Wir haben verstanden, sollte bei den Europawahlen vor fünf Jahren die Botschaft lauten. Die großen Parteienfamilien verständigten sich auf das sogenannte Spitzenkandidatenprinzip, wollten damit gerade heikle Personalentscheidungen transparenter machen und der Wählerschaft erstmals Mitsprache bei der Besetzung des wichtigsten EU-Amts einräumen. Das sollte der bekommen, der von der stimmenstärksten Gruppierung aufgeboten worden war, mit Zustimmung des zweiten Siegers. Nach einigem Zaudern und Zögern kamen die beiden Spitzenkandidaten gemeinsam zum Zug: Der bürgerliche Luxemburger Jean-Claude Juncker wurde Kommissions- und Sozialdemokrat Martin Schulz Parlamentspräsident, gewählt mit der Mehrheit der Europaabgeordneten aus den beiden Traditionsblöcken.
2019 ist vieles anders. Die großen Lager sind geschrumpft, mit "En Marche" aus Frankreich gibt es einen neuen Machtfaktor, die Grünen sind gewachsen und sogar größer als die vereinigten Ultras von rechts. Die Briten sind zwar noch da, wollen aber nicht mehr richtig dazugehören, viele versprengte Einzelgänger haben noch keinen Anschluss an eine der etablierten Fraktionen gefunden. Und der ganzen Welt bietet die europäische Politik momentan den ebenso hässlichen wie frustrierenden Anblick eines Porzellanladens, in dem sich 28 Streithansel um die Top-Jobs zanken und dabei Teile des Inventars zertrümmern, seltsam unbekümmert um den ohnehin nicht so guten Ruf der Union. Der Fairness halber ist hinzuzufügen, dass die wichtigsten Leute bei diesem Postengeschacher unter brutalem Druck stehen, sowohl aus ihren jeweiligen Parteien als auch der heimischen Öffentlichkeit: Sie müssen Trophäen mitbringen, sonst gibt es ganz schlechte Noten.
Macron spielt eine fatale Rolle
Hinzu kommt, dass etliche Akteure, siehe Italiens starker, aber in Brüssel abwesender Mann Matteo Salvini, es genau darauf angelegt haben, dass Europa sich urbi et orbi als Verein darstellt, der nicht oder nur nach elendem Tauziehen zu Potte kommt. Ein Verein, der jedenfalls nicht wirklich funktioniert. Eine fatale Rolle spielt aber auch einer, der als entschiedener Pro-Europäer gilt und zugleich mit seinem Hang zum Ego-Trip zusätzlichen Schaden stiftet. Auch wenn viele FranzösInnen das schon aus Nationalstolz nicht wahrhaben wollen: Er heißt Emmanuel Macron.
Der französische Präsident hat von Anfang nichts gehalten von der vergleichsweise bürgernahen und einleuchtenden Idee, dass Politiker, die mit der Legitimation ihrer Parteienfamilien als Zugpferde den Parlamentswahlkampf bestreiten, dann auch die wichtigsten Posten besetzen sollen. Nicht nur in Brüssel meinen manche sein Motiv zu kennen: Macron würde damit an Einfluss verlieren. Seine Ablehnung ging jedenfalls so weit, dass die Dänin Magarete Vestager, die seit dem Wahltag als erste weibliche Kommissionspräsidentin im Spiel ist, keinesfalls förmlich zur Spitzenkandidatin der von ihm gezimmerten Allianz gekürt werden durfte. Die heißt inzwischen "Renew Europe" (RE) und ist eine ziemlich bunte Truppe.
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Dr. Uwe Prutscher
am 05.07.2019