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Die Spaltung der Spalter

Die Spaltung der Spalter
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Viele in der "Alternative für Deutschland", auch im Südwesten, haben nur ein Ziel: Die loszuwerden, die sie schmähen als Spalter und Kompromissler, angepasst an die verachteten Altparteien. Fest im Blick haben diese Ultras speziell den Vorsitzenden der Landtagsfraktion Bernd Gögel und Bundessprecher Jörg Meuthen.

Die AfD laufe Gefahr, "von Rechtsextremisten unterwandert zu werden". Sagt wer? Diesmal der eigene Landesvorstand in Schleswig-Holstein. Aber die Einschätzung gilt genauso für NRW oder Baden-Württemberg, die Bundesebene, eigentlich für alle, wie ein Blick auf die Deutschland-Karte beweist. Im Saarland geht es drunter und drüber, Berlin streitet um die Legitimität des Landesvorstands, Niedersachsen über eine externe Finanzkontrolle, in Sachsen werden Landtagskandidaten wegen formfehlerhafter Wahl nicht zugelassen, in NRW platzt ein Parteitag am vergangenen Wochenende und damit der Landesvorstand, weil sämtliche Gemäßigteren ausziehen, in Rheinland-Pfalz ebben Grabenkämpfe auf und ab, in Bayern verhängt das Schiedsgericht eine Parteiordnungsmaßnahme mit Sprengsatz, weil der "Flügel", die Extremistentruppe um Björn Höcke, als mit der AfD "konkurrierende politische Organisation" eingestuft wird. "Wir haben von Spaltern die Nase gestrichen voll", peitscht der in seinen Kreisen messianisch verehrte Höcke die AnhängerInnen auf.

Auf dem berüchtigten und wie immer auch in diesem Jahr überbuchten Kyffhäuser-Treffen des "Flügel" ebenfalls am vergangenen Wochenende präsentiert sich der frühere Gymnasiallehrer als innerparteilicher Erneuerer: Wenn die Landtagswahlen im Osten geschlagen sind, wolle er sich "zum ersten Mal mit großer Hingabe und Leidenschaft den Neuwahlen des Bundesvorstand hingeben, und ich kann euch garantieren, dass dieser Bundesvorstand in dieser Zusammensetzung nicht mehr wiedergewählt wird".

Viele Worte, wenig Taten

Das geht frontal gegen einen, der einst – als "Freund" Höckes übrigens – auszog, um der Partei ein gemäßigteres Image zu verpassen: Jörg Meuthen. Noch vor wenigen Jahren wirkte der Mann unauffällig in Kehl als Professor für Volkswirtschaftslehre, dann wurde er Chef der Stuttgarter Landtagsfraktion, inzwischen ist der Bundessprecher und sitzt im Europaparlament. Das Kalkül, als bürgerlicher Querdenker mit guten Manieren wahrgenommen zu werden, ging teilweise sogar auf – trotz seiner Auftritte beim "Flügel", trotz seiner Nachsicht mit ParteifreundInnen vom Schlage Heinrich Fiechtner, der inzwischen selber ausgetreten ist aus Partei und Fraktion.

Aus den vielen vollmundigen Ankündigungen von Parteiausschlussverfahren, etwa gegen die eben erst wiedergewählte Kieler Landesvorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein, ist bisher allerdings wenig geworden. Am Wochenende lässt sich der 58-Jährige wieder einmal mit einem dieser typischen Meuthen-Sätze zitieren, die am Ende alles und nichts sagen: "Ich sehe alle involvierten Funktionsträger in meiner Partei in der Pflicht, die Notwendigkeit des Parteiausschlusses all denen zu vermitteln, die bisher noch zur Unterstützung von Frau von Sayn-Wittgenstein und anderen neigen."

Die S-Frage

Im Netz haben die vielen Anonymi, die so gerne blaue Herzen, blaue Daumen oder blaue Blumen posten – die Kornblume war dazumal das Erkennungszeichen von Nazis im Untergrund –, den Stab über den Professor gebrochen. Weil er nicht geliefert hat an seiner neuen Wirkungsstätte in Brüssel und Straßburg, weil es nichts geworden ist mit der "bärenstarken Truppe", die die Gemeinschaft "reparieren" sollte. Nicht einmal in Baden-Württemberg, dem Land mit dem im Westen höchsten AfD-Europawahlergebnis von vergleichsweise bescheidenen zehn Prozent. Im "Flügel"-Facebook firmiert Meuthen als "Loser" oder wird, ohne ihn beim Namen zu nennen, als einer der "Rechtsbrecher" im Bundesvorstand tituliert.

Und immer drehen sich die Diskussionen darum, dass völkische Ausfälle, antisemitische Sprüche oder unterirdische Provokationen wie jene von Stefan Räpple regelmäßig im baden-württembergischen Landtag doch gedeckt seien von der Meinungsfreiheit. Haudrauf Höcke selbst wird da unversehens höchst sensibel und verweist wie seine Epigonin Christina Baum auf die Erfahrungen in der DDR, durch die man eben besonders sensibel geworden sei. Und er wirft beim Hochamt der Extremen und noch Extremeren die neue S-Frage auf. S wie Spaltung. Er raunt von einer Zeit, in der wir "die Partei hinter uns lassen müssen", davon, wie alle noch viel zu sehr im Selbstbeschäftigungsmodus seien, wie viel zu viel Zeit verloren gehe durch "Menscheleien" und viel zu wenig bleibe, "um das politische Establishment zu jagen, was denn sonst?"

Was denn sonst muss warten, Baden-Württemberg macht’s vor. Seit drei Jahren sitzt die AfD als stärkste Oppositionsfraktion im Landtag, der Zerfall der Fraktion und ihre Wiedervereinigung inklusive, einen Ausschluss, zwei Austritte und Provokationen am laufenden Band. Von Jagen ist keine Rede, von seriöser Arbeit erst recht nicht. 15 Gesetzentwürfe hat die selbsternannte Alternative vorgelegt, manche durchgereicht in allen Landesverbänden, manche nur provokant, andere – wie der zur strafferen Regelungen des Wahlrechts per Staatsbürgerschaftsnachweis – schlicht unverständlich.

Mit mehr als 1300 Kleinen Anfragen oder Anträgen versuchen diese seltsamen "Alternativen" – auch das ist ihre Masche in allen Parlamenten –, die Ministerialbürokratie zu beschäftigen. Viele davon drehen sich weiterhin ums Dauerthema Migration, andere atmen jenen völkischen Geist, der endlich weithin sichtbar in der Südwest-AfD triumphieren soll. Die nächste Gelegenheit bietet der kommende Landesparteitag im September. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass "Flügel"-AnhängerInnen dort erneut versuchen werden, den ungeliebten Fraktions- und Parteivorsitzenden Bernd Gögel loszuwerden.

Widerstand aus den eigenen Reihen

Im Sommerinterview mit dem SWR hat er kürzlich noch einmal unterstrichen, warum. Der immer reichlich bieder, gerne mit Aktentasche, aber eben auch einigermaßen unaufgeregt wirkende Speditionsunternehmer aus Tiefenbronn gab preis, dass er die Tonlage in den Reihen von Fraktion und Landesverband "nicht mit Freude sieht", dass sich, weil "Wahlen in Baden-Württemberg anstehen, viele Menschen in der AfD in den Vordergrund bringen möchten", was die Zwistigkeiten befördere. Das sei nicht angenehm, "aber das kennen wir", sagte Gögel ungewohnt offen. Und er macht sogar deutlich, dass er nicht bereit ist, jede Verbalinjurie oder jeden deutschnationalen Ausfall als Ausdruck Meinungsfreiheit durchgehen zu lassen und manche deshalb "nicht dauerhaft in der Partei bleiben können".

Genau dieses Gift, dass alles gesagt werden darf, ja sogar muss, träufelt Höcke aber erfolgreich. Republikweit bekämpft der "Flügel" die "Systemparteien" oder den "linksgrünen medialen Komplex" oder die "Deutschlandhasser", die den Sozialstaat durch Migration "zur Plünderung freigegeben haben". Parteiintern sollen sich die durchsetzen, die dem Thüringer zustimmen, wenn er der Republik abspricht eine "wirkliche Demokratie" zu sein, sondern sie "auf dem besten Weg zu einer Wohlfühldiktatur" sieht, die sich Schiedsgerichten auf keinen Fall beugen werden in Ausschlussverfahren, die ungeniert die erste Strophe der deutschen Hymne singen. Beim Kyffhäuser-Treffen wurde die 850 Ultras von der Moderatorin aufgefordert, zum Einzug Höcke tosend zu klatschen und die Deutschland-Fahnen zu schwenken. Der SWR hat Regieanweisungen aus einer WhatsApp-Gruppe für den Umgang mit dem Fraktionschef auf dem Landesparteitag im Juni in Pforzheim öffentlich gemacht: "Bei Gögel buhen. Nie klatschen!", steht da zu lesen. Das soll sich auf dem nächsten Parteitag im September nicht ändern. "Wir werden nur siegen", postet einer auf Facebook, "wenn die Mitglieder aus den gebrauchten Ländern im Westen verstehen, wo die Sonne wirklich aufgeht." Und wenn nicht, werde "Ballast" abgeworfen. Auch damit hat die AfD schon jede Menge Erfahrung.


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7 Kommentare verfügbar

  • Peter Hermann1
    am 12.07.2019
    Antworten
    Gut, okay, alles wahr und schlimm, aber unter dem berechtigten Furor sollten Stil und Grammatik nicht leiden. Manches hier muß man dreimal lesen, wenn man hinter den Sinn kommen will. Und das ewige Binnen-Innen in jedem dieser ArtikelInnen und an den unmöglichsten Stellen geht mir auch langsam auf…
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