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Schlappe Liberale

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Eigentlich ist sie schon bedeutungslos, wäre da nicht dieser Tag. Es könnte ein schönes Dreikönigstreffen werden, das FDP-Meeting in Stuttgart am 6. Januar. Ein Parteikongress, auf dem es endlich mal wieder richtig knallt. In den Jahren zuvor herrschte dort meist friedliche Langweile.Das dürfte sich dieses Jahr ändern. Die Liberalen bekommen es mit der Existenz zu tun.

Da war er noch jung und frisch: Guido Westerwelle beim Dreikönigstreffen anno 1995. Foto: Martin StorzEs könnte wieder einmal ein schönes Dreikönigstreffen werden, das FDP-Meeting in Stuttgart, das am 6. Januar in Stuttgart abläuft. Ein Parteikongress, auf dem es endlich mal wieder richtig knallt. In der jüngeren Vergangenheit ging es dort ja schließlich meist friedlich-langweilig zu.

Dieses Jahr dürfte das nicht der Fall sein. Schließlich hat der altliberale Exbundesinnenminister Gerhart Baum für Stuttgart eine eindeutige Analyse seiner Partei abgeliefert: "Die FDP ist in einer Existenzkrise." Dass nach augenblicklicher Planung der derzeit angesehenste FDP-Politiker, Rainer Brüderle, in Stuttgart im Staatstheater von der FDP-Führung nicht als Redner zugelassen worden ist, sondern auf dem einen Tag zuvor stattfindenden FDP-Landesparteitag nur als Grußonkel auftreten darf, ärgert viele. Baum hat geraten, wenn schon nicht Brüderle, dann müsse wenigstens das eindeutig begabteste FDP-Großmaul, Wolfgang Kubicki, ans Mikro geschickt werden, zumal der im Mai in Schleswig-Holstein in der Landtagswahl einen weiteren FDP-Rauswurf verhindern soll.

Aus allen Rohren schießen

Noch härter plädiert der thüringische FDP-Generalsekretär Patrick Kurth für Brüderles Auftritt in Stuttgart: "Jetzt muss die FDP aus allen Rohren schießen." Und stärkstes derzeitiges Kaliber sei nun einmal der Fraktionschef der FDP im Bundestag, eben Brüderle.

Nötig hätte es die Partei auf ihrem Dreikönigstag, nötiger als jemals zuvor, soll das bevorstehende Treffen letztlich nicht als Frühstart in die fünfte Jahreszeit enden, wofür es zahlreiche Indizien gibt. Die Mitglieder laufen der Partei zu Tausenden davon. Ihr bisheriger Generalsekretär Christian Lindner, den die Partei erst vor zwei Jahren nach einer brillanten, frei gehaltenen Rede in Stuttgart in ihr Herz und die Riege künftiger FDP-Führer aufgenommen hatte, hat seinen Posten fristlos hingeworfen. Sein Kündigungsargument: "Ich habe hier ja die Arschkarte!"

Geführt wird die Partei von einem Parteichef namens Rösler, der nach einer Wahlschlappe auch in Schleswig-Holstein abserviert werden dürfte. Ob der neue FDP-General Patrick Döring sein politisches Handwerk besser versteht als Auto fahren, muss er jetzt in Stuttgart erst noch beweisen.

Die Liberalen anno 1920

Schlapper als 2012 kamen die Liberalen in ihrem Stammland Baden-Württemberg bisher selten daher. Schließlich gilt das Stuttgarter Dreikönigstreffen im Großen Haus des Staatstheaters Stuttgart als Großveranstaltung mit bundespolitischer Bedeutung. Seinen Anfang nahm es 1920, als die Vertreter der linksliberalen Demokratischen Volkspartei (DDP) sich jeweils am Dreikönigstag zu einem Landesvertretertag trafen. Seine Wurzeln reichen allerdings noch weiter zurück in die Tradition des deutschen Liberalismus: Am 6. Januar 1866 hatten sich württembergische Demokraten erstmals zu einer "Dreikönigsparade" in Stuttgart getroffen. Nach der Naziära wurde das Treffen von der FDP/DVP 1946 wieder aufgenommen.

Dass es 2012 von einer besonderen politischen Brisanz und Überlebensängsten der Liberalen geprägt wird, ist nicht neu. Von hoher Dramatik waren zum Beispiel die Dreikönigstreffen Ende der sechziger Jahre geprägt. Damals blieb das Staatstheater mehrfach halb leer, weil der spätere Bundespräsident Walter Scheel die noch von Erich Mende geprägte stockkonservative FDP in ein Bündnis mit der SPD gedrückt hatte. Die baden-württembergischen Liberalen, stets der in Krisenzeiten der FDP dominierende Landesverband, rannten haufenweise davon. Damals war die gesamtpolitische Lage etwas besser als heute, weil damals noch das Dreiparteiensystem ohne Grüne oder Linkspartei existierte. Weil die FDP damals dann auch mit Willy Brandt in Bonn mitregieren durfte, beruhigte sich die Partei alsbald.

Hans-Dietrich Genscher, jahrzehntelang der liberale Übervater, hier auf dem Dreikönigstreffen 1992. Foto: Martin Storz1983 krachte es dann wieder richtig auf dem Dreikönigstag: Genscher war aus der Koalition mit Helmut Schmidt 1982 aus durchsichtigen machtpolitischen Gründen ausgestiegen und zur CDU/CSU ins Koalitionsbett geschlüpft. Führende Liberale warfen auch damals wie heute ihr Parteibuch weg, die Partei rangierte ebenfalls unter der Fünfprozentmarke, überlebte die Wahl 1983 allerdings mit sieben Prozent. Der frühere FDP-Landesvorsitzende Karl Moersch schrieb die Partei damals für sich als "Partei des politischen Opportunismus" ab; noch härter traf sie, dass in Stuttgart der Bundestagsabgeordnete Friedrich Hölscher, der in der Landeshauptstadt stets besonders viele Stimmen kassiert hatte, austrat.

Von ähnlichen innerparteilichen Streitfronten waren auch die Stuttgarter Treffen nach dem Jahr 2000 beherrscht. Auch damals prägten programmatische Leere und persönliche Streitereien das FDP-Innenleben. Möllemann gegen Westerwelle hieß damals die Kraftprobe, bei der viele wieder einmal das Totengöcklein für die FDP bimmeln hörten.

Das Treffen 2002 wurde zum letzten großen Tag Möllemanns in der FDP. Weil die Parteiführung ihn nicht auf dem FDP-Event auftreten lassen wollte, setzte sich Möllemann in ein Fugzeug, sprang aus – kein Zufall – 1800 Meter Höhe mit dem Fallschirm ab auf den Platz neben dem Staatstheater, wo die Liberalen ohne ihren Mister 18 Prozent feiern wollten, und verteilte gelbe T-Shirts mit aufgedruckter "18". Er landete nur deshalb nicht im Wasser, weil der kleine See auf dem Gelände nahe dem Staatstheater damals zugefroren war.

Vergleichbare Kühnheit kann man von Brüderle nicht erwarten. Aber erfahrene Besucher des Dreikönigstreffens raten ihm, er solle nach dem Landesparteitag am Sonntag doch hingehen, sich in den Festsaal setzen und treue Parteifreunde vorher überreden, auf der Galerie des Staatstheaters das Spruchband mit der Forderung zu entfalten: "Brüderle muss reden."

Das Dreikönigstreffen 2012 könnte sich so doch noch würdig in die Traditionslinie dieser Veranstaltung einordnen.


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