Für Lingens Chef hingegen war die Schredder-Affäre das Aus: Heinz Fromm, der eine Vertuschungsaktion nicht ausschließen wollte, beklagte, von seinen eigenen Mitarbeitern "hinters Licht geführt worden" zu sein, und trat ab, um einen "personellen Neuanfang" zu ermöglichen. "Die jetzt aufgetretenen Mängel zeigen, dass es in unserem Verfassungsschutz-Verbund dringenden Reformbedarf gibt", sagte der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Mit der Aufgabe, das Vertrauen in die Behörde wiederherzustellen, wurde daraufhin Hans-Georg Maaßen betraut.
Noch unter seinem Vorgänger wurde eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des BfV in die Wege geleitet, die 2015 fertig war (die zuständigen Historiker beklagten in diesem Zusammenhang "einen durch vielerlei Umstände stark reduzierten Quellenbestand"). Maaßen erwähnte bei der Vorstellung der Ergebnisse zwar auch beiläufig, dass es Altnazis ins Amt geschafft haben. Vor allem aber monierte er eine "politische und mediale Skandalisierung von Fehlern oder vermeintlichen Fehlern", die "nicht erst in den 2000er Jahren begann" und die Arbeit seiner Beschäftigten diskreditieren. "Wenn aber die Angst besteht, dass jeder Fehler zum Anlass genommen wird, das Amt und seine Mitarbeiter vorzuführen, dann darf man sich nicht, über eine Kultur der Risikovermeidung wundern."
Viel eher aber ist die Presse oft verblüffend unkritisch mit den Umtrieben der Behörde. Die "dringenden Reformen", die Minister Friedrich einst ankündigte, hat es nie gegeben. Es gibt noch heute faktisch keine Möglichkeit, das BfV einer öffentlichen – und damit demokratischen – Kontrolle zu unterziehen. Das V-Mann-System wird kaum hinterfragt. Derweil freut sich das Amt über ein immer üppigeres Budget: Laut geheimen Haushaltsunterlagen, die dem Rechercheverbund aus "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR vorliegen, konnte die geheimdienstliche Buchhaltung ein sattes Plus von 18 Prozent verzeichnen – innerhalb eines Jahres, von 2016 auf 2017. Gestartet mit ein paar Dutzend Mitarbeitern im Jahr 1960 sind es inzwischen über 3000.
Dass einer wie Maaßen Präsident werden kann, verrät viel
Nachdem auch Maaßen im November 2018 gegangen werden musste, dreht er vollends hohl. Auf "Netzpolitik" charakterisiert der Journalist Markus Reuter den "Twitter-Troll" treffend als einen "geheimdienstgewordenen Sarrazin der Christdemokraten, der Matussek unter den Schlapphüten, eine Erika Steinbach mit Nickelbrille". Allerdings wäre es ein Irrglaube, der bis vor kurzem oberste Verfassungsschützer hätte sich erst nach seinem Abtritt als Präsident radikalisiert – als neurechter Vordenker gebrauchte er beispielsweise den menschenverachtenden Begriff "Asyltourismus" schon 1997, da er in seiner Doktorarbeit Möglichkeiten aufzeigen wollte, das bestehende Asylrecht möglichst restriktiv zu handhaben. Glaubensgemeinschaften, die Kirchenasyl gewährten, unterstellte Maaßen nur wenig später die Bildung einer kriminellen Vereinigung. Und auch seine sadistischen Veranlagungen demonstrierte er bereits vor Jahren. Etwa als er ein Gutachten zum Fall Murat Kurnaz anfertigte, das dafür verantwortlich war, dass ein Unschuldiger vier Jahre lang in Guantanamo gefoltert wurde: Kurnaz hätte bereits 2002 in die Bundesrepublik zurückkehren können – Maaßen aber sprach ihm sein unbegrenztes Aufenthaltsrecht ab, da er sich (durch seine Inhaftierung bedingt) länger als sechs Monate außer Landes befunden habe, ohne dies den Behörden mitzuteilen.
Ein Umstand, der bei der Amtseinführung des rechten Hardliners bekannt war und von den Oppositionsparteien bemängelt wurde, die Personalie jedoch nicht verhindern konnte – und ein Schlaglicht wirft auf den Geist, der im Verfassungsschutz noch heute lebt. Auch bei den Kollegen in Baden-Württemberg.
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Philippe Ressing
am 03.08.2019