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Die Maschine im Inneren

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Knapp vier Wochen gibt die Spitze der Südwest-SPD früheren und aktiven Jusos Zeit, Licht in die Affäre um dubiose Methoden im Umgang mit eigenen Mitgliedern zu bringen. Die Chancen stehen schlecht. Auch weil viel zu viel schmutzige Wäsche gewaschen werden müsste.

An Klartext ist kein Mangel: "Wer solche 'Genossen' wie Stephanie Bernickel und Leon Hahn in seinen Reihen hat, der braucht keine Feinde mehr:" Oder: "Das ständige Beschwören eines Miteinanders klingt hohl und zynisch." Oder: "Da gibt es eine Clique, die euch Schaden zufügt, und zu viele sehen wortlos zu." Natürlich ist es leichter, sich in der digitalen Welt die Meinung ins Stammbuch zu schreiben, als sie sich in der analogen ins Gesicht zu sagen. Seit die rechtswidrige Weitergabe von SPD-Mitgliederdaten Ende vergangenen Jahres publik wurde, melden sich im Netz regelmäßig GenossInnen mit moralischen Appellen, mit Forderungen nach einschneidenden Veränderungen oder nur mit Sarkasmus: "Wir brauchen nur noch ein paar Wir-Kongresse, Miteinander-Manifeste und (...) schon ist 'eine neue Kultur' etabliert und Verband und Partei sind gerettet."

Schön wär's. Die Wirklichkeit ist allerdings eine andere. Gescheitert sind bisher alle Versuche, ernsthaft die jüngere Vergangenheit einer Partei aufzuarbeiten, die sich im Südweststaat mittlerweile am Rande der prozentualen Einstelligkeit bewegt. Nur vor dem Hintergrund dieses dramatischen Niedergangs der beiden vergangenen Jahrzehnte ist die Daten-Affäre überhaupt zu verstehen. Jetzt muss eine parteiinterne Kontrollkommission ran, um bis zum 11. Mai – und damit zwei Wochen vor den Kommunal- und -Europawahlen – eine Bewertung zu liefern. Schon allein deshalb wird es das fällige Großreinemachen nicht geben.

SPD-Datenaffäre: Lehrstück für forschen Machtanspruch

Seit der Zeit von Ute Vogt, die 1999 in Friedrichshafen in einer Kampfabstimmung gegen Wolfgang Drexler Parteichefin wurde, haben im Landesverband die vielbeschriebenen NetzwerkerInnen das Sagen. Eine Gruppierung, die kein Flügel sein will, speziell in linken Ideen einen Mix aus Irrtum und Zeitverschwendung sieht, zugleich überall mitmischen und Einfluss gewinnen möchte, gern auch über das Erobern wichtiger Posten und Pöstchen. Gegenseitig stützen sie sich auf dem Weg nach oben, ziehen Strippen und können längst auf eine beachtliche Riege von SozialdemokratInnen verweisen, die Mitglieder sind oder den Netzwerkern nahestehen: Sigmar Gabriel, Olaf Scholz, Hubertus Heil, Thomas Oppermann, Vogt selber und Nils Schmid zählen zu der Truppe von Agenda-2010-FreundInnen.

Die Daten-Affäre der Südwest-Jusos ist ein Lehrstück dafür, wohin der forsche Machtanspruch führen kann und wie eine Clique von Vorständlern zu Methoden greift, die eher in "gelenkten Demokratien" (Victor Orbàn) wie Ungarn oder Polen zu verorten sind. Ein unabdingbarer Schritt in Richtung Aufarbeitung bestünde in dem Eingeständnis, dass das Hantieren mit so seltsamen Praktiken keineswegs ein einmaliger Vorgang war, sondern System hat. Erstaunlich, wie verbissen die Akteure zu Werke gingen, wie unbekümmert um die Spaltungstendenzen, die sie sowohl in die eigene Jugendorganisation trugen als auch in die Partei.

Mit schöner Offenheit schildert die erwähnte Jusovorsitzende Stephanie ("Stephi") Bernickel in einem öffentlichen Mitgliederbrief Denke und Vorgehensweise: "Um im Rahmen von Landesausschüssen, Landesdelegiertenkonferenzen und Parteitagen den Überblick zu wahren und Informationen zu möglichen inhaltlichen Positionierungen zu erfragen, wurden Juso-Funktionsträgerinnen und Funktionsträger sowie Delegierte vonseiten der Mitglieder des Landesvorstands regelmäßig kontaktiert." Allerdings keineswegs alle, sondern nur diejenigen, "die sich nicht der Juso-Linken zugehörig fühlen". Und weiter: "Teilweise wurden hierzu temporäre Listen geführt."

SPD-Chefin Leni Breymaier sollte abgesägt werden

Natürlich ging es da nicht um Sandkastenspielchen. Der Plan: Leni Breymaier sollte abgesägt werden. Die frühere Bezirksleiterin der Gewerkschaft Verdi war 2016 an die Spitze der Landes-SPD gewählt worden, nach dem 13-Prozent-Debakel bei der Landtagswahl sollte sie der Partei ein Stück von dem linken Profil wiedergeben, das unter ihrem Vorgänger Nils Schmid notleidend geworden war. Auch weil sich Breymaier mit ihrer jungen Generalsekretärin Luisa Boos eine dezidierte Parteilinke an die Seite geholt hatte, senkten viele einflussreiche aktive und frühere Jusos alsbald den Daumen. Mehrheitlich, weil im Vorstand des Parteinachwuchses ebenfalls nur zwei Linke sitzen.

Als der langjährige Parteivize Lars Castellucci im Herbst seinen Hut in den Ring warf, um Breymaier herauszufordern, kam – nicht zum ersten Mal – eine gut geölte interne Maschinerie in Gang. Anfang Oktober wurde eine Excel-Datei fabriziert mit den Namen von Jusos und Sozialdemokraten, samt ihrer angeblichen oder tatsächlichen Positionierung in dem Duell um den Parteivorsitz. Sie soll "ein Stimmungsbild zur angekündigten Kandidatur einholen", schreibt Bernickel in ihrem Brief, den fünf weitere Vorstandsmitglieder mittragen. Weder informiert noch gefragt waren bei der Aktion die zwei Linken im Vorstand, genauso die entsprechend eingestuften Kreisverbände. Schließlich war, O-Ton Bernickel, "davon auszugehen, dass sich diese für Leni Breymaier aussprechen würden".

Offenherzig wird die Rolle des Juso-Landesgeschäftsführers Yannick Schulze beschrieben. Der sei an "der Umsetzung von Beschlüssen, wie beispielsweise unserer Positionierung bezüglich Lars Castellucci" beteiligt gewesen. "Das war nicht nur unsere Erwartung, sondern auch seine klare Zuständigkeit", heißt es in dem Brief. Schulze ist seinen Job längst los, seine AuftraggeberInnen sind dagegen in Amt und Würden. Zwei Tage vor dem Oktober-Parteitag hatte er Auszüge aus Delegiertenlisten und über eine eigens dafür angelegte Mail-Adresse einen Gesamtüberblick verschickt. Natürlich kamen wieder nicht alle Vorstandsmitglieder in den Genuss der Lektüre: "Falco Wehmer und Laura Petralito haben diese Mails nicht erhalten, da sie sich im Vorfeld offen für Leni und gegen Lars ausgesprochen hatten." Einen schönen Begriff für diese schräge Kommunikationstechnik lieferte der Brief an die Mitglieder gleich mit: "Informationsasymmetrie." Immerhin, inzwischen wird das als "eindeutiger Fehler" bewertet.

Kesse Behauptungen der Netzwerker

Informationssymmetrisch hingegen waren die Castelluci-Unterstützerinnen untereinander vorgegangen: "Yannick hat Stephi einige Tage vor dem Sindelfinger Parteitag in ihrer Funktion als Juso-Landesvorsitzende eine Übersicht über die gemeldeten Delegierten zukommen lassen." Und noch brisanter ist der Satz: "Sie hat diese Datei genutzt, um einen Gesamtüberblick über Delegierte im Juso-Alter zu erhalten". An anderer Stelle: "Die politischen Dimensionen sind uns dennoch bewusst, datenschutzrechtlich war das Vorgehen nicht relevant."

Die zweite Hälfte des Satzes nährte die Gelassenheit, mit der Bernickel und der frühere Juso-Landeschef Leon Hahn an die Aufklärungsarbeit gehen. Mangels anderer einschlägiger Unterlagen hatte sich Stefan Brink, der Landesbeauftragte für den Datenschutz, mit einem einzigen Vorgang zu befassen, rund um einen Kleinen Parteitag im Frühjahr 2019. Hahn hatte in dessen Vorfeld eine Liste aller 168 Delegierten mit Vor- und Nachnamen, Alter, Wohnort, dem jeweiligen Ortsverein und Kreisverband per Mail an zehn Vertraute versandt. Diese Aufstellungen hatten ein Stimmungsbild zu einem Antrag zum Thema Wohnungsbau vermitteln sollen, wie Brink mitteilte, als er vor einigen Wochen den Verstoß und das von ihm verhängte Bußgeld von 2500 Euro öffentlich machte.

Im Mitgliederbrief geht es aber zentral um den Landesparteitag in Sindelfingen und eine Datei, die helfen sollte, die Castellucci-Unterstützung der Jusos "in die Partei hinein zu kommunizieren und gegenüber der Presse sprechfähig zu sein". Nur "für diesen Zweck" sei sie angelegt worden. Die letzte Bearbeitung habe bereits im Oktober stattgefunden, es habe "also kein zeitlicher Zusammenhang zum Parteitag oder zum Mitgliedervotum" bestanden. Eine kesse Behauptung, denn letzteres startete justament Mitte Oktober.

Kräfteverhältnis muss neu austariert werden

Viele, vor allem ältere GenossInnen in vielen Kreisverbänden waren sicher gewesen, dass Breymaier klar siegen würde im internen Abstimmungskampf. Soviel Zuversicht war auch Wunschdenken derer, die hofften, den Einfluss der NetzwerkerInnen endlich zurückzudrängen – in einer Landes-SPD, die einst, in den Achtziger-Jahren unter der Führung des Vordenkers Erhard Eppler, ein Bollwerk der Linken in der Bundes-SPD gewesen war.

Wie die Kräfteverhältnisse in nächster Zukunft austariert werden, liegt nicht zuletzt an der neuen Nummer eins, dem Heidenheimer Andreas Stoch. Er vereint Partei- und Fraktionsvorsitz in seiner Hand, gehört weder der Linken noch den Netzwerkern oder einer anderen Strömung an, hat mit Sascha Binder einen ambitionierten Generalsekretär an seiner Seite und ist intensiv um die neue Kultur im internen Umgang bemüht, die in so vielen Posts und Tweets gefordert wird. "Nach dem rechtlichen Bescheid des Landesdatenschutzbeauftragten verstärken wir mit dem Auftrag an die Kontrollkommission unsere eigene, politische Aufarbeitung", sagt Binder tapfer. Der Landesvorstand werde "dann über die vorliegenden Erkenntnisse und Schlussfolgerungen für die Zukunft abschließend beraten und die Vorgänge bewerten". Lange wird sich die neue Führungsspitze mit so allgemeinen Einlassungen nicht mehr aus der Affäre ziehen können, wenn aus dem Start kein Fehlstart werden soll.


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9 Kommentare verfügbar

  • Ute Vogt
    am 10.04.2019
    Antworten
    Da soll wohl Geschichte umgeschrieben werden. Mein Wahlsieg gegen Wolfgang Drexler hatte mal rein gar nix mit dem erst 1999 gegründeten "Netzwerk Berlin" zu tun. Meine wichtigen Unterstützer waren damals, auch nach meiner Wahl, die SPD Basis, die Jusos und Leute wie Hermann Scheer und Ulrich Maurer.…
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