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Vom Dreck der Ewiggestrigen

Vom Dreck der Ewiggestrigen
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Derzeit sind vor allem die GegnerInnen von Fahrverboten in den Medien präsent, weniger diejenigen, die unter den hohen Schadstoffkonzentrationen zu leiden haben. Peter Erben von der Bürgerinitiative Neckartor hofft dennoch langfristig auf ein Umdenken vieler. Nicht nur im Stuttgarter Talkessel.

Herr Erben, die Generalsekretärin der baden-württembergischen FDP Ingrid Skudelny hat den Standort der Messstation am Stuttgarter Neckartor als idiotisch bezeichnet. Was denken Sie bei dieser Kritik?

Das ist hart, aber sie hat recht. Nur ganz anders, als sie denkt. Seit mehr als 15 Jahren wird an besagtem Standort gemessen. Seit Jahren werden an dieser Stelle negative Spitzenwerte registriert. Das war so nicht unbedingt zu erwarten. Die B14 grenzt hier an den Mittleren und den Unteren Schlossgarten. Vielleicht wäre die Schadstoffkonzentration in einer beidseitig bebauten Straßenschlucht noch höher. Und inzwischen erst recht, weil sich viele der Bemühungen auf die Senkung der Werte direkt am Neckartor konzentrieren. Was wäre, wenn heute am Heslacher Tunnelmund gemessen würde? Oder in der Hauptstätter Straße? Messstationen müssen errichtet werden, wo die höchste Luftschadstoffbelastung zu erwarten ist. So schreibt es die EU vor. Es ist nicht seriös, in nächster Umgebung zur Messstation mit Staubsaugern, Nassreinigung und Pinselaktionen mit Ach und Krach zu versuchen, die Einhaltung der Grenzwerte zu schaffen.

Diese Erkenntnis hat aber momentan nicht wirklich Konjunktur.

Unter Vernünftigen schon. Aber es ist wahr, die aktuellen Debatten wollen gerade andere bestimmen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht funktionieren wird. Die Stuttgarter FDP-Gemeinderatsfraktion hat zwei Mal wissen wollen, ob die Messstation am Neckartor richtig steht. Das wurde 2006 mit der Unterschrift von OB Wolfgang Schuster erstmals bejaht und 2010 noch einmal. In der Antwort wird erläutert, wie die Sollvorgaben der EU in der Praxis umgesetzt wurden, und dass die Ergebnisse repräsentativ sind. Und jetzt macht die FDP Veranstaltungen, bei denen Norbert Haug auftritt, der frühere Rennleiter von Mercedes, und sagt, ihm täten die Stuttgarter Mütter leid, die wegen der Fahrverbote ihre Kinder nicht in die Schule bringen können. Mir tun die Kinder leid, die auf dem Weg zur Schule den Dreck aus den Auspuffrohren der Ewiggestrigen einatmen müssen.

Und dennoch gelten Fakten gerade wenig. Warum?

Die Stimmung ist aufgeheizt durch die Fahrverbote. Oder besser: Die Fahrverbote werden genutzt, um Leute zu mobilisieren. Aber es ist völlig absurd, wenn jetzt auf einmal argumentiert wird, dass Griechen und Italiener anders messen. Anders als wir, nämlich nicht so gründlich, und deshalb müssten wir jetzt auch weniger gründlich messen. Was die Italiener tun, hat mit der Luftqualität am Stuttgarter Neckartor gar nichts zu tun. Und noch viel mehr stört mich, wenn Gerichtsurteile in Frage gestellt werden, die gefällt wurden, um geltendes Recht zum Schutz der Menschen vor Gift in der Atemluft durchzusetzen. Damit wird der Rechtsstaat ausgehöhlt. Wenn die FDP oder die CDU jetzt dazu aufrufen, beim Messen weniger gründlich vorzugehen, ist das ein Aufruf zum Rechtsbruch.

Argumentiert wird mit der Verhältnismäßigkeit.

Das ist ein ganz besonderes Stichwort. Das Problem ist zunächst nicht die Menge der Luftschadstoffe aus den Motoren der einzelnen Fahrzeuge. Das Problem ist die schiere Masse der Emittenten. Deshalb ist es natürlich verhältnismäßig, einen Großteil dieser Schadstoffquellen zu stopfen beziehungsweise aus der Stadt zu entfernen. Da taucht aber das nächste Problem auf: Denn auf dem Land bliebe dann immer noch die Flutung der Atmosphäre mit klimazerstörendem CO2.

Wie ließe sich das lösen?

Verhältnismäßig wäre auch hier die massenhafte Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene. Faktisch passiert aber viel zu wenig, um unsere Luft so sauber zu bekommen, dass weder unsere Gesundheit noch unser Klima Schaden nehmen. Wer auf dem Steg über der B14 steht und die Zustände ehrlich und unvoreingenommen auf sich wirken lässt, der sieht doch, dass Verhältnismäßigkeit etwas ganz anderes wäre: die Beschränkung des motorisierten Individualverkehrs auf eine Spur stadtein- und eine stadtauswärts, wenn überhaupt, und dazu großzügige Bus- und Fahrradspuren.

Was heißt: wenn überhaupt?

Man könnte doch auch sagen, es solle gar keine Spuren mehr für den motorisierten Individualverkehr geben. Wer mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs ist, ist ja auch individuell unterwegs. Und für Autos gibt es nur noch zwei Spuren für Car-Sharing, für Stadtmobile, vielleicht für Fahrgemeinschaften und Taxis, aber nicht für die 62 000 Fahrzeuge, die jeden Tag hier unterwegs sind. Direkt unter den Fenstern von Anwohnern, zum Beispiel in dem Heim für Studierende mit immerhin 200 Plätzen. Und da sagen Fahrverbotsgegner, da lebe ja niemand. Oder man hört Sprüche wie: Wem es am Neckartor nicht passt, der kann ja wegziehen. Die Leute wollen hier wohnen, ich selbst wohne hier auch gern. Hier sind viele Geschäfte fußläufig zu erreichen, auch der Hauptbahnhof. Es gibt eine gute soziale Mischung, und wir alle haben dasselbe Recht auf gute Luft wie all die anderen Menschen in dieser Stadt. Das ist ja gerade das Gute an Grenzwerten. Sie sind der Hebel, dieses Recht auf saubere Luft festzustellen zu lassen. Und das haben wir erreicht.

Noch einmal: Die Fahrverbotsgegner halten Verkehrsbeschränkungen für nicht verhältnismäßig, Sie hingegen halten das hohe Verkehrsaufkommen in einer Stadt wie Stuttgart für nicht verhältnismäßig. Wie könnte denn den unbestreitbaren Mobilitätsbedürfnissen der Gesellschaft entsprochen werden?

Ich weiß natürlich, dass es keinen Schalter gibt, den wir umlegen können. Wir von der Bürgerinitiative Neckartor kämpfen seit so vielen Jahren. Wir treffen uns einmal im Monat, wir diskutieren, wir zerbrechen uns die Köpfe. Es gibt nur wenige der gängigen Vorschläge, die wir nicht immer wieder durchdacht haben. Ich könnte eine ganz lange Liste machen. Mobilität ist ein Grundbedürfnis. Die Menschen müssen zur Arbeit, also dorthin, wo sie ihre Brötchen verdienen. Mobilität hat etwas mit Komfort zu tun und mit Kultur. Aber eben auch mit dem Klima. Es geht darum, die Deutungshoheit über den Begriff Mobilität zu erlangen, und wir sind nicht so unerfolgreich damit, diese fehlgeleitete Gleichsetzung von Mobilität und Autofahren aufzubrechen. Es sind so viele Fahrradfahrer in der Stadt unterwegs, und es können noch viel mehr werden. Ich plädiere für ein richtig dichtes Netz an Busspuren. Da müssen keine neuen Schienen verlegt werden, das geht viel schneller. Es wird Taxis geben, nicht nur für letzte Teilstrecken. Aber wir müssen uns die Stadt wieder zurückerobern und den Raum völlig neu verteilen. Städte existieren viel länger als Autos oder Pferdefuhrwerke. Nehmen Sie nur das Einkaufsverhalten. Menschen müssen nicht von Esslingen mit ihrem Auto nach Stuttgart, um etwas zu kaufen, was es in Esslingen genauso gibt.

Die Grünen haben keine guten Erfahrungen gemacht mit Ideen, die als Bevormundung und ungerechtfertigte Eingriffe in den persönlichen Lebensstil gebrandmarkt wurden. Stichwort "Veggie-Day". Können sich Wahlkämpfer leisten, lenkend einzuwirken auf das, was massiv als Einkaufserlebnis beworben wird?

Die paar hundert Demonstranten gegen Fahrverbote sind nicht repräsentativ für die Stadt. Hartnäckigkeit und ein langer Atem zahlen sich aus, das beweist unsere Bürgerinitiative. Vergangenen Sommer war sogar das koreanische Fernsehen bei uns und wollte wissen, wie Bürgerinitiative geht. Mut zahlt sich aber auch aus. Die ganze Neckarstraße könnte Fahrradstraße werden, die Tübinger Straße ist es doch auch ...

... mitten in einer Stadt, in der das Auto noch zur DNA gehört.

Eben! Noch. Ich hab' auch mit 18 den Führerschein gemacht. Dann war ich unterwegs mit dem Auto meiner Schwester oder meines Bruders. Das war ein Gefühl der Freiheit, das stimmt. Aber es hat nicht lange gedauert, dann hat es mir gedämmert, dass Freiheit etwas anderes ist. Und heute gibt es so viele Untersuchungen, die sagen, dass Jugendliche und junge Erwachsene ein eigenes Auto gar nicht mehr für erstrebenswert halten. Jedenfalls in der Stadt.

 Bleibt das Argument der gefährdeten Arbeitsplätze.

Die Nachfrage nach Mobilität generiert immer Arbeitsplätze. In der Produktion, der Forschung, der Entwicklung und im Dienstleistungsgewerbe. Schienenfahrzeuge, Seilbahnen und Lastenräder wollen auch gebaut und unterhalten werden. Das nicht eingelöste Versprechen der Automobilindustrie, für saubere Diesel zu sorgen, hat uns mit in die Situation gebracht, in der wir jetzt sind. Die sind jetzt am Zug. Die müssten so unter Druck gesetzt werden, dass sie reagieren und Produkte auf den Markt bringen, die Mobilitätsbedürfnisse adäquat erfüllen und die dringend notwendigen Konsequenzen aus dem Klimawandel ziehen. Das ist das Gebot der Stunde. Der radikale Strukturwandel der Automobilindustrie hin zu einer klimaneutralen Mobilitätsindustrie ist längst überfällig.

Sind Sie ein Optimist?

Ich bin ein Realist. Der Kampf ist noch lange nicht vorbei. Aber gerade die Jugendlichen zeigen uns an den Freitagen in so vielen Industrieländern, wie schnell eine Bewegung Zulauf und Bedeutung bekommt. Dahinter bleiben wir am Neckartor nicht zurück. Dahinter dürfen wir nicht zurückbleiben.

 

Mehr Infos zur Bürgerinitiative Neckartor gibt's auf ihrer <link https: bineckartor.wordpress.com _blank external-link-new-window>Homepage.


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7 Kommentare verfügbar

  • Frank Frei
    am 22.03.2019
    Antworten
    Die Leute, die klagen produzieren durch eigenen Konsum viel Drexk. Nir woanders.
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