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Attacken aufs emanzipierte Leben

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Seit vergangenem September kommt es im Rhein-Main-Gebiet wiederholt zu rechten Brandstiftungen gegen linke Kulturzentren und feministische Wohnprojekte. Auch bundesweit sind solche Angriffe keine Seltenheit. Die Betroffenen befürchten, dass die Behörden die Vorkommnisse bagatellisieren.

Es ist der Abend des 14. September 2018, als in der südhessischen Kleinstadt Schwalbach am Taunus ein Feuer ausbricht. Die brennende Scheune gehört zum linken Wohnprojekt "Knotenpunkt". Eine Bewohnerin des Hauses versucht, bis zum Eintreffen der Feuerwehr die Flammen mit einem Gartenschlauch zu löschen. Trotzdem können weder sie noch die Rettungskräfte verhindern, dass neben der Scheune auch die Wohnräume des "Knotenpunkt" im oberen Stock komplett ausbrennen. Rückblickend erscheint der Brand in Schwalbach vielen Beteiligten als der Beginn einer Serie, die mittlerweile über zehn Brände in einem Zeitraum von neun Monaten umfasst. Zuletzt wurde Ende Mai an einer Terrassentür im Erdgeschoss des "Lila Luftschloss" ein Feuer gelegt. Hierbei handelt es sich bereits um die zweite Brandstiftung innerhalb eines halben Jahres, die sich gegen das feministische Wohnprojekt mit drei Häusern im Frankfurter Raum richtet.

Der "Knotenpunkt" ist im Mietshäuser Syndikat organisiert, einem Verbund selbstverwalteter Haus- und Kulturprojekte. Gemeinsames Ziel ist es, dem privaten Immobilienmarkt Häuser zu entziehen und in ihnen Raum für selbstverwaltete, ökologische und unkommerzielle Initiativen zu schaffen. Seitens des Mietshäuser Syndikats wurde schon bald auf eine politische Dimension der Taten hingewiesen. Laut einer Pressemitteilung vom Januar drücke sich in der Anschlagsserie eine Feindschaft und Bekämpfung von linken und alternativen Lebensweisen aus. Verdächtig sei den Angaben des Immobilienverbundes zufolge ein 44-jähriger Mann aus Frankfurt, der bei einem Brandanschlag im Dezember 2018 gegen das Hanauer Kulturzentrum "Metzgerstraße" von einigen Gästen beobachtet und danach vorübergehend festgenommen wurde. Er war schon seit Längerem mit bürokratischen Mitteln gegen das Mietshäuser Syndikat und das "Lila Luftschloss" vorgegangen.

Der Polizei werfen die Betroffenen einen mangelhaften Aufklärungswillen und eine schlechte Informationspraxis vor. "Uns ist absolut unverständlich, dass zu dem letzten Brand von der Polizei noch nicht mal eine Pressemitteilung veröffentlicht wurde. Wir wurden trotz der akuten Gefahrensituation überhaupt nicht informiert", meint etwa Kris Simon, die in der Rhein-Main-Gegend in einer Wohngemeinschaft des Syndikats lebt. In den vergangenen Monaten wurden dort Maßnahmen ergriffen, um sich vor weiteren Anschlägen zu schützen. So haben sich die meisten Häuser, die in dem Verbund organisiert sind, mittlerweile Alarmanlagen und zusätzliche Feuermelder angeschafft.

"Angriffsziel ist das Engagement gegen Rassismus und Sexismus"

Aus Sicht von Simon erfolge die Auswahl der Ziele immer nach dem gleichen Muster: "In den meisten Städten sind die betroffenen Zentren ein Teil des zivilgesellschaftlichen Engagements. Das Angriffsziel ist eindeutig das Engagement gegen Rassismus und Sexismus beziehungsweise für ein emanzipatorisches Leben, wie es auch im 'Lila Luftschloss' praktiziert wird", meint sie. Umso mehr freut sie sich über breite Solidarität, die bei einer Demonstration im Dezember 2018 deutlich geworden ist, als am linken Café "ExZess" Feuer gelegt wurde: "Ich war überrascht und angetan davon, wie viele Leute nach dem Brand im ExZess bei der Spontandemo waren und wie viele Leute die Anschläge dort zu ihrem Thema gemacht haben."

Einen ähnlichen Ansatz wie das Mietshäuser Syndikat verfolgt auch das "Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen", zu dem das "Lila Luftschloss" in Frankfurt gehört. "Vereinsamung? Fehlanzeige!", heißt es in der Selbstbeschreibung. Das Netzwerk will der anonymen Unverbindlichkeit des Nebeneinanderwohnens ein verlässliches Miteinander entgegensetzen. In diesem Sinne wurden die Häuser des "Lila Luftschlosses" von Frauen für Frauen gebaut. Fragen der Stadtentwicklung werden in engem Zusammenhang mit feministischen Positionen gelebt, was sie nun wohl erneut zum Ziel von rechter Gewalt gemacht hat. Eine Vertreterin der Genossinnenschaft erzählt, dass das erste Feuer im Dezember einen Schaden von knapp 30 000 Euro angerichtet habe. Aus Sicherheitsgründen möchte sie ihren Namen nicht nennen. Sie wirkt nachdenklich, als sie von den Auswirkungen der Anschläge auf die Bewohnerinnen berichtet, die nun Sorge vor weiteren Vorfällen haben. "Eine Frauengenossenschaft, diese Autonomie von Frauen, das erzeugt an vielen Stellen Aggressionen", meint die Genossin. Zwischen den unterschiedlichen Zielen der Brandserie im Frankfurter Raum gebe es aber auch eine deutliche "Solidarität der Lebenswelten untereinander."

Seit der letzten Brandstiftung vor einem Monat habe sich die Polizei nicht mehr bei der Genossinnenschaft oder beim Mietshäuser Syndikat gemeldet. Die Pressestelle des Frankfurter Polizeipräsidiums betont, es werde in alle Richtung ermittelt, so dass auch ein politischer Hintergrund der Taten in Betracht komme. Ein Zusammenhang zwischen dem aktuellen Anschlag auf das "Lila Luftschloss" mit den Vorfällen im Winter sei nicht auszuschließen. In welchem Umfang Betroffene informiert werden können, hänge vom jeweiligen Ermittlungsstand und den damit einhergehenden polizeilichen Maßnahmen ab.

Bundesweit sind Brandanschläge keine Seltenheit

Die Brandanschläge im Rhein-Main-Gebiet sind ein Thema über die Region hinaus, auch im Linken Zentrum Lilo Hermann werden sie diskutiert. Das ehemalige Mehrfamilienhaus in Stuttgart umfasst unter anderem zwei Wohngemeinschaften, ein Café, einen Infoladen, Büros und einen Veranstaltungssaal. Die Angebote reichen von Informationsabenden zur Lage in Venezuela bis hin zum monatlichen Schachtreff. Angriffe dieser Qualität habe es auf das Lilo Hermann bisher noch nicht gegeben, meint Jens Heidrich, der schon seit der Eröffnung 2012 im Linken Zentrum aktiv ist. Trotzdem versuche man aus der Distanz, die betroffenen Häuser im Rhein-Main-Gebiet politisch zu unterstützen. "Über unsere Medien haben wir auf die Situation der hessischen Projekte und die Demonstration in Frankfurt hingewiesen, zu der auch Menschen aus Stuttgart hingefahren sind, um sich solidarisch zu zeigen."

Dabei impliziere rechtes Gedankengut laut Heidrich stets die Gewalt gegen Minderheiten und Andersdenkende. Zur Frage nach der gesellschaftspolitischen Verantwortung linker Kulturprojekte hat er eine klare Position: "Zum Beispiel wollen wir Gruppen infrastrukturell unterstützen, die sich gegen rechts engagieren, indem wir ihnen Räume und Veranstaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Eine starke antifaschistische Bewegung kann rechte Angriffe im besten Fall vorher unmöglich machen."

Ein Vergleich mit anderen Gegenden der Republik zeigt, dass Gewalttaten gegen alternative Wohnformen keine Seltenheit darstellen. Beispielsweise sind im vergangenen Sommer mindestens zehn vermummte und bewaffnete Neonazis in das Autonome Zentrum Kim Hubert in Salzwedel (Sachsen-Anhalt) eingebrochen. Die Bewohner des Hauses wurden im Schlaf angegriffen und Türen, Fenster sowie Möbel zerschlagen. Auf dem Rückweg haben die Täter im Treppenhaus eine Rauchbombe gezündet, um ihre Flucht abzusichern. In der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Bargteheide wurde der Hof des Autonomen Jugendhauses im Frühjahr 2019 verwüstet und die Türklinke sowie der Briefkasten beschädigt. An die Wände haben die Täter über 50 Graffiti mit rassistischen Parolen gesprüht und Sticker rechter Organisationen verklebt.

Von Salzwedel über Frankfurt bis Bargteheide dienen derlei Taten der Einschüchterung von Menschen, deren Lebensweise nicht in ein rechtes Weltbild passt. Die Aufklärungsquote ist gering. Die Bewohner der linken Hausprojekten in Südhessen richten sich derweil bereits auf neue Anschläge ein. Auch Kris Simon ist sich sicher, dass der Täter nicht von sich aus aufhören werde. In der jüngsten Pressemitteilung des Mietshäuser Syndikats heißt es dazu: "Wir fragen uns, wo und wie oft Joachim S. eigentlich noch Brände legen soll, bevor hier ernsthaft gehandelt wird? Bei uns verfestigt sich der Eindruck, dass diese Brandserie von den Ermittlungsbehörden immer noch nicht ernst genommen, sondern bagatellisiert wird."


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2 Kommentare verfügbar

  • Ernst-Friedrich Harmsen
    am 27.06.2019
    Antworten
    Da müsste man sich - und die Frankfurter Polizeidirektion und den CDU-MP - fragen, inwieweit eine Ermittlergruppe mit ziviler Unterstützung geschaffen werden könnte und müsste, die den eigentlichen Polizeiaufgaben Schutz und Sicherheit der Bürger nachkommen könnte. Das bloße Versetzen…
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