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Circus Castellucci

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Die Südwest-SPD stürzt sich selber in die größte Führungskrise ihrer Geschichte. Amtsinhaberin Leni Breymaier gewinnt die Kampfabstimmung um den Landesvorsitz, tritt aber zurück. Ganz als gäbe es keine Krise, behauptet Kontrahent Lars Castellucci, die SPD sei "zurück in der Manege".

Da sitzt sie in einem ihrer roten Sakkos, gefasst, auch wenn sie den Boden unter den Füßen verloren hat. Vor sieben Wochen hat Lars Castellucci, der langjährige Vorstands-Vize des gebeutelten baden-württembergischen Landesverbands, seine überraschende Gegenkandidatur erklärt. An guten Tagen glaubte Leni Breymaier daran, sowohl sich, als auch ihre linke Generalsekretärin Luisa Boos durchsetzen zu können beim Parteitag in Sindelfingen. Ursprünglich stand dort eine simple Wiederwahl der früheren Verdi-Bezirksleiterin an. Erst vor zwei Jahren hatte sie sich als Retterin in der Not beknien lassen für die Übernahme eines Jobs, zu dem sie sich nicht gedrängt hatte. Jetzt, nach einer Mitgliederbefragung, die kein Problem gelöst, sondern alle vorhandenen drastisch verschärft hat, steht am kommenden Samstag eine ungeahnte Zerreißprobe bevor.

An schlechteren Tagen war ihr klar, dass es eng werden könnte. Zu scheitern oder nur ganz knapp vorne zu liegen. Wie es am Ende kommen sollte, das stand trotzdem nicht in ihrem Plan A, der keinen Plan B kannte. "Ich muss echt sagen, ich hatte ein anderes Gefühl", berichtet sie am gestrigen Dienstag vor den zahlreich erschienen Medienvertreterinnen. Die Partei sei eben waidwund, "daran ist auch die Führung schuld, und ich bin ein Teil der Führung". Leni Breymaier wird am kommenden Samstag nicht mehr als Landesvorsitzende antreten. "Damit", kommentiert Heidi Schaft, die Landessprecherin der Linken Baden-Württemberg, "wurde genau die Vorsitzende nicht ausreichend unterstützt, die vor allem für die Interessen der abhängig Beschäftigten, Rentner*innen und Erwerbslosen sowie für soziale Gerechtigkeit innerhalb der SPD gekämpft hat und damit in ihrer Partei offensichtlich keine Mehrheiten fand."

Vorgeworfen werden ihr unter anderem die elf Prozent für die SPD im jüngsten Baden-Württemberg-Trend – fast zwei Prozentpunkte weniger als bei ihrem Amtsantritt. Unter den Tisch fallen bei dieser Betrachtung allerdings die fast 17 Prozent bei der Bundestagswahl vor einem Jahr, in die Breymaier die Südwest-SPD als Spitzenkandidatin führte. Das war mit früheren Maßstäben gemessen alles andere als ein gutes Ergebnis. Bei der SPD ist aber nicht mehr viel mit früheren Maßstäben zu messen. Im Netz machen auch nicht belegte, gar unzutreffende Vorhaltungen die Runde, bis hin zu dem Gerücht, sie habe bei einer Landesvorstandssitzung Kritikern ins Gesicht gespuckt.

Die SPD zwischen Main und Bodensee ist tief gesunken. Inzwischen ist Allgemeingut, dass einige ParteifreundInnen Breymaiers Sturz von langer Hand planten. Viele NetzerwerkerInnen tauchen wieder auf, Angehörige jener parteinternen Truppe also, die seit den Zeiten von Ute Vogt das Sagen hat. Es sind fast eineinhalb Jahrzehnte, die Castellucci als stellvertretender Landesvorsitzender in der engsten Führungsspitze im Land sitzt – und bisher eher nicht als attraktiver Leistungsträger auffiel. Eine Zeitspanne, in der die SPD ihre absoluten Stimmenzahlen im Südwesten von zwei Millionen auf knapp 1,2 Millionen fast halbierte.

Die Hälfte macht nicht mit

Bei der ersten Auszählung der insgesamt 18 990 eingegangenen Stimmen, deutlich weniger als erhofft – die Landes-SPD hat knapp doppelt so viele Mitglieder –, zeichnete sich in der Nacht von Montag auf Dienstag das denkbar knappe Ergebnis ab. Die nächsten Scherben türmten sich auf den Haufen. Bastian Fleig etwa liefert kurz nach Mitternacht die erste Interpretationshilfe frei Haus. "Wow", twittert der Ex-Sprecher des einstigen SPD-Finanz- und Wirtschaftsministers Nils Schmid. Für Fleig ist schon allein die Tatsache, dass die Stimmen noch einmal ausgezählt werden mussten, "ein großer Erfolg" für Castellucci, dem dieses Abschneiden "kaum jemand zugetraut hatte".

Viele derer, die da vor und hinter den Kulissen in den vergangenen Wochen die Strippen gezogen haben, wissen es besser. Alte NetzwerkerInnen sind wiedererstanden, junge Kreisvorsitzende moserten gegen Breymaier und ihre Generalin, Fans outen sich eher auf GZSZ-Niveau, etwa Isabel Cademartori. Die 30-Jährige ist Vorsitzende des Ortsvereins Mannheim-Innenstadt/Jungbusch, des größten in der Stadt. Sie hat viel zu tun an der Basis im kommunalen Vorwahljahr, denn die dortige SPD lag 2016 mit 20 Prozent zwar über dem Landes-, aber unter dem Durchschnitt in der Stadt. Dafür kamen die Grünen in der roten Hochburg auf fast 40 Prozent.

Seit zwei Jahren sitzt Cadematori im Landesvorstand. Bei ihrer Wahl versprach sie, "insbesondere die Erfahrungen der sozialdemokratischen und bunten Stadt Mannheim, die geprägt ist vom Zusammenhalt und Miteinander der Einwohnerinnen und Einwohner, in die Waagschale zu werfen". Konkrete Ergebnisse sind nicht überliefert, dafür aber reichlich Ergebenheitsadressen an den Herausforderer. Cademartori ist es auch, die eine Hundertschaft Unterstützerinnen für Castellucci organisiert hat. Prominente wie Vogt oder Katja Mast sind mit von der Partie. Immerhin sind sie ehrlich genug, um zu bekennen: "Es geht um eine Richtungsentscheidung für die SPD Baden-Württemberg."

Da ist was dran. Professor Castellucci hat sich etwas Eigenartiges in den Kopf gesetzt: Geht es nach ihm, gibt es demnächst keine Flügel und Strömungen in der Landes-SPD mehr – sie werden abgeschafft! Sein "Sofortprogramm" fordert in Punkt zwei aber versöhnlich: "Wunden heilen." Viel Politlyrik – "Wir wollen das Land aus den Städten und Gemeinden heraus gewinnen" – und das Versprechen, "ab Tag eins" an einem neuen Selbstverständnis, einem neuen Selbstbewusstsein und einem neuen Auftreten zu arbeiten".

Die KontrahentInnen trennen 0,21 Prozentpunkte

Während er an seinem Sofortprogramm bastelte, saß die Parteilinke Breymaier im Bundestag und enthielt sich – gemeinsam mit der ebenfalls nicht mehr für die Führungsspitze kandidierenden Ulmerin Hilde Mattheis – der Zustimmung zum sogenannten Zwei-Prozent-Ziel der Nato und damit einer Aufstockung von Rüstungsausgaben. "Wir waren ein sehr unterschiedliches Angebot", sagt Breymaier am gestrigen Dienstag über sich und ihren Widerpart Castellucci.

Und natürlich spielt mehr oder auch weniger unterschwellig die Frauenfrage eine Rolle. Aus einem weiblichen Duo könnte ein männliches werden. In der jüngeren Geschichte spielten die GenossInnen vor allem Politikerinnen übel mit, etwa Heide Simonis 2005 in Schleswig-Holstein oder Andrea Ypsilanti 2008 in Hessen.

Noch ehe die Zweit- und dann auch noch die überprüfende Drittauszählung abgeschlossen war, wollte Breymaier zusammen mit ihrem Noch-Vize den gemeinsamen Rückzug verkünden. Der Ausweg aus dem Dilemma sollte darin bestehen, einen Dritten zu suchen und zu finden, in der Hoffnung, der könne "die Partei einen". Castellucci, der den Wahlkreis Rhein-Neckar im Bundestag vertritt, sagte dazu Nein und verfolgt jetzt einen ganz anderen, atemberaubenden Plan. Wiewohl er nur ein Viertel der Mitgliedschaft für sich mobilisieren konnte, will er am Samstag auf dem Parteitag antreten. "Wir sind zurück in der Manege, die Baden-Württemberger dürfen gespannt sein, was sie noch von uns zu hören bekommen", und dass kein "Kai aus der Kiste" oder ein "Dritter Mann" von Nöten sei. "Keine Hinterzimmerdeals. Schluss", assistiert Cademartori abermals im Netz. Der Parteitag müsse jetzt entscheiden.

Irgendwann wurde dann doch das Endergebnis bekanntgegeben: 0,21 Prozentpunkte trennen die Kontrahentinnen. Der Landesvorstand muss jetzt von seinem Recht zurücktreten, die Siegerin dem Parteitag vorzuschlagen. Er habe ja auch viel erreicht, schlüpft Castellucci flugs in die Rolle des Newcomers, für einen, den vor sechs Wochen noch niemand auf dem Zettel hatte. Da saß Breymaier schon im Zug nach Berlin in einem ihrer roten Sakkos, Markenzeichen auch bei den vielen kämpferischen Fernsehauftritten, die sie, wie Ex-Innenminister Reinhold Gall treffend feststellte, zum einzigen bekannten Gesicht der Südwest-SPD gemacht haben.

Genutzt hat es nicht viel, gerade nicht an der eigenen Basis. Die 9176 von insgesamt gut 36 000 Mitgliedern dieses heftig schlingernden Landesverbands, die ihr jetzt folgten, waren zu wenig. Ein Plus von 39 Stimmen kann nicht einmal ein laues Lüftchen entfachen. Um sich innerparteilich gegen den Sturm zu stellen, wäre deutlich mehr von Nöten gewesen. Und wer holt jetzt das Kehrblech?


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21 Kommentare verfügbar

  • Esther Rothenhöfer
    am 25.11.2018
    Antworten
    Was für ein einseitiger Bericht! Missgünstiges Foto, lächerliche Titulierung. 60% der SPD-Mitglieder haben abgestimmt, bei den meisten Bürgermeisterwahlen wäre man über eine solche Beteiligung glücklich. Castellucci hat davon aus dem Stand fast die Hälfte hinter sich versammelt, wenn das kein Ruf…
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