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Kollektives Trauerspiel

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Ein Quartett soll es richten für die Rechten. Der eine in der AfD-Landesspitze hat keine Mehrheit in der Landtagsfraktion, der andere surft auf der Fahrverbotswelle, den Dritten kennt kaum jemand, und der Vierte wollte sich eigentlich aus der Führung verabschieden.

Eins hat die "Alternative für Deutschland" mit ihrem baden-württembergischen Polittheater in mehreren Akten schon geschafft: Jetzt wird unterschieden zwischen Guten und Bösen, zwischen Gemäßigten und Radikalinskis, obwohl sich alle – auch im neuen Führungsteam – immer wieder außerhalb der Regeln für den demokratischen Alltag tummeln.

Einer der neuen Guten in der AfD-Welt ist Bernd Gögel. Der 64-jährige Spediteur aus Pforzheim steht an der Spitze einer chaotischen Landtagsfraktion, und sieht sich mit Vorwürfen konfrontiert, die nach normalen Maßstäben zu vielem geführt hätten, aber sicher nicht zu seiner Wahl als Chef der Landespartei. Zumal alle Vorwürfe, schwarz auf weiß, in einem Brief an alle Mitglieder dokumentiert sind. Christina Baum, die Aufrührerin, unterstellt Gögel, den Landesvorstand "mit falschen Behauptungen über Stefan Räpple zu einem Parteiausschlussverfahren (PAV) gedrängt zu haben". Kein Vorwurf sei "zu absurd, nur um sich eines vermeintlichen Beeinträchtigungsgrundes der eigenen Parteikarriere zu entledigen". Gögel fehle "die Fähigkeit und der Wille, die AfD-Landtagsfraktion zu führen".

So urteilen sie also übereinander, die wackeren StreiterInnen für die Rettung des Landes vor dem links-grün versifften Establishment. Vor allem jene im Lager Baum/Räpple, zu dem sich Bernd Grimmer, Rüdiger Klos, Rainer Podeswa, Heiner Merz, Hans-Peter Stauch, Klaus Voigtmann sowie irgendwie auch Wolfgang Gedeon und natürlich Emil Sänze zählen nach dem Parteitag in Heidenheim. Zweimal nahm Sänze, bekanntgeworden durch seinen obsessiven Privatfeldzug gegen die Grüne Muhterem Aras ("Es wirkt peinlich, mit welcher geschmacklosen Verve unsere Landtagspräsidentin den deutschen NS-Schuldkomplex wieder für ihre politische Migrantengesellschaft-Agenda instrumentalisiert"), Anlauf auf den Chefposten in der Landespartei. Zweimal scheiterte er vergleichsweise knapp.

Viele auf einschlägigen Seiten im Netz sind ausnahmsweise einig mit BeobachterInnen der Heidenheimer Vorgänge in der realen Welt. "Räpple, danke!", postet einer der Radikalinski-Gegner. Denn der Psychologische Berater aus Kehl, so die selbstgewählte Berufsbezeichnung, nervte den Parteitag derart mit kruden Vorstößen, dass am Ende seine FreundInnen mitabgestraft wurden: Sänze scheiterte, Baum unterlag dem scheidenden Vorsitzenden Marc Jongen im Kampf um den Vizeposten, und Wolfgang Gedeon, der schräge Einzelgänger mit den antisemitischen Tiraden, brachte es gerade mal auf 54 von rund 750 Mitgliedern, die ihn im Landesvorstand sehen wollten. "Radikale Sektierer wie Stefan Räpple oder Wolfgang Gedeon, die von Sänze und anderen im Namen der Meinungsfreiheit gedeckt werden, stehen nicht repräsentativ für die AfD", urteilen die "Stuttgarter Nachrichten".

Der Daimler-Ingenieur ist besonders helle

Da ist was dran, nur sind die nicht ganz so Radikalen im kollektiven Trauerspiel jeder gegen jeden, kaum besser. Allen voran Gögels neuer Tandem-Partner Dirk Spaniel. Ende Januar, nachdem AfD-Mitglieder erfolglos versucht hatten, sich an die jüngsten Diesel-Demos in der Landeshauptstadt dranzuhängen, beklagte der 47-jährige Daimler-Ingenieur deren Instrumentalisierung. Offenbar hatten Vertreter des politisch rechten Vereins Zentrum Automobil sowie der AfD-Bundestagsabgeordnete Spaniel Interesse bekundet, bei der Demonstration zu sprechen, berichtete der SWR. Davon wollte der Initiator aber nichts wissen.

"Sofort und bedingungslos"

Hans-Ulrich Sckerl, der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, hat die AfD aufgefordert „sofort und bedingungslos“ das Arbeitsverhältnis mit dem Mitarbeiter Marcel Grauf zu beenden. „Nach dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe im Prozess um rechtsextreme Chat-Nachrichten muss gehandelt werden", so Sckerl. Das Gericht habe „die klare Auffassung vertreten, dass Grauf der Urheber menschenverachtender und gewaltverherrlichender Facebook-Nachrichten ist“. Wer sich virtuell als potenzieller Killer brüste, „hat im Landtag nichts verloren“.

Bereits im vergangenen Mai und nach den Kontext-Enthüllungen hatte der SPD-Abgeordnete Boris Weirauch beklagt, dass Marcel Grauf, der sich einen Bürgerkrieg mit Millionen Toten herbeisehne, im Fall seiner Verhaftung "knietief im Blut stehen" und "auf Leichen pissen und auf Gräbern tanzen" wolle, als persönlicher Mitarbeiter der Abgeordneten Christina Baum und Heiner Merz nicht nur freien Zugang zu vertraulichen Informationen habe, sondern auch zu den Sicherheitszonen des Landtags.  (jhw)

Der Konter des Bundestagsabgeordneten, der in seinem Stuttgarter Wahlkreis 6,7 Prozent der Erststimmen erobert hatte, fiel kolossal aus: Es sei mehr als irritierend, wenn der "selbsternannte unabhängige Veranstalter im Hintergrund von einem Daimler-Betriebsrat der IG-Metall überwacht wird". Vielmehr habe ein äußerst kamerascheuer Zeitgenosse namens Serkan Senol hierbei die Rolle eines "patriarchalischen Paten" gespielt, "der über Redebeiträge wachte und entschied, wer sprechen durfte und wer nicht". Und "die linke Gewerkschaft" trete noch dazu "Hand in Hand mit der gewaltbereiten Antifa auf" und offenbare so "in erschreckender Weise: Linksextremismus ist ein Problem mitten in zentralen Organisationen unserer Gesellschaft, die mit der angeblich demokratischen Partei SPD verquickt ist".

Einlassungen wie diese sind an der Tagesordnung. Spaniel twittert in Trump-Manier, was das Zeug hält, aktuell beispielsweise gegen den "erbärmlichsten Bundespräsidenten" Steinmeier wegen dessen Telegramms zum iranischen Nationalfeiertag. Und er hält zu Ungarns Staatschef Orban, der einer "Schmutzkampagne" ausgesetzt sei. Daneben hetzt er gegen die "Relotius-Presse", weil über den Mitglieder-Zuwachs der Grünen berichtet wird. Spaniels Wunsch: "Fakten statt Jubelartikel." Andauernd ist der promovierte Autoingenieur zugange mit seltsamen Vergleichen und haltlosen Vorwürfen. Etwa, als der SWR am Sonntagabend streng nachrichtlich meldet, was Sache ist: "AfD bricht Parteitag ab – Wahlen nicht komplett." Antwort Spaniel: "Dafür bezahlen Sie und ich Zwangsgebühren. Schluss damit."

Beifall von ganz rechtsaußen für den Philosophen Jongen

Der Autoingenieur ist 2015 in die AfD eingetreten, weil ihm, wie er in "Das Parlament" selber berichtet, "zuerst Zweifel kamen, ob die Etablierten beim Thema Banken- und Euro-Rettung richtig lagen." Dazu gesellten sich die Energiewende und Zuwanderung. Er habe "etablierte Politiker gefragt, ob ihnen klar sei, was das alles für Kosten verursachen wird und wie viele Menschen in einigen Jahren hier leben werden", aber keine vernünftigen Antworten bekommen, "sondern nur kindliche Naivität ohne Projektion der Zukunft" festgestellt. Die Entscheidung fürs Engagement bei der AfD, "die als einzige Partei Front gegen diese Entwicklungen machte", war gefallen. Jetzt gilt der gebürtige Marburger, dem die lange Tätigkeit bei Daimler sowas wie eine geborgte Seriosität verleiht, als Halbguter.

Ebenso wie Thilo Rieger. Der neue Vize hat sich als Pressesprecher des Landesverbands in einer besonders unappetitlichen Frage gegen Gedeon gestellt, als der im heimatlichen Singen einen "Stolperstein" für Ernst Thälmann und dessen Familie verlegen wollte. O-Ton Gedeon: Die "Stolpersteine" stünden zudem für eine "Inflationierung von Gedenken", und verwandelten die "Erinnerungs-Kultur" immer mehr in eine "Erinnerungs-Diktatur". Da hielt Rieger dagegen: "Unabhängig davon, was man von Ernst Thälmanns Positionen und Taten hält, war er unzweifelhaft ein Opfer der Nationalsozialisten und erfüllt damit die Kriterien für einen 'Stolperstein'".

Ein deutlich beschriebeneres Blatt ist Marc Jongen, der zweite Vize, der sich mit immerhin 351 zu 225 Stimmen gegen Baum durchsetzte. Der Journalist aus Südtirol, der als früherer akademischer Mitarbeiter von Peter Sloterdijk den Ruf eines Denkers genießt, produziert nicht nur am Fließband sonderbare Theorien, er bekam unverzüglich nach seiner Wahl auch Beifall der besonderen Art. Die "AfD-Freunde Tübingen" jubelten über seine Wahl: "Die versammelten Mitglieder waren darüber informiert worden, dass Jongen in Schnellroda eine Rede vor Aktivisten der Identitären Bewegung (IB) gehalten hatte. Mit seiner Wahl haben sich die Mitglieder offensichtlich basisdemokratisch dafür ausgesprochen, die AfD und Identitäre Bewegung in Zukunft näher zusammenzurücken", was in Tübingen "durchaus Tradition" habe.


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1 Kommentar verfügbar

  • Dagmar Heinemann
    am 28.02.2019
    Antworten
    Zum letzten Absatz: Da ist leider die Recherche fehlgeschlagen. Das haben die Tübinger bewusst gepostet - und übrigens auch einen Ironiehinweis untergebracht - um Marc Jongen zu schaden. Denn der ist der Gegner der Extremisten, die den Landesvorstand ergattern wollten.
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