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Grün-Schwach

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Mit ihren Bremsmanövern bei der Verkehrswende bringt die CDU-Spitze die Landesregierung ins Schlingern. "Das geht an die Kante", sagt Winfried Kretschmann und kann sich dennoch entspannt zurücklehnen. Denn die Grünen fahren abermals demoskopische Höchstwerte ein. Zu viel kann sich der Koalitionspartner nicht mehr erlauben.

Der CDU-Landesvorsitzende erfreute sich an der Vorstellung vom Ende der Koalition schon, da hatten die Verhandlungen mit den Grünen noch gar nicht begonnen. Im Frühjahr 2016, bei den Sondierungen im Stuttgarter Haus der katholischen Kirche, malte sich Thomas Strobl vor laufenden Kameras aus, wie er den Grünen am Ende der Legislaturperiode den Stuhl vor die Tür stellen würde. Natürlich im trügerischen Glauben, den ungeliebten Koalitionspartner bis dahin überflügelt zu haben, um bei der Landtagswahl 2021 wieder das zu herzustellen, was so viele in seiner Partei noch immer für eine Art Naturzustand halten: Platz eins im Südweststaat.

Knapp drei Jahre später sind die Schwarzen davon weiter entfernt denn je. Der Sinkflug geht weiter. Forsa hat "den niedrigsten Wert" für die Südwest-CDU ermittelt, "den wir je hatten", wie Manfred Güllner als Chef des Berliner Institut anmerkt. Und selbst wenn man mit einberechnet, dass seine Fachleute traditionell die Grünen eher gut dastehen lassen, ist ihr Vorsprung inzwischen doch einigermaßen spektakulär: Bei gut tausend Befragten wurden Ende Januar – bei einer Schwankungsbreite von eineinhalb bis drei Punkten – 33 Prozent für die Grünen und 23 für die CDU ermittelt.

Darin spiegelt sich auch wider, was der Union im Land nicht erst seit heute fehlt: ein Plan, auch heikle Zukunftsthemen proaktiv, wie Stefan Mappus gesagt hätte, anzugehen. Bisher wurde immer nur darauf gesetzt, dass zumindest mittelfristig die Abgrenzung von den Grünen Wasser umleitet auf die eigenen Mühlen. Das funktioniert aber nicht, weil schon die Ausgangslage falsch bewertet wird. Die Politik der Landes-CDU, ob in Fraktion oder Kabinett, unterstellt, dass zumindest eine sehr große Gruppe von WählerInnen sich im Spannungsfeld zwischen Mobilität und guter Luft zufriedenstellen lässt – allein mit dem Kampf gegen Fahrverbote und ein Tempolimit, für höhere Schadstoffgrenzwerte und einer verändert aufgestellten Messstelle.

Strobl hat offenbar Angst vor der eigenen Courage

Dieser Kurs und die Fakten wollen aber nicht so recht zusammenpassen. Für Schadstoffe beispielsweise und ihre Grenzwerte ist die EU zuständig, abgesegnet wurden sie vor Jahren von einer CDU-geführten Bundesregierung. Was die Messstellen angeht, so hat Innenminister Strobl im Krisenkoalitionsausschuss zwar durchgesetzt, dass allein in der Landeshauptstadt 50 aufgestellt werden. Ganz davon abgesehen, dass es die am Markt gar nicht gibt und dass sie – die technische Ausstattung des Containers am Neckartor zu Grunde gelegt – die Kleinigkeit von fünf Millionen Euro kosten würden, könnte der Schuss heftig nach hinten losgehen. Denn der Innenminister, den selbst die ExpertInnen in seinem Haus "eher für einen Generalisten als für einen Spezialisten halten", so ein langgedienter Beamter, mag sich offenbar ganz und gar nicht vorstellen, dass neue Messungen neue neuralgische Punkte zutage fördern könnten. Und dass Fahrverbote für jüngere Diesel dank der zusätzlichen Werte womöglich noch dringender und nötiger als ohnehin schon erscheinen.

Dann allerdings wäre die Koalition am Ende. Jedenfalls wenn man die Auftritte von Strobl und Fraktionschef Wolfgang Reinhart am vergangenen Dienstag für bare Münze nimmt. Mit der CDU werde es keine Fahrverbote für Euro-5-Diesel geben, sagen beide mit Stentorstimme. Zwar wurden solche Versprechen bei Euro 4 bereits nicht eingehalten. Aber ein zweites Einlenken scheint ausgeschlossen, zumal die Partei auf ihrer Winterklausur in Kloster Schöntal auch schon die Muskeln hat spielen lassen. Übrigens unter völliger Ausblendung des Umstands, dass die entscheidende Messtelle am Neckartor, wie sogar Ministerpräsident Kretschmann angriffslustig sagt, "nicht der böse Hermann, sondern der liebe Stefan Mappus aufgestellt hat".

Als hätte Strobl Angst vor der eigenen Courage bekommen, schränkt er seine Drohung vom Dienstag dann doch wieder ein. Für den Fall, dass "flächendeckende" Fahrverbote verhängt werden sollten. Bei seinem Standing in der CDU-Fraktion könnte er nämlich einen solchen Kompromiss, bei dem nur einige Straßen für Euro-5-Diesel gesperrt würden, schwerlich durchsetzen. Und das Thema ist so gefährlich, weil es, wenn die Union auch auf Bundesebene und in Europa immer weiter zündelt, vor allem der AfD Stimmen bringen könnte bei den Europa- und Kommunalwahlen Ende Mai. Keine schönen Aussichten für einen Landesvorsitzenden.

Ein stets bemühter Generalist

Zugleich illustriert das seit Monaten auf- und abschwellende Hick-Hack, wie "komplementär" die beiden Koalitionspartner wirklich sind. Die einen, die Grünen, sind trotz allem eher die mit den dicken Brettern. Das heißt noch lange nicht, dass Entscheidungen immer richtig sein müssen, aber auf eine gewisse Durchdringungstiefe vier Jahrzehnte nach der Gründung ist Verlass. Wie heißt es im ersten Grundsatzprogramm vom Frühjahr 1980 so schön: "Wir sind die Alternative zu den herkömmlichen Parteien (...) wir fühlen uns verbunden mit all denen, die in der neuen demokratischen Bewegung mitarbeiten, mit den Lebens-, Natur- und Umweltschutzverbänden, den Bürgerinitiativen, der Arbeiterbewegung, christlichen Initiativen, der Friedens- und Menschenrechts-, der Frauen- und Dritte-Welt-Bewegung."

Und im Verkehrskapitel: "Fahrzeuge aller Art, insbesondere solche mit Verbrennungsmotoren, müssen durch gesetzliche und fördernde Maßnahmen umgehend verbessert werden, und zwar im Hinblick auf Energieverbrauch, Lärm-und Abgasemission, aktive und passive Sicherheit sowie Reparaturfreundlichkeit und Haltbarkeit". Dazu kommt die "Förderung des Fahrradverkehrs durch ein dichteres, wesentlich verbessertes Radwegenetz". Niemand, kann Winne Hermann heute nahtlos anschließen, müsse sich "dafür schämen, eine Verkehrswende zu wollen". Und jedeR Einzelne könne durch individuelles Verhalten seiner Verantwortung gerecht werden.

Die anderen sind eine CDU, die sich nach Jahrzehnten an der Macht innere Widersprüche und eine blässliche Außenwirkung leistet, die ihr in der Wählergunst massiv schaden. "Wie ein Ochsenfrosch", heißt es aus Teilnehmerkreisen, habe sich der Innenminister im Koalitionsausschuss aufgeführt. Auch danach vor der Presse ist Thomas Strobl nicht trittsicher. So mokiert er sich darüber, dass in seiner Heimatstadt Heilbronn eine Stickoxidfilteranlage stehe, nicht aber in Stuttgart: "Das ist nicht nachvollziehbar". Falsch, sagt der ungeliebte Verkehrsminister Hermann prompt und kann den Casus schnell aufklären: Schon vor Monaten wurde mit dem Hersteller verhandelt, der aber habe die Anlage nicht in der für Stuttgart erforderlichen Dimension liefern können, deshalb finde der Modellversuch in Heilbronn statt.

CDU-Anhänger mehrheitlich für Kretschmann

Unbefriedigend ist die Situation rund um eine neue Busspur, und zwar ausgerechnet vor dem Innenministerium. Sie steht in dem von der Koalition im Sommer verabschiedeten Maßnahmenkatalog. Viele in der Stadt halten aber nichts davon, etwa die SSB, unter anderem wegen der Engpässe beim Einfädeln. Vor allem aber legt sich die CDU im Stuttgarter Gemeinderat quer. Für deren Zustimmung hätte der so sehr aufs Tempo drückende Landesvorsitzende Thomas Strobl ja schon mal bei den eigenen Kommunalpolitikern sorgen oder sich zumindest verkämpfen können. Stattdessen verlässt er sich weiterhin auf Kretschmanns Milde und darauf, dass der Ministerpräsident auch in Zukunft intern wie öffentlich eher einen Konflikt mit den eigenen Parteifreunden riskiert als mit dem Koalitionspartner.

Daraus allerdings auf Angst vor dem Auseinanderbrechen der Koalition zu schließen, wäre ein weiterer unter den vielen Fehlern des Juniorpartners. Am vergangenen Wochenende lud der grüne Landesverband zur Basiskonferenz nach Bad Cannstatt, um über das neue Grundsatzprogramm der Partei zu beratschlagen. 400 Interessierte kamen, darunter Parteichef Robert Habeck. Munter wurde diskutiert in Workshops – über eine gerechtere Welt, über Umverteilung und soziale Sicherungssysteme, über Digitalisierung, Kapitalismus und Verkehrswende, oder ziemlich prinzipiell über den Umgang mit den WählerInnen. "Nicht so viel Angst haben", empfahl Kretschmann. Er jedenfalls habe "wenig Angst, weil ich immer denke, ich mache euch ein Angebot, und wenn ihr andere wählt, seid ihr selber schuld". Die Moral von der Geschicht' hat Forsa ermittelt. Bei einer Direktwahl des Regierungschefs würden den Grünen im immerwährenden Steigflug 59 Prozent der Baden-WürttembergerInnen wählen. Thomas Strobl kommt auf fünf. Nicht einmal unter den Anhängern der Union hätte der CDU-Landeschef eine Mehrheit, auch die Schwarzen bevorzugen Kretschmann.


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1 Kommentar verfügbar

  • Peter Meisel
    am 08.02.2019
    Antworten
    Nennt man so etwas System immanent? "Christliche Grüne", die zuschauen wie aus Gier das Dümmste Grossprojekt Deutschlands entsteht: Stuttgart 21.
    Das Folgende habe ich Herrn Kretschmann inclusive des Verweises auf den Bericht der ANSTALT zugeschickt. s.u.
    1) Vereidigung der Mitglieder der…
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