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Angst heißt jetzt Mut

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Andreas Stoch will der Südwest-SPD wieder Gehör verschaffen auf Bundesebene. Keine schlechte Idee des Landes- und Fraktionschefs. Nur fehlen pointierte Positionen – und wenigstens der Funke einer Vorstellung, wo es politisch hingehen soll.

"Wir haben schon an Klimaschutz und an Ökologie gedacht, als es noch gar keine Grünen gab", sagt Andreas Stoch am vergangenen Wochenende beim Kleinen Parteitag der Südwest-SPD in Pforzheim. Stimmt, ist aber – wie so oft, wenn SozialdemokratInnen zurückblicken auf eigene Erfolge – nur die halbe Wahrheit. Zur ganzen gehört, dass Erhard Eppler, der für die unbestrittene Vorreiterrolle schon in den Siebzigern steht, regelrecht demontiert wurde im Landesverband nach der Wahl 1980, als die Grünen mit 5,3 Prozent in den Landtag eingezogen waren und die SPD ein Ergebnis von 32,5 Prozent (1976: 33,3 Prozent) erzielt hatte.

Zwei Jahre später gab Eppler auch das Landtagsmandat ab – seine Widersacher rieben sich die Hände. In einer letzten Runde mit landespolitischen JournalistInnen sagte er resignativ und weitsichtig zugleich: "Wenn Leute wie ich ab heute konsequent schweigen würden in meiner Partei, und die Grünen kämen dann auf sieben oder acht Prozent – was wäre dann besser?" Für wenige Monate, bis zum Beginn der Ära Helmut Kohl im Kanzleramt, fand der Landesverband damals übrigens wieder Gehör in Bonn. Noch-Kanzler Helmut Schmidt freute sich sogar öffentlich, weil in Baden-Württemberg endlich wieder "Realisten" das Sagen hätten und nicht diejenigen – gerade in der Umweltpolitik –, die auf das "Gequatsche von Intellektuellen hören, die nicht mal einen Nagel in die Wand hauen können".

Es ging trotzdem stetig bergab, zunächst mit den Ergebnissen und dann mit dem Einfluss auf die Bundespartei. Vielleicht ist dem 49-jährigen Stoch gar nicht zuzumuten, den Trümmerhaufen schonungslos zu analysieren, weil das Zähneklappern zu laut würde. Dieter Spöri und Ulrich Maurer wollten vor über dreißig Jahren mit "Arbeit und Umwelt" eine programmatische Duftmarke setzen, die dann aber in der Wiedervereinigungs-SPD unterging. Immerhin, die beiden retteten den Landesverband 1992 in die Regierung. Und viele wichtige Stimmen kamen noch immer aus dem Südwesten, von Herta Däubler-Gmelin und Hermann Scheer bis Peter Conradi. Letzterer steht für den kantigen Versuch, über eine weitsichtige und Stuttgart 21 ablehnende Bahnpolitik zu punkten. Dafür und für andere unbequeme Mahnungen musste er sich auf vielen Parteitagen als unverbesserlicher Querkopf hinstellen lassen.

Analyse mit getrübtem Blick

Weil seit Jahrzehnten Wahldesaster auf Wahldesaster folgt – mit dem von Ute Vogt entfachten Strohfeuer von 2001 als trügerischer Ausnahme –, muss Stoch jetzt beim Parteitag in Pforzheim die abgeschliffenen Ecken und Kanten beklagen. Seine Begründung zeigt allerdings einen ziemlich getrübten Blick auf die Wirklichkeit: Der Heidenheimer Rechtsanwalt hält seine SPD für "die vielseitigste und pragmatischste, vielleicht aber auch die gutmütigste Partei in Deutschland". Quer durch Bund und Länder arbeitet sie, wie Stoch feststellt, mit allen demokratischen Parteien zusammen, mit CDU und Grünen, mit FDP und Linkspartei. Der folgende Satz "Von links wie von rechts, von grün bis liberal sucht man die SPD als einen soliden und pragmatischen Partner bei der Bildung von Regierungen" beschreibt dann aber ungewollt das Dilemma und transportiert eine zumindest riskante Botschaft: Es wird nur zu oft und in Ermangelung eigenen politischen Gestaltungselans nicht mehr selber gesucht, sondern man lässt sich suchen – und finden als staatstragende Partei, die im Großen und Ganzen längst ihren Frieden mit den herrschenden Verhältnissen gemacht hat. Dabei verlangt der frühere Kultusminister an anderer Stelle doch so vollmundig, vom Mitmacher wieder zum Macher zu werden.

Der Kleine Parteitag, jenes Gremium, das zwischen Landesparteitagen für inhaltliche Leitplanken sorgen soll, findet statt in der Fritz-Erler-Schule. Eine doppelte Mahnung für die 180 Delegierten, von denen ausweislich der offiziellen Zählung nur 149 erschienen sind. Der Namenspatron ist einer der ganz großen Nachkriegs-Sozialdemokraten: Er war ab 1945 Landrat in Biberach und Tuttlingen, von den Franzosen gegen den ausdrücklichen Willen von CDU und etlichen Altnazis eingesetzt, wurde Pforzheimer Bundestagsabgeordneter, später Fraktionschef. Mit dem gebürtigen Berliner Erler und Carlo Schmid, dem das Grundgesetz das Asylrecht zu verdanken hat, stellten Sozialdemokraten aus dem Südwesten gleich zwei wichtige Führungsfiguren in der Sozialdemokratie der Nachkriegsjahre. Mit Inbrunst und aus eigenem Erleben erzählen kann davon allerdings nur eine Grüne, Erlers Tochter Gisela, heute bekanntlich Staatsrätin im ersten und im zweiten Kabinett von Winfried Kretschmann.

Zudem steht die Schulaula sinnbildlich für die bildungspolitische Ernsthaftigkeit, die aus vielen Beiträgen von Delegierten spricht. Die Debatte wogt um Studiengebühren oder kostenlose Kitas, um Inklusion, Gemeinschaftsschule oder Wahlfreiheit zwischen dem acht- und dem neunjährigen Weg zum Abitur (kurz: G8 und G9). Gerade da unterliegen in Pforzheim die RednerInnen mit den besseren Argumenten, die die Ressourcen im Blick haben oder die so dringend notwendige Öffnung hin zu gemeinsamem Lernen und Lehren auch nach der Grundschule, die klare Festlegungen verlangen statt Flexibilität. "BildungsMut" ist als neues Logo ausgegeben. Der Weg zurück zu wenigstens 15 oder 18 Prozent soll aber genau darüber nicht führen, sondern über die Anschlussfähigkeit nach allen Seiten, die Stoch doch selber kritisiert – natürlich in ganz anderem Zusammenhang.

Stoch verspricht Unerfüllbares, Hück brüllt Inhaltsleeres

So gesehen lebt die Südwest-SPD nur noch für den Moment, für die nicht schlechte Stimmung auf einem Parteitag. Die Jusos können nicht einmal ihre ohnehin vorsichtige Groko-Problematisierung durchsetzen. Und den meisten Applaus gibt es für das – Gehör hin oder her – durch einen Landesverband ganz und gar unerfüllbare Versprechen, dass Ursula von der Leyen mit "der SPD", so Stoch, "nicht zu machen ist". Vor allem aber hätten die Strategen, die so scharf darauf waren, die linksverdächtige Generalsekretärin Luisa Boos und mit ihr die Landeschefin Leni Breymaier nach nicht einmal zwei Jahren in die Wüste zu schicken, merken müssen, wie sich der Fraktions- und neue Landeschef selber mit einer bildungspolitischen Hypothek im nächsten Wahlkampf belastet.

Erstens ist völlig unklar, wie die von Stoch geforderte Wahlfreiheit bei G8 und G9 organisiert werden soll, zweitens woher das Geld dafür kommen soll, drittens werden alle Gemeinschaftsschul-Eltern und -Anhängerinnen, darunter viele GenossInnen, vor den Kopf gestoßen, die für eine Oberstufe und damit den neunjährigen Weg an ihrer Schulart kämpfen. Viertens hatte der Ex-Kultusminister in der grün-roten Regierungszeit das Problematische gerade an dieser Konkurrenz selber thematisiert. "Mit einem flächendeckenden G9-Angebot werden Realschulen und Gemeinschaftsschulen leistungsstarke Schüler verlieren", prognostiziert eine Elternvertreterin in Pforzheim. "Wir halten das für Mist und nicht für Mut", hält Matthias Wagner-Uhl dagegen, der Vorsitzender des Vereins für Gemeinschaftsschulen ist und selbst eine leitet. Wenn’s inhaltlich werde, habe die SPD Angst davor, "den Mut zu zeigen, den prinzipiell alle verlangen". Das mache klein statt groß.

Noch zaghafter, noch verklemmter kommen Grundsatzbotschaften daher, zumal diejenigen, die Uwe Hück in die Halle brüllt. Der längstjährige Porsche-Betriebsratsvorsitzende, der gerade die Staatsanwaltschaft am Hals hat wegen möglicherweise viel zu hoher Bezüge in seinen Porsche-Jahren, malträtiert sein Publikum immerzu mit extrem hoher Phonzahl, ob vor Tausenden Autobauern an Zuffenhauser Werkstoren oder in einer Schulaula vor Delegierten. "Die Geschichte der SPD ist einzigartig und intergalaktisch", teilt er unter anderem schreiend mit. Und dass die Partei nicht als Einheit auftrete. Das sagt ausgerechnet einer, der mit einer eigenen Liste für die Kommunalwahl im Mai liebäugelte. Inhalte? Fehlanzeige.

Stoch macht's leiser, sympathischer, aber nicht viel besser. 43-mal bemüht er in seiner Rede den Begriff Ziel, um ihn nur ein einziges Mal wirklich mit Leben zu füllen: beim Thema Kita-Gebühren. Und ausgerechnet seine Einlassungen dazu führen die Defizite noch einmal und erst recht drastisch vor Augen, denn "wir alle erleben, wie dieses Ziel ankommt bei den Menschen, wie es endlich mal wieder ein SPD-Anliegen ist, das sich klar kommuniziert". Die klingt nach "mit Perwoll gewaschen","Raider heißt jetzt Twix" oder "Toyota – nichts ist unmöglich".

Binder freut sich auf "konstruktive solidarische Personaldebatte"

Dass der vermutlich künftige Spitzenkandidat der Landes-SPD und sein Generalsekretär Sascha Binder auf diese Weise Festlegungen vermeiden wollen, die sie programmatisch rechts oder – Teufel auch – links einordnen könnten, ist das eine. Dass aber im Wir-wollen-und-wir-werden-Geschwurbel sogar die eigene Arbeit schlecht geredet wird, geht zu weit. In Schlusswort freut sich Binder auf "spannende Monate" und auf die "konstruktive solidarische Personaldebatte auf Bundesebene", die im Dezember zu einem Abschluss zu kommen wird, "um uns dann endlich wieder mit den Problemen der Menschen zu befassen". Sollen solche Einlassungen wirklich Gehör finden? Oder besser doch nicht, nicht auf Bundesebene und nicht bei den Tausenden ehren- und hauptamtlichen GenossInnen im Land, weil die genau dieses unaufhörlich und seit Jahren tun: sich befassen mit dem, was die Menschen umtreibt.

"Uns mangelt es an couragierten Meinungsführern", sagte Eppler 1982 in seinem 32,5-Prozent-Tal, "die der Basis zeigen, wie sehr sich Einsatz auf allen Ebenen lohnt, selbst wenn er nicht unmittelbar erfolgreich ist." Da hatte er in Landtag gerade mit den sechs Grünen, darunter bekanntlich Winfried Kretschmann, für einen Untersuchungsausschuss zur – später vom Bundesverfassungsgericht gekippten – Daimler-Benz-Teststrecke in Boxberg gestimmt. Im sicheren Wissen, dass er am nächsten Tag sein Mandat abgibt, aber auch, weil sich "ehrliche Allianzen auszahlen". Ohne Grüne werde die SPD ihre Umweltziele nie erreichen, so Eppler damals. Jetzt ist es umgekehrt. Jedenfalls wenn die Sozialdemokratie Glück hat und, frei nach Stoch, nicht nur gesucht, sondern sogar gefunden wird.


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2 Kommentare verfügbar

  • Jörg Tauss
    am 10.07.2019
    Antworten
    Der korrekten Analyse ist wenig hinzuzufügen.

    Niemand in der SPD wartet auf die Südwest-SPD, die ein Spiegelbild des desolaten Zustands der Gesamtpartei ist. Stoch und Binder konnten gegen Ihre Vorgängerinnen putschen. Mehr haben sie nicht auf der Pfanne. Inhaltlich wäre es dagegen an der Zeit,…
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