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Ungesund im Untergrund

Ungesund im Untergrund
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Feinstaub – der ist doch oben am Stuttgarter Neckartor. Ja, aber nicht nur. Wie gefährlich der umherfliegende Dreck unter der Erde sein kann, zeigt sich am Zürcher Tiefbahnhof. Bei S 21 wird es, warnen jetzt Experten, noch viel schlimmer.

Blickt man aus dem All auf die Erde, aus rund 800 Kilometern Höhe, erkennt man Europa unter anderem an seinen Feinstaubwolken. Ob man aus dieser Entfernung auch einen der dreckigsten Orte in Deutschland erkennt: das Neckartor in Stuttgart?

Immerhin haben die an jenem Ort ermittelten Werte mit dazu geführt, dass es in Stuttgart seit Anfang des Jahres ein flächendeckendes Fahrverbot für ältere Dieselautos gibt. Der Gesundheit wegen. Des Klimas wegen. Einfach wegen einer saubereren Luft: Im vergangenen Jahr lag die Feinstaub-Belastung dort im Jahresmittel zwischen 57 bis 71 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Erlaubt sind: 40 Mikrogramm im Jahresmittel und 50 Mikrogramm im Tagesmittel.

In Deutschland sterben pro Jahr 43 000 Menschen vorzeitig wegen der Belastung durch Feinstaub und Ozon. Und dennoch: Die Auspufffetischisten randalieren vor allem in Stuttgart gegen Fahrverbote, ein bizarrer Straßenkampf, sie mucken auf gegen jede Vernunft: Der Feinstaub auf der Straße – er sorgt für Krankheiten und Tod. Und für Schlagzeilen.

Schlimm ist die Lage oben auf den Straßen.

Im Zücher Tiefbahnhof sind die Grenzwerte weit überschritten

Aber wie ist sie unten – etwa im geplanten Tiefbahnhof Stuttgart 21?

Da wird es dreckig, besonders dreckig zugehen, extrem dreckig sogar. Im vergangenen Jahr gab es in einigen Stuttgarter U-Bahnstationen Untersuchungen von der Dekra. Ergebnis: Die Feinstaubbelastung war im Untergrund erschreckend hoch – Werte von 120 Mikrogramm wurden gemessen.

Aber noch schlimmer wird es, viel schlimmer, das ist absehbar, im Tiefbahnhof.

Bremsende Züge verursachen Feinstaub, schon das Langsamerwerden setzt gefährliche Partikel frei, sie werden von Bremsen und Schienen abgerieben – ein Ökoproblem, das bisher kaum beachtet worden ist.

In der Schweiz gibt es einen Tiefbahnhof: den Zürcher Hauptbahnhof. Es gibt Untersuchungen der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) zum Problem Feinstaub im Zürcher Tiefbahnhof, sie begannen 2004, aber die Ergebnisse der Untersuchungen sind zum großen Teil noch immer Verschlussache.

Doch das, was bekannt ist, zeigt nichts Gutes: Die Feinstaubbelastung im Untergrund ist enorm. Es wurden Schmutzwerte von 111 Mikrogramm gemessen – also viel mehr als doppelt so hoch wie von den Grenzwerten her erlaubt ist. Zum Vergleich die Situation oben in der Stadt: Die durchschnittliche Feinstaubbelastung bei den Messstationen in der Zürcher Innenstadt lag 2018 bei etwa 20 Mikrogramm.

Die Schweizer Verantwortlichen sagen, was einen kaum überrascht: Es gibt trotz dieser Verschmutzung keinen wirklichen Grund zur Beunruhigung. Die meisten Reisenden würden sich ja nur kurz im belasteten Bereich aufhalten.

Aber: Wer Asthmatiker ist oder einfach nur Atembeschwerden hat, darauf weisen Ärzte immer wieder hin, für den sind auch kurzfristig erhöhte Feinstaubbelastungen gefährlich. Wie ist es aber für Menschen, die ihren Arbeitsplatz dort unten haben, also stundenlang erhöhten Belastungen ausgesetzt sind? Dazu sagen die SBB nichts. Auch nicht, wie sich kurzfristigen Belastungen auf die Gesundheit auswirken können.

Fakt ist: Dreckig geht es zu im Zürcher Untergrund, alles wohl ziemlich ungesund trotz behördlicher Beruhigungsversuche.

Fakt ist: Noch viel dreckiger, viel schlimmer wird es in Stuttgarts Tiefbahnhof zugehen.

"Die Stuttgarter Werte werden alles in den Schatten stellen"

Der Münchner Verkehrsexperte Karlheinz Rößler hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit den ökologischen Problemen, die in Tiefbahnhöfen entstehen, beschäftigt. Frage an ihn, ob der Aufenthalt im Stuttgarter Tief-Hauptbahnhof gesundheitsgefährdend für die Reisenden sein könnte? Seine einfache Antwort: "Ja". Und: "Das wird ein großes Problem für die Fahrgäste, aber erst recht für das DB-Personal. Die Situation wird weit dramatischer sein als in Zürich, die Werte in Stuttgart werden alles in den Schatten stellen".

Die Gründe: Im Stuttgarter Tiefbahnhof sollen ähnlich viele Züge einfahren wie in Zürich. Aber in Zürich sind es mehr S-Bahnzüge, die da verkehren: Die sind kürzer, leichter, und daher ist ihr Bremsabrieb deutlich geringer als bei den sehr langen, sehr schweren Fernzügen, die Stuttgart anfahren sollen.

Außerdem: Da die Züge etwa im Fildertunnel mit Tempo 160 oder sogar noch schneller nach Stuttgart fegen, wird der toxische Abrieb beim Bremsen pro Zug viermal höher sein als in Zürich. Und, was die Situation in Stuttgart noch verschlimmert: Die Züge kommen oft von den Höhen in den Talkessel – das beansprucht die Bremsen und die Gleise enorm, der Feinstaub bratzelt richtig los. In Zürich hingegen, wo die Züge fast ebenerdig in den Bahnhof einfahren, können sie meistens mit den Elektrobremsen gestoppt werden – also ohne Feinstaub freizusetzen.

Es wird aber wohl noch ungesünder in Stuttgart: Die Züge kommen nach langen Tunneln in den Bahnhof, die sind bis zu 30 Kilometer lang, 23mal länger als in Zürich. Und deswegen gibt es dann einen sogenannten "Kolbeneffekt": Die Züge schieben die kontaminierte Luft in die Haltestation rein, absehbare Folge: Dort wird die Luft viel, viel höher verdreckt sein als im sehr verdreckten Bahnhof Zürich. Rößler: "Da sich der Feinstaub zu einem erheblichen Teil aus Eisen, also Abrieb der Räder und Schienen und anderen Metallen, den Bremsscheiben zusammensetzt, ist zu befürchten, dass diese relativ schweren Partikel an die tiefste Stelle des Tunnelsystems absinken beziehungsweise von den fahrenden Zügen dorthin geblasen werden, wo sie sich immer stärker konzentrieren." Und das heißt, vermeiden Sie also auf jeden Fall diesen Ort, wo sich diese gefährlichen Partikel anhäufen, am südlichen Ende der Bahnsteige.

Und noch etwas: Feinstaub ist nicht gleich Feinstaub. Es gibt gefährlichen und besonders gefährlichen. Zünden Sie in einem geschlossenen Raum eine Kerze an, dann knallen die Feinstaubwerte kurz nach oben. Doch dieser Feinstaub ist lange nicht so gesundheitsschädlich wie Eisenbahn- oder Autofeinstaub. Deren schweren Giftpartikel gelangen schneller über die Nase bis in die Lunge, sie gelangen auch eher ins Blut – sie können also eher Herz- und Kreislauferkrankungen auslösen.

Der Tiefbahnhof ist schon im Normalbetrieb unzumutbar

Der Tiefbahnhof Stuttgart: ein Hochrisikobahnhof der ganz besonderen, nein, der unverantwortlichen Art: Es gibt keinen funktionierenden Brandschutz – das ist bekannt. Aber dass er schon im Normalbetrieb unzumutbar ist – das ist bisher nicht bekannt.

Seit Jahren weist Eberhard Happe, ehemaliger Bahndirektor, auf dieses Problem der Feinstaubbelastung durch das Abbremsen hin – vergebens. Das sei "ein ganz heikles Thema", aber es werde "einfach nicht zur Kenntnis genommen".

Die Situation in Stuttgart schätzt der Bahndirektor a.D. so ein: Die Bremsbeläge der einfahrenden Züge würden dort aufgrund der speziellen Bedingungen "so heiß werden, dass sie qualmen". Es werde im Tiefbahnhof "ganz fürchterlich stinken". Das werde für die Fahrgäste "eine alltägliche Erscheinung sein". Die Feinstaubpartikel würden wegen des mangelnden Luftaustauschs im Stuttgarter Untergrund-Bahnhof "immer wieder hochgewirbelt werden". Happe: "Richten wir uns in Stuttgart nicht nur auf ein Diesel-Fahrverbot, sondern auch ein ICE-Fahrverbot ein".

Wie sehen das die S 21-Macher? Wie gehen die Verantwortlichen mit diesem absehbar gesundheitsgefährdenden Hochrisiko-Bahnhof um? Was ist konkret an diesem "besten geplanten Bahnhof" geplant, um die Bürger zu schützen?

Fragen also an das baden-württembergische Verkehrsministerium, das Regierungspräsidium Stuttgart, die Prüfbehörde der Bahn EBA, die Deutsche Bahn AG in Berlin und das Bundesgesundheitsministerium in Berlin:

  • In Stuttgart gilt seit Anfang 2019 aus Gesundheitsgründen und um die Bürger zu schützen ein flächendeckendes Fahrverbot für ältere Dieselautos.
  • Studien der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) zeigen, dass die Feinstaubbelastungen im Zürcher Tiefbahnhof die zulässigen Grenzwerte um über das Doppelte überschreiten – unter anderem wegen der Bremsabriebe.
  • Im geplanten Tiefbahnhof Stuttgart wird sich im Gegensatz zu der Situation in Zürich aufgrund spezifischer Bedingungen (etwa Anfahrt der Züge durch lange und sehr steile Tunnel) noch verschärfen. 
  • Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat gerade – auf Bitten von Kanzlerin Angela Merkel – die Luftverschmutzung analysiert. Befund der Leopoldina-Studie: Die größte Alltagsgefahr in der Luft ist nicht Stickoxid. Es ist der Feinstaub, der besonders gefährlich ist. "Nachdrücklich" empfahl Leopoldina, die Belastung der Menschen durch Feinstaub zu reduzieren.

Deshalb nun konkret:

  • Gibt es Überlegungen oder sogar konkrete Planungen, wie man der absehbaren Gesundheitsgefährdung der Fahrgäste (besonders auch des Personals) begegnen kann?
  • Ist es vorgesehen – analog zu den Verboten im Straßenverkehr in Stuttgart und zum Schutz der Bürger – für eine Reduktion der ein- und ausfahrenden Züge im Stuttgarter Tiefbahnhof zu sorgen?
  • Wenn nicht: Wird es Empfehlungen an die Fahrgäste geben, den Tiefbahnhof Stuttgart nur mit Atemmasken zu betreten?
  • Ist für Sie dieses Problem der Feinstaub-Verschmutzung im Stuttgarter Tiefbahnhof ein/kein Problem?
  • Ist Ihnen dieses Problem überhaupt bekannt?

Ganz rasch auf diese Anfrage reagierte das Regierungspräsidium Stuttgart, das durch seine Gutachten das Fahrverbot für Dieselautos in der Landeshauptstadt bewirkt hatte. Eine sehr freundliche Dame sagte am Telefon, und sie wirkte fast erleichtert, dazu äußere sich ihre Behörde nicht, man sei für den Bahnhof nicht zuständig. Was sie denn aber persönlich von diesem Problem halte? Sie habe dazu persönlich keine Meinung, sie sei Behörde. Sie schickte nach dem Telefonat dann noch eine behördliche Mail – unter anderem mit diesem Satz: "Ein Bahnhof ist zudem eine Eisenbahnanlage und daher im Überwachungs-Zuständigkeitsbereich des Eisenbahnbundesamts."

Der S-21-Sprecher hat im Bahnhof Luft nach oben

Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA), die Prüfbehörde der Bahn, verschickte nach ein paar Tagen diese Mail: "Vielen Dank für Ihre Anfrage, die derzeit noch bearbeitet wird. Wir kommen sobald wie möglich wieder auf Sie zu, bis dahin danken wir für Ihre Geduld." Man wartet also. Und wartet – man wartet sehr geduldig.

Irgendwann kam dann doch noch eine lange Antwort des EBA. Kurz zusammengefasst lässt die Behörde nun mit sehr vielen Worten wissen: In Sachen Feinstaub sind wir nicht zuständig. Denn: "Grundsätzlich gilt nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz, dass die Eisenbahnen selbst die uneingeschränkte Verantwortung für die sichere Führung des Betriebes tragen. Alle einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen sowie die anerkannten Regeln der Technik sind zu beachten. Beim Betrieb von Schienenfahrzeugen und Anlagen müssen die Unternehmen u.a. auch sicherstellen, dass die Vorschriften des technischen Arbeitsschutzes eingehalten werden."

Das EBA bittet daher, "Fragen zum zukünftigen Betriebskonzept des Stuttgarter Tiefbahnhofs an die DB AG zu richten. Das gilt auch für den Umgang mit möglichen Feinstaubbelastungen."

Die DB AG hat auf die Anfrage nicht reagiert, von einem Sprecher des Bahnprojekts "Stuttgart - Ulm" bekam man stattdessen diese knappe Antwort: "Die allgemeinen Grenzwerte für Feinstaub in der Außenluft gelten nicht für Bahnhöfe." Diese Nonchalance – beeindruckend. So eine Haltung braucht man wohl, um ein Projekt wie S 21 durchzuziehen.

Aber wie sieht der grüne Verkehrsminister, Winfried Hermann, dieses, sagen wir mal: Problem? Er sieht es offenbar nicht. Jedenfalls scheint es ihn nicht allzu sehr zu belasten. Aus seinem Haus kam auf die Anfrage – nichts als Schweigen.

Zu seiner Erinnerung, diesen Eid hat er bei Amtsantritt abgelegt: "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, Verfassung und Recht wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe."


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12 Kommentare verfügbar

  • Real Ist
    am 25.04.2019
    Antworten
    Da ist sie wieder, die grüne Doppelmoral, den Stuttgartern das Autofahren verbieten und beim viel gefährlicheren Feinstaub im unterirdischen Tunnellabyrinth die Augen zumachen, weil Kritik an S21 tabu ist und er seinen Job nicht riskieren will, wann äussert sich eigentlich unser sogenannter…
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