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Das Heulen der CDU-Männer

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Eines kann Angela Merkel in diesen Stunden ganz bestimmt: an den Reaktionen von Parteifreunden ablesen, wie viele Wunden sie anderen in ihren langen Jahren an der Spitze geschlagen hat. Tatsächliche, gefühlte, aus strategischen Gründen erfundene oder selbstverschuldete. Und das gerade in Baden-Württemberg.

Angela Merkel hat hunderte Reden gehalten, Abgeordnete in ihren Wahlkämpfen unterstützt, auf Abschlusskundgebungen getrommelt für Erwin Teufel, Günther Oettinger, Stefan Mappus und Guido Wolf, sie hat Stuttgart 21 verteidigt bis aufs Messer. Vor zehn Jahren ist sie oben auf den Fildern mit fast 97 Prozent zur Bundesvorsitzenden wiedergewählt worden. Die Kanzlerin war ein im Südwesten gern gesehener Gast – jedenfalls solange sie so mächtig war, dass eine offene Gegnerschaft leicht Job, Mandat und Ansehen kosten konnte.

Seit Montagvormittag erodiert dieses System. Und mit einem Mal sind sie wieder da, die Kritiker von früher, die, die noch eine Rechnung offen haben mit der Naturwissenschaftlerin aus dem Osten. Mit einem Mal wollen möglichst viele schon möglichst lange mit von der Partie gewesen sein beim Kungeln, Strippenziehen und Plänemachen für die Nach-Merkel Ära. Und manche waren es wirklich. Wolfgang Schäuble beispielsweise, heute Bundestagspräsident, hat nie vergessen, wie Merkel ihn im Zuge des Spenden-Skandals 2000 nach nur zwei Jahren vom Parteivorsitz verdrängte, um ihn selbst einzunehmen. Und obwohl er doch seine EU-Kommissars-Karriere zweifellos der Pastorentochter zu verdanken hat, nimmt ihr Günther Oettinger bis heute krumm, dass sie ihn vorher, unter anderen wegen seiner verunglückten Filbinger-Trauerrede, nicht mehr als Regierungschef in Baden-Württemberg halten mochte – hauptsächlich aus Angst vor einer CDU-Pleite bei der nahenden Landtagswahl.

Die Kränkungen hinter sich zu lassen, schafften die beiden Herren bis heute nicht so recht. Nicht nur durchs Netz schwirren Hinweise, wie Schäuble seit Wochen im kleinen Kreis immer neue Gegenkandidaten für den Hamburger Bundesparteitag ins Spiel zu bringen versuchte. Und Oettinger soll, unter anderem gemeinsam mit dem ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch und Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl, sogar Teile des legendären Anden-Pakts aufstrebender (Jung-)Unionisten aus den Achtzigerjahren wiederbelebt haben, um – mit Erfolg – den ebenfalls noch immer auf Revanche sinnenden Friedrich Merz zur Rückkehr in die Politik zu bewegen.

Merz sammelt Aufsichtsratsposten wie andere Leute Bierdeckel

Seit die Zeitung mit den großen Buchstaben am Montagvormittag den bald 63-Jährigen Juristen Merz als möglichen Gegenkandidaten promotete, stapeln sich jedenfalls die Ergebenheitsadressen aus der Südwest-CDU. Dabei könnte das Eis noch ganz schön dünn werden. Seit 2016 ist der alte und neue Liebling des wirtschaftsliberalen Flügels, neben einer kaum übersehbaren Menge von Posten in Aufsichts- und Verwaltungsräten, Aufsichtsratschef des Deutschen Ablegers von BlackRock, einem Unternehmen, das weltweit Finanzvermögen von sage und schreibe 6,2 Billionen Dollar verwaltet. Beim Amtsantritt des Sauerländers hieß es offiziell, er nehme "eine weiter gefasste Beraterrolle ein, in der er die Beziehungen mit wesentlichen Kunden, Regulierern und Regulierungsbehörden in Deutschland fördern wird".

Im Klartext: Der frühere Spitzenpolitiker soll als Lobbyist Aufträge und Kohle ranschaffen, in schönem Zusammenspiel mit geneigten Leuten aus Firmen und Ministerien. Auf den "Nachdenkseiten" schrieb Jens Berger schon vor Jahren: "BlackRock ist an jedem Dax-Konzern beteiligt, an 80 Prozent der Dax-Konzerne sogar mit fünf Prozent und mehr, bei mehr als der Hälfte der Dax-Konzerne ist BlackRock sogar der größte Anteilseigner." Und weiter: "Noch nie waren die Entscheidungsprozesse über wirtschaftliche Prozesse undemokratischer als heute in der BlackRock-Ära."

Dennoch outete sich CDU-Landtagsfraktionschef Wolfgang Reinhart wenige Stunden nach der BILD-Meldung eilig als Merz-Fan und nannte ihn "ein hochattraktives Angebot, da er die CDU wieder auf einen wirtschaftsliberalen Kurs bringen würde". 16 frühere und aktive Abgeordnete, OBs, Kreisvorsitzende oder Stellvertreter formieren sich sogar zu einer "Initiative pro Merz" und wollen "klar eine Stimmung an der CDU-Basis, nach allem was wir landesweit hören", zu seinen Gunsten wahrgenommen haben. Ihre Prognose: "Nur mit einer inhaltlichen Erneuerung in seiner Person kann die CDU mittelfristig wieder aus dem Umfragekeller herauskommen."

Nebeneinkünfte offenlegen – das war zuviel für den "Heilsbringer"

Ein Merkel-Gegner der zweiten Generation ist MdB Christian von Stetten. Er räsoniert über den "verlorenen Stolz", den der Großverdiener der CDU wieder zurückgeben könne. Sogar zum "Wertkonservativen" wird der Heilsbringer stilisiert – obwohl der Erfinder dieses Begriffs, der linke Sozialdemokrat Erhard Eppler, darunter etwas ganz anderes verstand. Als Bewahrer der Umwelt, als Anwalt der Solidarität ist Merz noch nie in Erscheinung getreten.

Eher im Gegenteil: Seinen Abschied aus der Politik nahm er nach einer Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht, nach der er als Bundestagsabgeordneter die Öffentlichkeit über seine üppigen Nebeneinkünfte informieren musste  – Merz hatte dagegen geklagt. "Eine Zahl mit zu vielen Nullen", hieß es damals selbst in seinem NRW-Landesverband. Und das "manager-magazin" hielt ihm die Unternehmen vor, in denen er "entgeltlich mitwirkt: BASF, Borussia Dortmund, Commerzbank, DBV-Winterthur, Deutsche Börse, Interseroh, IVG Immobilien und Stadler Rail in der Schweiz", zuzüglich der Einkünfte durch Mandate, "die er als Sozius in der US-Anwaltskanzlei Mayer, Brown, Rowe & May" erhalte.

Guido Wolf fordert "neue Köpfe" - über seine Ministeriumspressestelle

Noch nicht pro Merz, aber kontra Merkel reagierte einer besonders schnell, der ebenso nicht vergessen kann: Guido Wolf. Der heutige baden-württembergische Justiz-, Europa- und Tourismusminister hatte 2016 das Duell mit Winfried Kretschmann um die Villa Reitzenstein verloren. "Wir brauchen neue Köpfe, die sich bewähren können - um für die Zeit nach der Kanzlerschaft von Angela Merkel gerüstet zu sein", ließ Wolf über seine Ministeriumspressestelle (!) mitteilen. Als Spitzenkandidat hatte er sich damals drei Wochen vor der Landtagswahl offen gegen die Flüchtlingspolitik seiner Bundesvorsitzenden gestellt. Genutzt hat's bekanntlich nichts.

Aber Merkel wird nicht nur wegen ihrer Flüchtlingspolitik für die schwierige Lage ihrer Partei im zweitgrößten CDU-Landesverband nach NRW verantwortlich gemacht. Mitschuld soll sie sein an den Gräben, die die Partei hier seit mehr als einem Jahrzehnt durchziehen. 2004 war die ihr bis heute eng verbundene damalige Kultusministerin Annette Schavan gegen Oettinger ins Rennen gegangen um die Nachfolge von Erwin Teufel. Dass dieser in Wirklichkeit den Schlamassel wesentlich mitverursacht hatte, weil er einerseits nicht rechtzeitig abtreten wollte und andererseits den Mut zum offenen Konflikt mit seinem ungeliebten Kronprinzen Oettinger nicht aufbrachte, wird bis heute in der Partei nach Kräften verdrängt.

Nach außen gibt der Kommissar aktuell den Loyalen. Noch vor der Vorstandssitzung vom Montag sprach er sich vor laufenden Kameras sogar für Merkels erneute Kandidatur aus, danach mochte er sich "zu Namen nicht äußern", und schließlich sprach er kurzerhand gleich für die gesamte EU-Kommission: "Wir in Brüssel wollen, dass sie ihre drei Jahre noch einbringt." Aus Kreisen Eingeweihter ist hingegen zu hören, welche Rolle Oettinger in den vergangenen Monaten tatsächlich spielte. Unter anderem gab es die dringende Anregung interessierter Parteifreunde, er möge Merz von der Notwendigkeit seines Antretens zu überzeugen und am besten rechtzeitig auch Jens Spahn zum Verzicht bewegen - weil sich die beiden Männer beim Bundesparteitag Anfang Dezember sonst gegenseitig die Stimmen wegnehmen und so Annegret Kramp-Karrenbauer zur lachenden Dritten machen könnten.

Strobl-Stellvertreterin Widmann-Mauz: klar für AKK

Apropos AKK, wie die vor Monaten mit fast 99 Prozent zur Generalsekretärin gewählte Saarländerin parteiintern gern genannt wird: Weil eine der StellvertreterInnen von Thomas Strobl im Landesvorsitz, Annette Widmann-Mauz, zugleich Bundeschefin der Frauen-Union ist, lässt sich sogar an der Spitze der Südwest-CDU wie durch ein Brennglas betrachten, was auf die Partei in den nächsten Tagen und Wochen zukommt. Egal, ob drei oder noch mehr ernsthafte AspirantInnen antreten. "Wir werden unser Gewicht in die Waagschale werfen", für AKK, kündigte Widmann-Mauz an. Die Staatsministerin in Merkels Kanzleramt argumentiert ebenfalls mit der Basis und insbesondere jenen Mitgliedern, die auf Kontinuität und auf Glaubwürdigkeit setzen. In Netz ist viel von den "breiteren Machtoptionen" die Rede, die die Union mit einer neuen Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer behalten könnte.

"Das Merz-Bild", schreibt ein weiblicher Fan der Generalsekreätin auf Facebook, habe "sowieso viele Kratzer". Als Aufsichtsratschef des Köln-Bonner Flughafens sei er "ohne Gestaltungskraft" geblieben. Ein anderer erinnert an "sein schönes Zitat" aus einem Spiegel-Streitgespräch mit Robert Habeck - "Der Konsument ist der wahre Souverän in einer marktwirtschaftlichen Ordnung" - und wünscht der Union "gute Reise mit dem Chef-Lobbyisten". Es wird digital über die 5000-Euro-Tageshonorar diskutiert, die er als schlussendlich gescheiterter Verkäufer der WestLB verdient haben soll oder über sein Buch "Mehr Kapitalismus wagen" mitten in der Finanzkrise.

Ohnehin ist Vieles unvergessen. Etwa der Artikel von Jan Fleischhauer, der 2010 im "Spiegel" schrieb, Merz habe sich immer für den Klügeren gehalten und es nie verwunden, "dass Merkel, mit der er gleichberechtigt war, an ihm vorbeizog: 'Die Dame hätte nie Kanzlerin werden dürfen', entfuhr es ihm einmal in kleiner Runde. 'Wenn ich mir etwas vorwerfe, dann, ihren Charakter nicht durchschaut zu haben. Sie ist zur Loyalität nicht fähig'". Und Fragen über Fragen stellen die, die wissen wollen, welche Spuren Merz eigentlich ab 2014 als offizielles Mitglied der CDU-Zukunftskommission hinterlassen hat. Unmut gegen den Rückkehrer regt sich nicht nur in den östlichen Landesverbänden, sogar die Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Karin Maag geht in die Offensive: Der Name Merz stehe gerade nicht für "Erneuerung".

Auch Strobl hat noch eine Rechnung offen

Aber für Rache. Deshalb darf gespannt erwartet werden, wann und wie der Landesvorsitzende aus der Deckung kommt. In seinem Umfeld wird erzählt, dass ihm schon allein der Umstand, kalt erwischt worden zu sein vom Rückzug Merkels ("Das hatte keiner auf dem Zettel"), die Zornesröte ins Gesicht getrieben hat. Natürlich hat auch Strobl, der immer gerne ganz vorne dabei ist (Kontext<link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne thomas-strobl-ist-ueberall-4726.html _blank internal-link-new-window> berichtete), noch eine alte unbeglichene Rechnung: Merkel ließ ihn nie Bundesminister werden. Dass daran vor allem sein Schwiegervater Wolfgang Schäuble beteiligt war, weil der so lange nicht weichen mochte und die Kanzlerin keine Verwandten in ihrer Ministerriege haben wollte, tut wenig zur Sache. Programmatisch sind die Schnittmengen von Merz und Strobl unübersehbar: Der Sauerländer war nicht nur der - erfolglose - Erfinder eines Steuersystems, bei dem die Steuererklärung auf einen Bierdeckel passen sollte, sondern zugleich Protagonist der "deutschen Leitkultur" und wusste damit den Heilbronner fest an seiner Seite.

Der bisher größte Coup wurde allerdings versemmelt. 2005, als es nach den Unionsverlusten von 3,3 Prozent für die von den jungen (wirtschaftsliberalen) Wilden so sehr herbeigesehnte CDU/CSU/FDP-Koalition nicht reichte, soll der vom Fraktionschef inzwischen zum einfachen Abgeordneten abgestiegene Merz eine Reihe von Parteifreuden angerufen haben, darunter auch Strobl, den damals neuen Generalsekretär der Südwest-CDU. Sein Verlangen war kein Geringeres, als gegen Merkel zu putschen: "Ich sage um fünf nach sechs ,Rücktritt', wenn ihr zehn nach sechs ,Rücktritt' sagt." Die Revolution blieb allerdings aus, weil keiner der potentiellen Unterstützer die Bahnsteig-Karte lösen mochte. Auch das, erzählen Berliner InsiderInnen bis heute, habe Merz bis heute nicht verwunden.


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9 Kommentare verfügbar

  • M. Stocker
    am 05.11.2018
    Antworten
    Ach je, was muss uns das Gejammer und die Tränen von alten Säcken, frühvergreisten Merzen und Spahns, und von notorisch untergebutterten Frauen interessieren. So gehts halt zu, in einer schon immer Autoritarismus- und Paternalismus-kranken Partei, die ihren stahlharten Alphamännchen-Nachwuchs aus…
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