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"Winfried, bleib grün!"

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Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Das umstrittene Handelsabkommen CETA hat weiterhin das Zeug, einen Bruch der baden-württembergischen Landesregierung zu provozieren. Die Positionen von Grünen und CDU stehen sich diametral gegenüber. 

"Winfried, bleib grün! NEIN ZU CETA!", steht auf dem Plakat, das die AktivistInnen vom "Greenteam Schwabenpower" (GTS) dieser Tage mit zum Gespräch in die Landesgeschäftsstelle seiner Partei gebracht haben. Später bedanken sie sich für den fairen Austausch, "der uns inhaltlich jedoch leider nicht weitergebracht hat." Es steht fest, heißt es in einem offenen Brief, "egal mit wem man von den Grünen in Baden-Württemberg spricht, alle sind gegen CETA, außer Herrn Kretschmann." Es sei "äußerst undemokratisch, dass sowohl WählerInnen als auch Mitglieder der Partei eine klare Meinung haben, aber der grüne Ministerpräsident dies einfach ignoriert."

Tatsächlich haben die Grünen eine klare Position. Noch immer, heißt es in Partei und Fraktion, seien die Eckpunkte der Landesregierung zu Handel und Freihandel bindend. Sie haben jedoch den Schönheitsfehler, dass sie noch aus grün-roten Zeiten stammen. "Wir lehnen einseitige Gerichte und Sonderklagerechte für private Investoren ab", besteht Josha Frey, der europapolitische Sprecher, im Kontext-Gespräch auf den altbekannten Positionen. Die seien "unsere Maßstäbe für eine Zustimmung, denn wir sind davon überzeugt, dass es möglich ist, das Abkommen im Sinne unserer Kriterien zu verändern, so lange es nicht endgültig in Kraft gesetzt ist." Noch laufen die Verhandlungen, und die müssten genutzt werden. 

Im grünen Wahlprogramm 2016 sind die Versprechen zu CETA klar formuliert. Eindeutige Parteitagsbeschlüsse liegen vor, im Juni 2016 legt sich Kretschmann kurz nach seiner Wiederwahl sogar fest in einem Interview mit Sarah Händel, der Landesgeschäftsführerin von "Mehr Demokratie": Das Land werde "so einem Abkommen erstmal gar nicht zustimmen". Denn das müsse so gefasst sein, "dass unsere Werte und Maßstäbe gehalten und nicht unterminiert werden". Die CDU-Zusagen schauen allerdings ganz anders aus: Die derzeitigen Verhandlungen der EU mit wichtigen Wirtschaftspartnern über Handelsabkommen hätten die Schaffung eines klareren Rahmens für Unternehmen und Verbraucher zum Ziel. Und weiter heißt es im Wahlprogramm: "Gerade die mittelständische Wirtschaft würde vom Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse und der Schaffung gemeinsamer Standards profitieren, denn dies ist im besonderen Interesse Baden-Württembergs." 

90 000 Unterschriften gegen das Abkommen

Inzwischen ist einiges passiert. CETA wurde nachgebessert, etwa in Fragen der Daseinsvorsorge und vor allem, um die Unabhängigkeit der RichterInnen in den geplanten Schiedsgerichten sicherzustellen sowie deren Zuständigkeiten zu begrenzen. Zugleich stimmte das Europäische Parlament 2017 mehrheitlich für das Handelsabkommen mit Kanada. Die Wallonie klagte trotzdem vor dem Europäischen Gerichtshof. Der stellte Ende April gutachterlich klar, "dass eine internationale Übereinkunft, die die Einrichtung eines mit der Auslegung ihrer Bestimmungen betrauten Gerichts vorsieht, dessen Entscheidungen für die Union bindend sind, grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar ist." Sie könne Auswirkungen auf die Zuständigkeiten der Unionsorgane haben – allerdings müssten die wesentlichen Voraussetzungen für die Wahrung des Wesens dieser Zuständigkeiten erfüllt sein, und "die Autonomie der auf einem eigenen verfassungsrechtlichen Rahmen beruhenden Unionsrechtsordnung darf nicht angetastet werden." Ausdrücklich erwähnt werden "die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte".

Mercosur stoppen

Seit 2000 hat die EU mit Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay verhandelt. Jetzt liegt ein Abkommen auf dem Tisch, das die BefürworterInnen eine "historische Chance" nennen, weil die Europäische Union und die Mercosur-Staaten einen Wirtschaftsraum für mehr als 770 Millionen Menschen schaffen wollen. Den GegnerInnen ist der Preis dafür viel zu hoch, vor allem weil viele Standards nicht angeglichen sind. "Südamerika betreibt eine besonders intensive Form der Landwirtschaft", heißt es in einer der zahlreichen Petitionen. In Argentinien und Brasilien würden "Pflanzengifte wie Glyphosat und viele andere massenhaft eingesetzt und zerstören somit wertvolle Ökosysteme wie das Binnenland-Sumpfgebiet Pantanal und den Amazonaswald." Zudem habe der rechtsextreme Präsident Brasiliens Jair Bolsonaro über 200 Pestizide zugelassen, die teilweise in der EU verboten seien. Fast 250 000 UnterstützerInnen unterzeichneten online bereits den Appell von "Campact" an Angela Merkel und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, "den Mercosur-Vertrag zu stoppen – damit die bäuerliche und ökologische Landwirtschaft in Europa weiter eine Chance hat!" (jhw)

Das reicht den GegnerInnen bei Weitem nicht. Eine Petition wurde gestartet, die inzwischen mehr als 90 000 Menschen unterschrieben haben. GTS will "den Druck immer weiter erhöhen und gemeinsam mit allen Menschen, die sich für einen gerechten und ökologischen Handel einsetzen, auf einen Stopp von CETA im Bundesrat hinwirken." Dabei richte sich der Protest nicht gegen die Grünen, im Gegenteil soll deren Basis der Rücken gestärkt werden. Adressat ist die Landesregierung, denn der dürfe "nichts wichtiger sein als die Bewahrung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und unserer Lebensgrundlagen". 

In einem Brief stellen die Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand klar, dass sich an ihrer Haltung nichts ändern werde. "Der Europäische Gerichtshof hat kürzlich geurteilt, dass die im CETA-Handelsabkommen enthaltenen Investor-Staat-Schiedsgerichte mit Unionsrecht vereinbar sind", schreiben die beiden an das Konstanzer "Bündnis für gerechten Welthandel – gegen TTIP, CETA, TiSA". Diese Entscheidung ändere aber "nichts daran, dass wir uns politisch weiterhin dafür einsetzen, Schiedsgerichte aus Handels- und Investitionsschutzverträgen zu streichen und keine Klageprivilegien für Konzerne zuzulassen, und die Bundesregierung sollte sich unabhängig von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs dafür einsetzen."

Die ist ohnehin am Zug. Vorgelegt werden muss ein Ratifizierungsgesetz. Bisher ist das Abkommen nur vorläufig in Kraft und von 16 EU-Staaten noch nicht endgültig unterzeichnet. Mehrere davon signalisierten nach dem EuGH-Gutachten jedoch die Bereitschaft, ihren Widerstand aufzugeben. In Deutschland steht noch eine weitere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus. "Mehr Demokratie", "Foodwatch" und "Campact" kritisieren die "konzernfreundliche Paralleljustiz" und wie mit dem Schutz von Umwelt, Verbraucherrechten oder mit der Entscheidungsfreiheit von Kommunen über die öffentliche Daseinsvorsorge umgegangen werde.

Freiheit der Politik vs. Freiheit kanadischer Unternehmen

Noch unter Grün-Rot hatte das Staatsministerium den Tübinger Rechtsprofessor Martin Nettesheim beauftragt, die Auswirkungen des Abkommens auf die Gestaltungsfreiheit von Ländern und Kommunen zu untersuchen. Hier steht eine Hürde, die Kretschmann eigentlich nicht nehmen kann. Denn Nettesheim sieht "die Freiheit der Länder und Gemeinden, den Bürgerinnen und Bürgern umfassende, effiziente und kostengünstige Leistungen der Daseinsvorsorge zu erbringen, durch die Freiheit zur Niederlassung kanadischer Unternehmen berührt." Auf 42 Seiten werden zahlreiche Konkretisierungen, Umformulierungen und Forderungen vorgeschlagen. Würden formulierte Linien nicht eingehalten, so legte sich die Grünen-Fraktion schon bei einer Klausur im Herbst 2016 fest, "kann die Landesregierung bei einem gemischten Abkommen im Bundesrat nicht zustimmen." Der damals noch neue Koalitionspartner CDU reagierte sofort scharf. Generalsekretär Manuel Hagel diagnostizierte Konfusion und verlangte nach einer klaren Linie. 

Mit ähnlichen Vorwürfen müssen sich auch die hessischen Grünen herumschlagen, die nicht zuletzt deshalb im Mai noch einmal einen Beschluss gefasst haben, um ihre Haltung festzuklopfen. Nach wie vor seien "wichtige Bedenken seitens der Gewerkschaften, von Verbraucherschutz-, Umwelt- und Landwirtschaftsorganisationen sowie von Kommunen hinsichtlich CETA nicht ausgeräumt – Bedenken, die wir teilen, und deshalb werden wir weiterhin die Gegenposition zu CETA im Rahmen unserer Möglichkeiten unterstützen." Die Betonung liegt auf "im Rahmen unserer Möglichkeiten", denn in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU war diese Position nicht durchzusetzen. 

In Baden-Württemberg konnten die Grünen immerhin im Vertrag verankern, dass das grün-rote Eckpunkte-Papier "Basis für die Bewertung" ist. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) steht allerdings bei den Unternehmen im Wort, und auf dem Weg in den nächsten Landtagswahlkampf bietet der Ratifizierungsprozess mannigfaltige Möglichkeiten, sich zu profilieren. Joachim Kößler, der europapolitische Sprecher der kleineren Regierungsfraktion, bezeichnet das EuGH-Urteil als "ein wichtiges Signal für den Wirtschaftsstandort Europa". Der Abschluss von modernen Handelsabkommen bleibe damit weiterhin möglich. Und Kößler ist sicher, dass "vor allem die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes von solchen Abkommen profitieren." Die CDU will auf dem Weg zur Entscheidung im Bundesrat den Druck auf Kretschmann erhöhen. Auch wenn es aktuell auf die sechs baden-württembergischen Stimmen gar nicht ankommt, weil bei 34 Schluss ist, wenn alle Unterstützer-Länder sich versammeln, die Mehrheit aber bei 35 liegt. Druck gibt's aber auch von der GegnerInnen-Seite. Petitionen laufen gegen das Handelsabkommen, der Offene Brief ist verschickt und die Ansage gerade an den Ministerpräsidenten unmissverständlich: "Wir werden gemeinsam mit allen Menschen, die sich für einen gerechten und ökologischen Handel einsetzen, auf einen Stopp von CETA im Bundesrat hinwirken." An der Unterstützung der grünen Basis im Land wird das im 40. Jahr der Parteigeschichte nicht scheitern. 


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