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Die Porzellan-Zerdepperer

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Weil Winfried Hermann in Kontext Tacheles geredet und S 21 als "grandiose Fehlentscheidung" bezeichnet hat, geht den CDU-Abgeordneten Manuel Hagel und Thomas Dörflinger der Hut hoch. Sie unterstellen dem grünen Minister, er verzögere das Projekt, und sie spielen damit der Bahn in die Karten.

Polemik oder Ahnungslosigkeit? Oder beides. Jedenfalls meinen Manuel Hagel aus Ehingen, obendrein Generalsekretär der Landespartei, und Thomas Dörflinger aus Biberach, mit Vorwürfen punkten zu können, die durch ihre Wiederholung nicht stimmiger werden. Hermann müsse "endlich aufhören", die Volksabstimmung in Frage zu stellen, forderte Hagel, die Kostensteigerungen habe der Grüne "mit verursacht", schimpfte Dörflinger. Vorgetragen haben sie die Attacken <link https: www.schwaebische.de sueden external-link-new-window>in der heimischen "Schwäbischen Zeitung", als erster gekontert hat sie Ministerpräsident Winfried Kretschmann. "Scharf und hart" müsse er dies zurückweisen, trug der Regierungschef seinem Minister bei der allwöchentlichen Pressekonferenz auf. Das Land habe nie Mehrkosten verursacht, weder vor der Volksabstimmung noch danach.

Hagel und Dörflinger sind bisher nicht als Stuttgart-21-Experten aufgefallen. Dafür hat letzterer erkennen lassen, wie leicht er zu beeindrucken ist. Im Frühjahr 2018 schlüpfte er in eine gelbe Weste und ließ sich mit sechs Kollegen auf Einladung des Vorstandsvorsitzenden der DB Projekt Stuttgart – Ulm GmbH, Manfred Leger, die "einmaligen Herausforderungen dieses Großprojekts mitten in Stuttgart erläutern". Besonders beeindruckt seien die Teilnehmer von der "schwebenden Bahndirektion" gewesen, die aufgrund der Anforderungen des Denkmalschutzes "aufwendig abgestützt und hydraulisch gelagert wird", schreibt Dörflinger auf seiner Homepage und schwindelt: "Auch die ersten der insgesamt 28 Kelchstützen, die das Dach des Tiefbahnhofs tragen werden, konnten bereits besichtigt werden." Denn nach offizieller Auskunft der Bahn bestand "freie Sicht", wie es in der Mitteilung hieß, auf die erste Kelchstütze – Achtung, Singular – erst sieben Monate später.

Gegenüber Hermann funktionieren die schwarzen Reflexe immer

Egal, wenn es gegen den Verkehrsminister geht, melden sich bei den beiden Landtagsneulingen uralte Befürworter-Reflexe. "Mit Rückendeckung der Grünen" behindere Hermann das Schienenprojekt, damit "die düsteren Prophezeiungen nachträglich wahr werden", weiß Hagel. Und Dörflinger sekundiert: "Es ist bemerkenswert, wenn alle diejenigen, die das Projekt jahrelang aktiv bekämpft haben, immer wieder die Kostensteigerungen und Verzögerungen kritisieren, die sie durch ihr eigenes Handeln selbst mit verursacht haben."

Aussagen wie diese sind Steilvorlagen für die Bahn, die das Land an den explodierten Kosten zwangsbeteiligen will und dafür vor den Kadi gezogen ist. Nach der jüngsten Investitionsplanung der DB müssen in den nächsten vier Jahren mehr als drei Milliarden Euro nachgeschossen werden. "Hier ist es an der Bahn, die Notbremse zu ziehen", mahnt Joachim Wille in der "Frankfurter Rundschau". Allein im Budget für 2019 klaffe eine Lücke von mehr als zwei Milliarden Euro, so Thomas Wüpper, ein weiterer kritischer Beobachter, erst vor wenigen Tagen im "Tagesspiegel".

Dass das Loch nur größer werden kann, jedenfalls in Bezug auf Stuttgart 21, hängt an der Akkuratesse der Projektpartner. Denn die haben ihre Anteile in den vereinbarten Tranchen überwiesen. Die Zahlungen sind beendet. "Jetzt laufen bei der Bahn die Rechnungen auf", sagt ein Insider, "es gibt aber keine Eingänge mehr." Das Land habe seine Verpflichtungen voll erfüllt. Auch deshalb sei die Kritik von Hagel und Dörflinger so absurd.

Zudem hat Hermann mit seiner Bewertung von Stuttgart 21 nur altbekannte Positionen bestätigt. Schon im vergangenen Frühjahr wurde er beschimpft für seine Aussage, das Vorhaben sei "die größte Fehlentscheidung der Eisenbahngeschichte", andererseits werde es aber "kein Zurück mehr geben". Für den ersten Teil des Satzes beschimpften ihn BefürworterInnen, für den zweiten die GegnerInnen. Aber er sei doch, wie Ulli Fetzer von "Ingenieure22" damals schrieb, mittlerweile "der einzige Politiker der Grün-Schwarzen Landesregierung, der wenigstens noch gelegentlich zum Ausdruck bringt, dass er trotz der vertraglich vereinbarten Projektförderpflicht privat nicht viel vom Projekt hält".

Die Klage der Bahn landet beim Diesel-Richter

Zeit, sich zu informieren, hätten die beiden CDU-Abgeordneten schon in den vergangenen sechs Jahren gehabt. So alt ist die Aufforderung des DB-Aufsichtsrats an den Vorstand, die Projektpartner an der Finanzierung der Mehrkosten zu beteiligen. Genauso wie das öffentliche Eingeständnis, dass die Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben ist. Im Februar 2013 musste der damalige Finanz- und heutige Bahnchef Richard Lutz im Verkehrsausschuss des Bundestags antreten. Die Berechnungen des Konzerns seien "nur noch aberwitzig", klagte der Vorsitzende Anton Hofreiter. Ständig zaubere die DB immer absurdere Zahlen aus dem Hut. Nach der neuen Argumentation sei der Weiterbau von S 21 zwar unwirtschaftlich, ein Abbruch aber um 77 Millionen Euro unwirtschaftlicher: "Das glaubt doch kein Mensch mehr."

Gelandet ist die Milliardenklage der DB übrigens bei einem, der seit Längerem für bundesweite Schlagzeilen sorgt: dem Stuttgarter Verwaltungsrichter Manfred Kern, der Diesel-Besitzern und Herstellern mit seiner bahnbrechenden Rechtsprechung auf die Nerven geht. Schriftsätze sind ausgetauscht, irgendwann wird es zu einer Hauptverhandlung kommen. Die Experten im Verkehrsministerium sehen sich auf der sicheren Seite. Unter anderem, weil die vielzitierte Sprechklausel bei den entscheidenden Verhandlungen im Juli 2007 bewusst offen formuliert worden sei, wie selbst der damalige Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) immer wieder bestätigt hat. Und weil die Partner ohnehin schon mit ihren im Finanzierungsvertrag vereinbarten "hohen Zuwendungen", wie es heißt, die Wirtschaftlichkeit des Projekts gerettet haben: Paragraph 12 sieht vor, dass "ein Wirtschaftlichkeitsausgleich nicht erfolgt".

Der Abgeordnete Hagel lässt dennoch die Muskeln spielen und fordert den ungeliebten Grünen auf, seine Energie für eine "ideologiefreie Verkehrspolitik" einzusetzen. Mit seinen Verunglimpfungen "zerdeppert er aus rein persönlicher Motivation viel Porzellan und schadet dem Vertrauen innerhalb der Koalition", poltert er weiter. Mit solchen Behauptungen müsse man "sehr vorsichtig sein", sagt der Gescholtene selber mit dem Verweis aufs Gerichtsverfahren. Und Kretschmann assistiert: "Generalsekretäre reden halt so." Die Ehre eine Aussprache will er dem Koalitionspartner nicht zu Teil werden lassen, "weil es nichts zu besprechen gibt". Immer unter der Voraussetzung, die höchste Rüge ist angekommen. Wenn nicht, können die Grünen auch anders. Sogar, wenn's um S 21 geht.

Das Jahrhundertloch: Stuttgart 21

Immer neue Kostensteigerungen, Risiken durch den Tunnelbau, ungelöste Brandschutzfragen, ein De-facto-Rückbau der Infrastruktur – das sind nur einige Aspekte des Milliardengrabs.

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8 Kommentare verfügbar

  • Andreas Spreer
    am 20.01.2019
    Antworten
    Ein riesengroßer Unterschied zwischen BER und S21 besteht darin, dass die Berliner wahrscheinlich glücklich wären, wenn sie die Chance hätten, die Sache wenigstens halbwegs zum Guten zu wenden. Hauptproblem von S21: zu klein. Der neue Bahnhof ist halb so groß wie der alte. Lösung: Kombibahnhof.…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 14 Stunden
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