KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Der beschützte Neonazi

Der beschützte Neonazi
|

Datum:

In seinen Facebook-Chats sehnt sich der Rechtsextremist Marcel Grauf nach einem neuen Holocaust und einem Bürgerkrieg mit Millionen Toten. Und er ist verstrickt in Neonazi-Strukturen. Das machte Kontext vor Monaten öffentlich. Trotzdem arbeitet Grauf noch heute für AfD-Abgeordnete im Landtag.

Vor mehr als zwei Jahren hat Kontext das erste Mal über Marcel Grauf berichtet. Über ein ehemaliges NPD-Mitglied, das als wissenschaftlicher Mitarbeiter für zwei Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg arbeitet. Ein Jahr später, im Mai 2018, haben wir aus Chatprotokollen von diesem Mitarbeiter zitiert: "Ich wünsche mir so sehr einen Bürgerkrieg und Millionen Tote. Frauen, Kinder. Mir egal. Hauptsache es geht los ... Tote, Verkrüppelte. Es wäre so schön. Ich will auf Leichen pissen und auf Gräbern tanzen. SIEG HEIL!" Oder: "Nigger, Sandneger. Ich hasse sie alle." Über Sigmar Gabriel: "Wenn ich die Scheiße von Gabriel dazu schon wieder lese, weiß ich dass ich die Drecksau am liebsten abknallen würde. IRGENDWANN! Ich werde noch ausrasten... Da soll man kein Terrorist werden!!!!! Hoffen, dass es bald knallt." Oder: "Gibt ein offenes Mikrophon. Hab gedacht ich äußere mich mal. Eröffnungsgag: 'Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde.'"

Filiz Koçali. Foto: Joachim E. Röttgers

Uli Sckerl. Foto: Joachim E. Röttgers

Uli Sckerl, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Landtag, auf Anfrage von Kontext: "Der Mordanschlag auf Walter Lübcke hat gezeigt: menschenverachtende und gewaltverherrlichende Sprache im Netz bleibt nicht folgenlos. Wer Hass im Netz verbreitet, macht sich mitschuldig. Dazu gehören auch Gewaltfantasien, wie sie der AfD-Mitarbeiter Grauf und rechte Hetzer im Netz verbreiten. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat sich dazu klar positioniert. Graufs Arbeitgeber, die AfD-Abgeordneten Baum und Merz, sind nicht bereit und willig eine scharfe Trennlinie zu ziehen. Wer sich als Partei nicht klar von solchen verfassungsfeindlichen und rechtsradikalen Tendenzen abgrenzt, schafft einen Nährboden für Hass, Ausgrenzung und Gewalt. Wir werden die parlamentarische Auseinandersetzung fortsetzen, um klare Haltung gegen rechte Hetze zu zeigen. Klar ist aber auch: Die Demokratie muss jetzt ihre Krallen zeigen. Sie zu verteidigen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für uns alle." (ana)

Grauf wollte uns daraufhin per Klage verbieten lassen, ihn beim Namen zu nennen und ihm diese Aussagen zuzuschreiben. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat uns vollumfänglich Recht gegeben, auch die identifzierende Berichterstattung sei angesichts des öffentlichen Interesses zulässig. Und Marcel Grauf? Der arbeitet noch heute für die AfD-Landtagsabgeordneten Heiner Merz und Christina Baum. Trotz rechtsextremistischer Haltung. Trotz Gewaltfantasien, die doch allerspätestens jetzt, nach dem  Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke durch einen Neonazi, auch dem dumpfsten AfD-Gehirn zu denken geben sollten.

In der Partei, in der Fraktion, im Umfeld der AfD, kümmert sich um diese Personalie exakt: keiner. Kein einziger Offizieller aus der Partei hat sich öffentlich von Marcel Grauf distanziert, der in seinen Chatprotokollen zu NPD-Kadern, rechtsextremen Burschenschaftern, zu faschistischen Gruppen im europäischen Ausland Kontakt hatte. Grauf hat als Mitarbeiter Zugriff auf sicherheitsrelevante Informationen, auf sensible Unterlagen. Und das in einer Zeit, in der wir verstärkt über rechte Netzwerke, rechte Polizisten, rechte Soldaten sprechen und selbst einem wie dem CDUler Friedrich Merz auffällt, dass es eher nicht so gut wäre, die Sicherheitsorgane und das Militär an Rechtsextremisten zu verlieren.

Graufs Chefin, die Landtagsabgeordnete Christina Baum ist grundsätzlich auf keinem der bekannten Wege für unsere Presseanfragen zu erreichen. Graufs Chef Heiner Merz ist genervt: Zu Marcel Grauf äußere er sich nicht mehr, sagt er. Und so halten es auch alle anderen, die wir angefragt haben.

Jörg Meuthen, Bundessprecher der AfD und ehemaliger Fraktionsvorsitzender im Landtag von Baden-Württemberg, bleibt auch nach diversen Versuchen der Kontaktaufnahme stumm. Meuthen ist die Personalie bekannt, seitdem Kontext und die taz das erste Mal über Grauf berichtet hatten – schon damals erklärte er sich als Fraktionsvorsitzender auf Anfrage nicht zuständig für Rechtsextreme in den eigenen Reihen und wurde, damals wie heute, nicht müde, die Verwicklung seiner Partei in die extreme Rechte kleinzureden. "Berlin direkt" hat Meuthen vor ein paar Tagen gefragt: "Trägt die AfD eine Mitverantwortung für die Verrohung der Gesellschaft?" Jörg Meuthen antwortete: "In keiner Weise." Die AfD sei eine Rechtsstaatspartei. "Alles was wir tun ist, ein friedliches, anderes, alternatives Politikangebot zu machen." Selbstverständlich.

Boris Weirauch. Foto: Joachim E. Röttgers

Boris Weirauch. Foto: Joachim E. Röttgers

Boris Weirauch, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, auf Anfrage von Kontext: "Es spricht Bände, dass sich die AfD von Leuten mit rechtsextremistischem Hintergrund nicht nur nicht distanziert, sondern sie zudem noch als Mitarbeiter im Landtag weiter beschäftigt. Dies ist inakzeptabel und stellt aus meiner Sicht eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit nicht nur der Landtagsabgeordneten, sondern auch aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dar. Darüber hinaus muss es beunruhigen, dass die fraglichen Mitarbeiter im Rahmen ihrer Tätigkeit für Fraktion oder Abgeordnete der AfD auch Zugang zu sicherheitsrelevanten Informationen erhalten. Die Wehrhaftigkeit der Demokratie muss vom Parlament unseres Landes ausgehen. Ich fordere die Landtagspräsidentin daher noch einmal nachdrücklich dazu auf, weitergehende Maßnahmen zu prüfen, um eine Beschäftigung von Rechtsextremisten durch die AfD-Fraktion oder deren Abgeordneten auszuschließen." (ana)

Die beiden AfD-Landesvorsitzenden Dirk Spaniel und Bernd Gögel, derzeit spinnefeind im zerstrittenen Landesverband Baden-Württemberg, lassen Emil Sänze als Sprecher der Landtagsfraktion auf unsere Frage nach Grauf antworten: man könne sich aus "datenschutzrechtlichen Gründen" nicht dazu äußern, "zumal es sich hier nicht um eine Personalie im Verantwortungsbereich der AfD noch der AfD- Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg handelt." Ein bekanntes Argument: ein Mitarbeitender eines Landtagsabgeordneten einer Partei habe mit der Partei nichts zu tun. Also halten alle die Füße still. Auch das Landesschiedsgericht teilt Ähnliches mit. Außerdem wisse es von nichts.

Weil sie findet, ihre Partei würde verleumdet, wenn man ihr eine Mitschuld gibt am Attentat auf den CDU-Politiker Lübcke, schreibt AfD-Spitzenfrau Alice Weidel am 20. Juni auf ihrer Facebookseite über die AfD als "fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehende Bürgerpartei, die sich schon zur Gründung gegen Extremismus und Gewalt eindeutig positionierte". Zum Mitarbeiter in Stuttgart, der all das eindeutig widerlegt, sagt Weidel, die bei der Bundestagswahl 2017 als Spitzenkandidatin der AfD Baden-Württemberg antrat, auf Anfrage nichts. Nicht zuständig.

Generelle Presseanfragen an die Bundespressestelle bleiben unbeantwortet. Ebenso Anfragen an die Bundesschiedsstelle, in der Hoffnung, einer möge sich doch irgendwann dieses doch recht heiklen Themas annehmen, wo sie doch sonst immer alle behaupten, die AfD halte größtmöglichen Abstand zur extremen Rechten. Tut aber keiner. Nicht das leiseste Wort der Kritik ist zu hören an einem, der sich einen Bürgerkrieg herbeifantasiert und knietief im Blut stehen möchte. Und dabei ist Marcel Grauf nur einer von mehreren mittlerweile öffentlich bekannten Mitarbeitenden der AfD, die ganz ähnlich ticken.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


2 Kommentare verfügbar

  • Nina Picasso
    am 26.06.2019
    Antworten
    Dass die AFD nix tut, geschenkt. Mich würde brennend interessieren, was die anderen Parteien in der Zwischenzeit getan haben. Haben sie gesetzliche Regelungen geprüft, ggf Satzungsänderungen beantragt/beschlossen, um diesen unsäglichen Zuständen ein Ende zu machen? Eine Bank kann sich schließlich…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!