KONTEXT:Wochenzeitung
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Rechter Opa für Europa

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Der Professor gilt als das bürgerliche Gesicht seiner Partei. Fakt ist jedoch, dass Jörg Meuthen die Grenzen zur extremen Rechten verwischt. Der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl öffnet die Sprache des Sagbaren weit nach rechts. Eine Analyse.

Der beurlaubte Kehler Hochschulprofessor Meuthen, Jahrgang 1961, einst Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, seit Dezember 2017 Nachrücker im Europarlament, bezeichnet sich selbst als eine "bürgerliche Existenz durch und durch ... Ein Staatsdiener." Er will "bis heute nicht radikal" sein. In Wahrheit scheut er keine Ausflüge, Kontakte und Freundschaften ins völkisch-nationalistische Lager. Den thüringischen AfD-Scharfmacher Björn Höcke nennt er einen "Freund", das Parteiausschlussverfahren gegen ihn hat er abgelehnt. Höcke habe eben "Lust an provokativen Formulierungen ... Er ist aber kein Rechtsextremist", so der badische Beamte.

Am 4. Juni 2016 war Meuthen Redner bei der 2. Kyffhäuser-Veranstaltung des extrem rechten und völkischen "Flügels" der AfD um Höcke. Vor Ort hatten sich 500 Personen, darunter exponierte Vertreter der sogenannten Neuen Rechten wie Götz Kubitschek und Ellen Kositza eingefunden. In seiner 20-minütigen Rede sprach Meuthen davon, dass seine Gegner aus dem "Lager der grünen Volkserzieher zu Genderismus und anderen Perversionen des Zeitgeistes" stammen würden.

Am 8. Juni 2016 hielt der frisch gebackene AfD-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Baden-Württemberg seine erste Rede in einem Parlament. Er beklagte – ganz im Stil der Geschichtsrevisionisten – die angeblich von den anderen Landtagsparteien gegen die AfD geschwungene "Antisemitismus-Keule". Kurz zuvor waren antisemitische Schriften von Meuthens Fraktionskollege Wolfgang Gedeon bekannt geworden. In diesen bezeichnete Gedeon Holocaust-Leugner als "Dissidenten" und die Erinnerung an den Holocaust als "Zivilreligion" des Westens.

Auf dem AfD-Bundesparteitag in Stuttgart am 30. April 2016 verteidigte Meuthen die nationalistische Erinnerungskultur: "Wir fordern ..., die deutsche Erinnerungskultur nicht einseitig auf diese Zeit des Nationalsozialismus auszurichten, sondern sie auch auf die nicht wenigen positiven und identitätsstiftenden Phasen deutscher Geschichte, die es eben auch gibt, auszuweiten. Daran ist aus meiner Sicht nichts, wirklich nichts Verwerfliches." In seiner Rede wandte sich Meuthen gegen Weltoffenheit "im Sinne eines idiotischen zeitgeistigen Multi-Kulti der kompletten Beliebigkeit" und skizzierte das Ziel der AfD wie folgt: "Wir wollen weg vom links-rot-grün-versifften 68er-Deutschland und hin zu einem friedlichen, wehrhaften Nationalstaat."

"Wir erleben die Vergewaltigung unserer Identität"

Bei einer AfD-Demonstration am 27. Mai 2018 in Berlin schimpfte er auf die "Hofschranzen Angela Merkels" – die Minister, die dem Volk dienen sollten, "aber sie tun das ganz und gar nicht." Den AfD-AnhängerInnen, 5000 hatten sich vor dem Brandenburger Tor versammelt, tat er kund: "Wir erleben die Vergewaltigung unserer Identität und Kultur durch unkontrollierte und behördlich sogar noch illegal unterstützte Massenmigration in unser Land ... Wir erleben die Vergewaltigung unserer Sprache, durch ein in unseren Schulen gelehrtes und behördlich eingefordertes Gender Gaga, angeordnet von Binnensternchen Volldeppen, die selbst im Bundestag keinen geraden Satz zusammen bekommen, aber grenzdebil feixend dazwischen rufen, wenn unsere exzellenten AfD-Abgeordneten ihnen etwas erklären."

Seit seinem Wechsel von der Hochschule in die Politik steht der Professor für Volkswirtschaftslehre regelmäßig extrem rechten Blättern Rede und Antwort oder greift selbst zur Feder. In der "Jungen Freiheit" ("JF"), dem bekanntesten Sprachrohr der Neuen Rechten, attackierte er im Juni 2016 den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat ausgedient. Dies gilt jedenfalls in der derzeit noch bestehenden zwangsweisen und nicht mehr begründbaren Finanzform. Ziehen wir ihm den Stecker."

Die "Junge Freiheit" will nicht nur Zeitung sein, sondern auch ein politisches Projekt, Vorfeldorgan und Forum einer Bewegung. Verlag und Zeitung haben sich über Jahre hinweg zu den Ideen der sogenannten Konservativen Revolution bekannt, einer antidemokratischen Strömung in der Weimarer Republik. Heute will man laut Selbstdarstellung für einen demokratischen Konservatismus stehen. Seit Gründung der AfD hat sich die "JF" zunehmend zu einem Sprachrohr der Partei entwickelt. "Wer die Alternative für Deutschland verstehen will, muss die Junge Freiheit lesen," sagte der AfD-Altvordere Alexander Gauland.

In einem Interview mit dem rechtsextremen Monatsmagazin "Zuerst!" (Untertitel "Deutsches Nachrichtenmagazin") beklagte Meuthen im Oktober 2018 eine "vorherrschende linke Kulturhegemonie", gegen die sich "erfreulicherweise ein reger Widerstand formiert, weil am Ende die gesellschaftlichen Realitäten schwerer wiegen als linke Hirngespinste." Wiederholt bezeichnete er, so auch bei diesem Interview, im Bundestag vertretene demokratische Parteien verachtend als "Kartellparteien". Ebenfalls in "Zuerst!" erklärte Meuthen im Januar 2018, dass zwischen Alexander Gauland und ihm "kein Blatt Papier" passt, "und dabei wird es auch bleiben. Wir kennen uns, wir schätzen uns." Gauland sinnierte öffentlich über einen "Systemwechsel" im Land und will alle Merkel-Unterstützer "aus der Verantwortung vertreiben".

"Zuerst!" zählt zum Unternehmen "Lesen & Schenken Verlagsauslieferung und Versandgesellschaft mbH" des norddeutschen rechtsextremen Verlegers Dietmar Munier. Verbindungen von AfD-Politikern zu "Zuerst!" sind im "Gutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der AfD und ihren Teilorganisationen" des Bundesamtes für Verfassungsschutz aufgeführt.

"Gauland ist der Pontifex Maximus"

Meuthen hielt zum 75. Geburtstag von Gauland, der am 20. Februar 2016 in Potsdam gefeiert wurde, die Laudatio. Er pries Gauland als "Pontifex Maximus der Alternative für Deutschland" und nannte ihn einen "intellektuellen Brückenbauer". Gauland hatte kurz zuvor mit einer Äußerung über den dunkelhäutigen Fußball-Nationalspieler Jerome Boateng für Empörung gesorgt. "Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben", so Gauland.

Im Mai 2016 wurde Meuthen von der politischen Monatszeitschrift "Compact – Magazin für Souveränität" interviewt. Auf den Hinweis, dass er in den Medien "ja gerne als das ‚brave, bürgerliche Gesicht‘ einer ansonsten gefährlichen Partei" dargestellt werde, "als ein ‚Gemäßigter unter Radikalen‘", antwortete Meuthen: "Tja, die Medien brauchen ihre Etikettierung, aber das ist natürlich Quatsch. In der Tat bin ich aus ökonomischer Sicht liberal, aber ich bin eben gesellschaftspolitisch genauso konservativ wie es etwa Alexander Gauland ist, da gibt es eigentlich keinen Unterschied. Die Medien haben ihre Etiketten, ich selbst finde meine Positionen gar nicht so brav." Ausdrücklich betonte Meuthen, dass sein "gemäßigter" Stil sich auf den Südwesten ausrichtet, er aber in anderen Bundesländern mit radikaleren Haltungen kein Problem hat: "Mit einer Poggenburg-Linie hier in Baden-Württemberg wäre es problematisch geworden, und mit einer Meuthen-Linie in Sachsen-Anhalt vermutlich auch."

Das Magazin "Compact" ist rechtspopulistisch ausgerichtet. Propagiert wird, dass die Bundesrepublik nicht souverän, sondern eine "Militärkolonie" der USA sei. Das Hochglanzprodukt "Compact" verbreitet häufig Verschwörungstheorien, unter anderem stellt das Blatt den rechtsterroristischen NSU als Geheimdienst-Komplott dar. Das "Volk" ist in der Weltsicht von "Compact" immer das Opfer: Es wird von politischen und ökonomischen Eliten bedroht und betrogen, seine angeblichen Feinde sind wahlweise "Gutmenschen", "Finanzkapital", Massenmedien oder die "Kolonialmacht" USA. Zu den Themenschwerpunkten des Blattes gehört die Asyl-und Flüchtlingspolitik – in Kombination mit dem Vorwurf an die sogenannten Altparteien, für den drohenden Untergang Deutschlands verantwortlich zu sein.

Wie die "Junge Freiheit", "Zuerst!" und "Compact" ist auch das zweimonatlich erscheinende Magazin "Deutsche Geschichte" frei an Kiosken und im Bahnhofszeitschriftenhandel erhältlich. In einem Interview mit der "Deutschen Geschichte" (5/2017) gab Meuthen an: "Wir wollen eine andere Politik machen, da wir die Politik der Regierenden für grundfalsch halten." Zugleich plädierte er für eine "wertkonservative Gegenbewegung": "Was die Alt-68er-Bewegung verursacht hat, war die Aufgabe traditioneller Werte und Tugenden, die für das Funktionieren einer Gesellschaft unabdingbar sind, zugunsten einer völligen Beliebigkeit und Wertelosigkeit".

"Ich habe eine hohe Meinung von Orban"

Die Zeitschrift "Deutsche Geschichte" wird von der Verlagsgesellschaft Berg mbH mit Sitz im bayerischen Gilching verlegt, einem der größten organisationsunabhängigen rechtsextremen Verlage in der Bundesrepublik. In dem Blatt finden sich geschichtsrevisionistische und militärhistorische Inhalte. Laut Eigenwerbung will die DG zum "aufrechten Gang durch die Welt von damals" einladen und "im Buch der Geschichte" blättern, das "alles, aber bestimmt kein Verbrecheralbum" sei.

Im Mai 2018 attackierte Meuthen in einem Artikel der FPÖ-nahen Monatszeitschrift "Die Aula" die Abgeordneten der CSU im Europaparlament. So sollen diese laut Meuthen im Parlament "geschlossen für die unbegrenzte Masseneinwanderung" gestimmt haben: "Hier fühlen sich die CSUler, anders als in Deutschland, offensichtlich unbeobachtet – und stimmen deshalb so ab, wie es in der Union mittlerweile erwartet wird." Besonders schändlich findet Meuthen, ein vermeintlich wertkonservativer Familienvater, der zwischenzeitlich in dritter Ehe verheiratet ist, bei den CSU-Abgeordneten, dass diese "für die verpflichtende gegenseitige Anerkennung der Homo-Ehe auch in denjenigen Mitgliedsstaaten" stimmten, "welche diese gar nicht vorgesehen haben".

Die Zeitschrift "Die Aula", im Juni 2018 eingestellt, war eines der ältesten Medien des österreichischen Rechtsextremismus nach 1945. Vor allem aufgrund anhaltender antisemitischer Agitation sorgte die NS-apologetische Monatszeitschrift immer wieder für öffentliche Empörung. Mehrfach wurden verurteilte Neonazis zustimmend als "Volkstumskämpfer" oder "Nationale" verharmlost.

Auf die Frage "Mit welchen Themen wird die AfD in den Wahlkampf ziehen?", antwortete Meuthen in einem Interview mit der österreichischen Wochenzeitung "Zur Zeit" ("ZZ", 16/17 2019): "Wir wenden uns stark gegen die weitere Zentralisierung der EU, gegen die schrittweise Entwicklung hin zu den Vereinigten Staaten von Europa."

Lob fand Meuthen für den ungarischen Autokraten Viktor Orban: "Es ist nämlich das Recht der Ungarn und der Regierung Orban, etwa in der Migrationspolitik so zu entscheiden, wie sie das tun." Meuthen weiter: "Ich habe eine hohe Meinung von Orban".

"ZZ" ist eine Postille mit deutschnationaler Ausrichtung, die unter anderem vom ehemaligen EU-Parlamentarier und FPÖ-Funktionär Andreas Mölzer herausgegeben wird. Interviewt wurde Meuthen vom "ZZ"-Redakteur Bernhard Tomaschitz, der lobend anerkennt, dass "Orban nicht nach der Pfeife des in Brüssel bestens vernetzten US-Spekulanten Soros tanzt".

Am 9. September 2018 referierte Meuthen auf der 19. "Sommerakademie" des neurechten "Instituts für Staatspolitik" (IfS) im sachsen-anhaltinischen Schnellroda über seine Erfahrungen als Europaparlamentarier. Beim IfS gehen Mitglieder der vom Verfassungsschutz beobachteten "Identitären Bewegung" ein und aus. Das Netzwerk des Höcke-Freundes Kubitschek sieht sich im Gegensatz zur "Jungen Freiheit" weiterhin in der Tradition der Konservativen Revolution. Kubitschek wähnt sich in einem "geistigen Bürgerkrieg". 2014 erklärte er, "dass wir in einem kranken Staatsgebilde und Volkskörper leben: in manchen Regionen und Städten überfremdet bis zur Unkenntlichkeit; seelisch verkrüppelt durch eine auf Schuld, Schande und verbrecherisches Erbe fixierte Geschichtserzählung und -politik".

Kubitschek und seine Ehefrau Kositza haben im Januar 2015 versucht, der AfD beitreten. Die Mitgliedsanträge wurden abgelehnt. Der damalige AfD-Vorsitzende Bernd Lucke schrieb in einer E-Mail an seine Vorstandskollegen: "Bei Pegida … ist Kubitschek im schwarzen Hemd und offener brauner Uniformjacke aufgetreten. Ein Narr, wer darin nicht eine bewusste Anspielung auf die faschistischen Bewegungen im Europa der zwanziger und dreißiger Jahre sieht." Ob Meuthen dies auch so sieht?


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1 Kommentar verfügbar

  • Anarchrist
    am 18.05.2019
    Antworten
    Eins muss allen klar werden: Wer bei Wahlen den Konservativen - insbesondere der AfD - die Stimme gibt, erweckt das Deutschland der 1930er und 1940er wieder zum Leben.

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    btw Die Meldung "Der Kommentar beinhaltet mindestens ein Wort, welches nicht erlaubt ist." ist so hilfreich wie ein leeres…
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