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Frauenfalle Homeoffice

Frauenfalle Homeoffice
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Die SPD diskutiert den Rechtsanspruch auf Heimarbeit. Die Begründung ist putzig: "Damit mehr ArbeitnehmerInnen von den digitalen Vorteilen profitieren." Tatsächlich sollen sie nur die bezahlte Arbeit mit der unbezahlten für die Familie besser unter einen Hut bringen können.

Schöne neue (Männer-)Welt: Am individuell-ergonomisch gestalteten Schreibtisch sitzt der moderne Vater und macht im eigenen Start-up zündende Ideen zu Geld. Zu seinen Füßen entwickelt der Jüngste dank Smartphone und pädagogisch wertvollen Apps ein erstes Interesse für Ziffern und Buchstaben, während der Ältere am Tablet gemeinsam mit Alexa Mathe-Hausaufgaben erledigt. Die Atmosphäre ist konzentriert und der Vater stolz, wenn seine Söhne ihn mit klugen Fragen unterbrechen. Die profane Realität statt der fiktiven Idylle: Der Kleine quengelt in anwachsender Lautstärke, weil er per Tretroller durch die Wohnküche düsen will, der Große ist stinksauer, weil er Alexa nicht nutzen darf und selber rechnen muss, der Papa stöhnt genervt; und als die Mutter vom Job heimkommt, mit viel Zeug fürs Homeoffice, übernimmt sie die Söhne, damit der Gatte endlich in Ruhe arbeiten kann.

Heimarbeit war noch nie der Bringer. Nicht im 19. Jahrhundert, als ausgebeutete Kinder und Frauen sich für Hungerlöhne als Näherinnen, Stickerinnen, Weberinnen oder Spinnerinnen verdingen mussten; nicht in der Weltwirtschaftskrise, als Arbeitslose Schlange standen, um daheim im Akkord Schleifpapier für Maschinen zurechtzuschneiden, Nägel geradezuklopfen oder Werkstücke einzufetten; nicht, als ArbeiterInnen und Angestellte ausgelagert wurden, mit dem praktischen Nebeneffekt, für Gewerkschaften schwieriger erreichbar zu werden; erst recht nicht in der Vier-Punkt-Null-Gegenwart. Und für Frauen schon gar nicht.

Hätte die SPD-Spitze, bevor sie Anfang Februar ihr Strategiepapier lancierte, den guten alten Schulterschluss zum Deutschen Gewerkschaftsbund gesucht und gefunden, hätte sie erfahren können, <link https: www.boeckler.de pdf p_wsi_report_47_2019.pdf external-link-new-window>dass der DGB eine einschlägige Studie in der Pipeline hatte. Inzwischen liegt sie vor, mit ernüchternden Resultaten. Yvonne Lott, Leiterin des Referats Geschlechterforschung am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung, hat untersucht, wie Eltern flexible Arbeitsarrangements nützen (müssen). Danach stecken berufstätige Frauen in Heimarbeit noch mehr Zeit in die Familie, verglichen sowohl mit Männern als auch mit berufstätigen Müttern im Betrieb. Hingegen sinkt das Engagement von Vätern im Homeoffice sogar, weil die Kinder eben nicht entspannt zu Füßen ihres Erzeugers auf dessen nächstes Zeitfenster warten, in dem er ihnen seine Aufmerksamkeit schenkt.

Die noch immer gesellschaftlich akzeptierte, wenn nicht sogar gewollte Bevorzugung der Männer kennt viele Facetten. Demnächst steht der Equal Pay Day 2019 an, der "Tag für gleiche Bezahlung". Der soll den Blick auf Ungerechtigkeiten schärfen und zeigt, bei nicht nur oberflächlicher Betrachtung der Situation, wie einseitig selber Statistiken sind. Denn durchgesetzt hat sich eine die Verhältnisse schönende Betrachtungsweise. "Meine Tochter Svea bekommt zwei Kekse, mein Sohn Alexis erhält drei Kekse, weil er ein Junge ist", schreibt Christina Mundlos in ihrem feministischen Blog. "Svea beschwert sich und sagt 'Alexis hat 50 Prozent mehr Kekse als ich.' Doch Alexis entgegnet 'Nein, du hast nur 33 Prozent weniger Kekse als ich.'" Nur nach dieser Logik ist Equal Pay Day gar, wie derzeit vielfach zu lesen, am 18. März. Aus Sveas Perspektive fällt er auf den 7. April; und der Lohnrückstand von Frauen liegt nicht bei 21 Prozent, sondern bei 28.

Noch schräger ist das Märchen von den bereinigten Zahlen. "Frauen in Deutschland bekommen derzeit bei exakt gleicher Arbeit sechs Prozent weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen", weiß das "Handelsblatt" beschönigend. Das Statistische Bundesamt rechnet ganz offiziell diejenigen Entlohnungsanteile heraus, die es auf sogenannte "strukturelle Unterschiede" zurückführt: Teilzeit, Berufswahl oder den eklatanten Männerüberhang in Führungspositionen. Letzterer fällt auch nicht vom Himmel: Noch 2016 hatte das Bundesfamilienministerium erhoben, dass Frauen und Männer im Alter zwischen 30 und 50 Jahren dieselben Bildungsabschlüsse haben und jüngere Frauen Männer bereits überholen. Die Erwerbsbiografien sprechen eine ganz andere Sprache.

Unbezahlte Arbeit bleibt Frauensache

Genderfallen sind und bleiben die Familienphase und die Teilzeit. Fallen, deren Dramatik sich – ganz unbereinigt – im endgültigen Gap dramatisch niederschlägt: Frauen bekommen aus ihrer Sicht, siehe Svea und die Kekse, 73 Prozent weniger Rente als Männer. "Werden alle Kekse mal zusammengerechnet, kommt da so einiges zusammen", schreibt Mundlos, "Männer haben einen höheren Stundenlohn (4,41 EUR mehr je Stunde in 2017); Männer sind mehr Jahre erwerbstätig als Frauen (bei den heute 26-Jährigen werden Männer vermutlich fast sechs Jahre länger erwerbstätig sein); Männer sind durchschnittlich mehr Stunden pro Woche erwerbstätig (fast neun Stunden wöchentlich mehr als Frauen); ganz grob verdienen Männer durchschnittlich im Laufe ihres Lebens bis zum Beginn der Rente auf diese Art 1,7 Millionen Euro, und bei Frauen sind es nicht mal 900 000 Euro."

Auch die renommierte Schweizer Ökonomin Mascha Madörin analysiert seit Jahren die "riesige Umverteilungsmaschinerie zu Ungunsten der Frauen", vor allem Konsequenzen der ungleichen Verantwortung für unbezahlte Sorge- oder Care-Arbeit. "Je länger ich mich damit befasse", so die Schweizerin kürzlich auf einer Verdi-Bezirksfrauenkonferenz im Stuttgarter Gewerkschaftshaus, "desto entsetzter bin ich über die riesige Lücke des Denkens." Nach den aktuellen Eurostat-Zahlen zur Basis der Altersversorgung entgehen dem weiblichen Teil der Bevölkerung 430 Milliarden Euro oder umgerechnet das Dreifache der öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland. In Schweden ist die Differenz zwischen Männern und Frauen pro Kopf nur halb so groß. Weil Männer, sagt Madörin, "einfach nicht so viel Zeit haben für die Erwerbsarbeit, sondern viel besser in die Care-Arbeit und in Engagement für die Familie eingebunden sind".

Homeoffice 4.0 wird die deutschen Verhältnisse den schwedischen auch nicht näherbringen. "Die traditionellen Geschlechterbilder, die in Gesellschaft und Betrieben häufig vorherrschen, unterstützen die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit in Partnerschaften", schreibt Lott. Daran habe sich trotz Zunahme der Frauenerwerbsarbeit an der Arbeitsteilung aufgrund der althergebrachten Rollenvorstellungen in den vergangenen Jahren wenig geändert. Und selbstbestimmt setzten Männer noch eins drauf: "Väter nutzen Homeoffice ausschließlich, um deutlich länger zu arbeiten". Und keineswegs dazu, Familie und Beruf, wie für Mütter selbstverständlich, unter einen Hut zu bringen. Weshalb deren Doppelbelastung zu- statt abnimmt. In zu vielen Betrieben gilt zudem weiterhin als ideal, wenn Mütter ihre Familie priorisieren. Wer aber aufsteigen wolle, müsse "den Job vor alles andere stellen", beschreibt Lott ein Dilemma, mit dem Frauen von Arbeitgebern, Kollegen, aber eben auch von den eigenen Männern viel zu oft alleingelassen werden.

Und von der SPD erst recht. "Homeoffice bedeutet für viele weniger Zeit im Stau, einen flexibleren Alltag, kurz: Arbeit, die zum Leben passt", twittert die Bundesvorsitzende Andrea Nahles aus der schönen neuen (Männer-)Welt. Dabei müsste sie als Arbeitsministerin jede Menge einschlägige Erfahrungen gesammelt haben. Von den vielen Untersuchungen zur viel komplexeren gesellschaftlichen Wirklichkeit ganz zu schweigen. In den Niederlanden ging das international vielbeklatschte Recht auf Homeoffice bei genauer Betrachtung mit einer Gründungswelle von Ein-Mann/Frau-Unternehmen einher. IBM legt umfangreich dar, warum sich bereits eine Trendumkehr vollzogen hat und Beschäftigte weltweit wieder zurück müssen an den außerhäuslichen Arbeitsplatz. Aussagekräftig ist auch, wer was nicht untersucht: Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat sich schon 2016 mit mobilem Arbeiten in Deutschland und den unterschiedlichen Typen von "Computerarbeitern" befasst, ohne einen Gedanken an Geschlechterunterschiede oder gar auf die ökonomischen Auswirkungen von mobilem Arbeiten zu verwenden.

"Vielleicht sollten wir aufhören, uns (...) beschwichtigen zu lassen", schreibt Christina Mundlos, "und stattdessen anfangen, in die Politik zu gehen und nur noch die Politikerinnen wählen, die uns Frauen zu dem Geld verhelfen, um das wir betrogen werden." Wahltag sei Zahltag. Der nächste ist der 26. Mai.


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3 Kommentare verfügbar

  • Andrea K.
    am 17.03.2019
    Antworten
    Ich verstehe jetzt nicht ganz, wohin die Kritik führt: Ich gebe Männern und Frauen mehr Zeit am Tag, Frauen investieren diese in die Familie, Männer nicht. Soweit für mich als Scheidungskind nicht überraschend. Auch heute fühlt sich der großteil der Väter für ihren Nachwuchs nicht wirklich…
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