarstellern, Rechthabern und radikalen Kräften", das dem freiheitlich-demokratischen System den Kampf angesagt habe. Als solches will er sie bezeichnet sehen – laut, vernehmlich und besser früher als später.


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