KONTEXT:Wochenzeitung
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Zuckerl nur für brave Medien

Zuckerl nur für brave Medien
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In Österreich wollte der rechte FPÖ-Innenminister Herbert Kickl der Pressefreiheit an den Kragen. Noch stoppt ihn nationale und internationale Empörung. In Polen und Ungarn, in Dänemark oder Italien gehören solche Allmachtsfantasien bereits zum politischen Alltag.

"Journalismus ist, etwas zu veröffentlichen, was andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird, alles andere ist PR." Der schlanke Spruch, bei dem Public Relations manchmal mit "Propaganda" übersetzt wird, soll angeblich auf George Orwell zurückgehen. Belege dafür gibt es nicht. Das Zitat geistert durch ungezählte Foren, momentan vor allem in Österreich, wo das Bundesinnenministerium (BMI) seit dem vergangenen Wochenende sogar die traditionell bürgerliche, einflussreiche Industriellenvereinigung gegen sich hat. Der Chef des mit dem deutschen BDI vergleichbaren Verbands, Georg Kapsch, wirft Innenminister Herbert Kickl vor, "wirklich eine Grenze überschritten zu haben". Denn: "Wer die Pressefreiheit irgendwie infrage stellt, rüttelt an den Grundfreiheiten der Demokratie."

Kurz vor zwölf

In Polen, wo der InformantInnenschutz abgeschafft werden soll, oder in Ungarn halten die rechten Regierungen ganz offiziell nur noch wenig von Meinungsfreiheit. Unabhängige Tageszeitungen und der öffentlich-rechtliche Rundfunk sind massiv bedroht oder sogar schon weitgehend zerstört. In Italien soll der populistische Marcello Foa, Journalist im Tessin und Blogger seit 2007, Präsident der öffentlich-rechtlichen RAI werden. Foa forderte beispielsweise Italiens Präsident Sergio Mattarella auf, das Land in eine Diktatur umzuwandeln, nachdem der von seinem Recht Gebrauch machte, Änderungen auf der Kabinettsliste der Regierung zu fordern.

Selbst in Dänemark, das seinen liberalen Ruf pflegt, tanzt eine bürgerliche Regierung medienpolitisch nach der Pfeife der "Dansk Folkeparti", die Politikwissenschaftler als "weiche Rechtsextremisten" bezeichnen. Zunächst wurden die Rundfunkgebühren abgeschafft und die Steuerfinanzierung eingeführt, dann drei der bisher sechs öffentlich-rechtlichen Fernsehsender gestrichen und Internetaktivitäten beschnitten. Berichterstattungsthemen sind vorgegeben, ebenso Quoten für internationale Musik, die nur noch 52 Prozent der Sendezeit füllen darf. "Dagbladet Information" schrieb von einem "reinen Rachefeldzug" gegen den ungeliebten "Linkssender". (jhw)

Die unverzügliche schriftliche Replik zeigt, wes Geistes Kinder die sind, die Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor knapp einem Jahr in seine Regierung holte – obwohl andere Mehrheiten möglich gewesen wären. FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker keilte aus: Kapsch solle sich "nicht in Sachen einmischen, die seinen Wirkungsradius eigentlich überhaupt nicht tangieren", sich nicht als "selbsternannter Hüter von Anstand und Moral" aufspielen, seine Kritik sei "an den Haaren herbeigezogen", die Sache gehe ihn "einen Schmarren" an.

Als ob demokratisch legitimierte InteressenvertreterInnen wie Kapsch nicht im Gegenteil zur Wortmeldung verpflichtet wären, wenn es ans Eingemachte geht. Das Wiener Innenministerium hatte den Polizeidienststellen in allen neun Bundesländern schriftlich Tipps zum Umgang mit Presseorganen gegeben: Regierungskritische Zeitungen sollen mit Informationen bewusst kurzgehalten werden. Diese "Anregungen für die Zusammenarbeit" löste eine Welle von Gegenreaktionen aus, in der OSZE, in Brüssel, da Österreich gerade den EU-Ratsvorsitz führt. Und natürlich im Netz. "Sie wollen unsere Republik", schreibt einer, "aber sie bekommen sie nicht."

Widerspruch ist nicht mehr vorgesehen

In der neuen rechtskonservativen Koalition sind PressesprecherInnen besonders enge MitarbeiterInnen, weil ressort- und parteiübergreifend größter Wert auf abgestimmte Darstellung gelegt wird und "wording", die abgestimmte Wortwahl, viel wichtiger ist als inhaltliche Präzision oder gar Transparenz. Kickls PR- oder auch Propaganda-Chef Christoph Pölzl hatte eine sechsseitige Mail verschickt. "Leider", beklagt der studierte Experte unter anderem für "Public Management" darin, "wird wie eh und je seitens gewisser Medien (zum Beispiel STANDARD, 'Falter') sowie neuerdings seitens des 'Kuriers' eine sehr einseitige und negative Berichterstattung über das BMI beziehungsweise die Polizei betrieben". Und er schlägt vor, "die Kommunikation mit diesen Medien auf das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken und ihnen nicht noch Zuckerln wie beispielsweise Exklusivbegleitungen zu ermöglichen".

In der Welt der FPÖ, deren Innenminister nicht nur die Mail, sondern auch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss und eine Bespitzelungsaffäre von JournalistInnen am Hals hat, ist Widerspruch aber nicht mehr vorgesehen. Es gibt Maulkörbe für immer mehr Menschen bei immer mehr Anlässen, in einer Tonlage, die noch vor wenigen Jahren Rücktrittsforderungen ausgelöst hätte. Der Kanzler selbst hat den Begriff "Anpatzen" in die politische Debatte eingeführt, was so viel heißt wie "sich bekleckern", aber laut Duden in Österreich auch für "verleumden" steht. Wer kritisiert, patzt an.

Von Kickl hat sich Kurz nur halbherzig distanziert. Jede Einschränkung der Pressefreiheit nennt er "inakzeptabel", um zugleich seinem Vorgänger ans Schienbein zu treten mit einem ebenfalls inakzeptablen Vergleich. Ex-SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern hatte in der Hochphase des Wahlkampfs vor einem Jahr nach in seinen Augen "diffamierender Berichterstattung" ein Interview mit dem Boulevard abgelehnt und Anzeigen gestoppt. "Nur, weil ich bei einer Wahl kandidiere, heißt das noch lange nicht, dass ich alles mitmachen muss", schrieb der Sozialdemokrat damals auf Facebook. Jetzt nennt Kurz "diesen Inserateboykott" als Beleg dafür, dass es unter der Vorgängerregierung ebenfalls zu Beeinflussungsversuchen gekommen sei.

Der 31-Jährige kennt natürlich den Unterschied zwischen einer Informationssperre à la Kickl und dem Verzicht darauf, Anzeigenplatz zu kaufen. Aber Kurz ist nicht nur ein Meister im Säen von Zwietracht – er tat nahezu alles, um die gemeinsame Bundesregierung schlecht aussehen zu lassen, bis er sie gesprengt hatte –, er ist auch ein Meister der Verschleierung. Und das im demokratieschädlichen Zusammenspiel mit dem Boulevard.

Sender wehrt sich gegen Eingriffe durch die FPÖ

Die Regierung ist nicht arm an Skandalen in ihrem gerade zu Ende gehenden ersten Jahr. Von gebrochenen Wahlversprechen bis zu den fast 300 000 Euro für die operettenhaft inszenierte Hochzeit der auf FPÖ-Ticket segelnden und vor ihrem Stargast Wladimir Putin hofknicksenden Außenministerin Karin Kneissl (die übrigens keine JournalistInnen mehr auf Reisen mitnimmt, weil sie deren Fragen nicht niveauvoll genug findet). Vor allem die "Neue Kronen-Zeitung", zur Hälfte im Besitz der Funke-Mediengruppe, mit ihrer riesigen Reichweite und der Auflage von fast 800 000 Exemplaren im Acht-Millionen-Einwohner-Land, ist willfährig. Das Kleinformat, die größte Zeitung im Land, soll, so Schätzungen, mit zwischen 80 und 90 Prozent aller Exklusivgeschichten bedient worden sein. ÖVP und FPÖ erscheinen in der Regel nicht nur in viel zu gutem Licht, sondern es werden auch noch populistische Geschäfte miterledigt, etwa im Kampf gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Dass die Privaten im Gegenzug so hoch im Kurs stehen bei den Rechten, hat mit deren Profil zu tun: wenig Information, viel substanzlose Unterhaltung und Krawall. International untergegangen ist in der breiten Missbilligung der versuchten Informationssteuerung durch das BMI, wie die Zusammenarbeit mit ATV aussehen soll, einem Österreich-Ableger der ProSieben-Sat.1-Familie. Für Januar 2019 ist der Start einer TV-Serie mit dem Arbeitstitel "Live PD" angekündigt, die dem Publikum den Polizeialltag näherbringen soll. Pölzl prophezeite, dass "jede Folge abgenommen" und danach erst "auf Sendung" gehen werde. Er lobt die "imagefördernde Öffentlichkeitsarbeit, bei der die Themen im Studio von uns bestimmt werden können". ATV stellte daraufhin klar, dass "die redaktionelle Hoheit wie bei allen Produktionen ausschließlich" beim Sender liege. Sollte es zu "Versuchen kommen, in die Gestaltung einzugreifen", werde das Format gestoppt. Was nun aus "Live PD" wird, ist ungewiss.

Ohnehin spielt eine bestimmte Sorte Polizeiberichterstattung rechten Parteien in die Hände, und das nicht erst seit der Silvesternacht 2015 auf der Kölner Domplatte. Medien, die vor allem auf Klicks setzen, greifen überproportional oft zur Berichterstattung über Fußball oder zum Polizeibericht. Eine Zufallsstichprobe vom vergangenen Wochenende auf der Internet-Seite der "Stuttgarter Nachrichten" ist nahezu von repräsentativer Aussagekraft: Zweimal VfB, drei Mal Polizei, darunter die Schlagzeile "Potenzpillen mit Nebenwirkungen - Autofahrer ruft Polizei zu Hilfe". In solchem Umfeld geraten seriöse Politik-, Wirtschafts- oder LokaljournalistInnen unvermeidlich unter internen Druck, weil ihre Artikel im Klick-Wettbewerb nur schwer mithalten können.

Noch eine weitere, dramatischere Wechselwirkung ist untersucht: Polizeiberichterstattung unterstützt jene Parteien überproportional, die mit Sicherheitsthemen Stimmung machen wollen. Over-Reporting heißt der Fachausdruck für die Verzerrung, die Rechtspopulisten stützt und von ihnen ausgenutzt wird. Die "Alternative für Deutschland" (AfD) liefert regelmäßig mit Halb- und Unwahrheiten Belege.

Und die FPÖ erst recht. Ministeriumssprecher Pölzl empfiehlt in seiner Mail an die Polizeidienststellen zu allem Überfluss, "hinkünftig" die Staatsbürgerschaft "einer mutmaßlichen Täterin bzw. eines mutmaßlichen Täters in euren Aussendungen zu benennen", "gegebenenfalls bei einer/einem Fremden, dessen Aufenthaltsstatus, bzw. ob es sich und eine Asylwerberin bzw. einen Asylwerber handelt". Und weiter: "Sexualdelikte sind aus Opferschutzgrünen ein heikles Thema, dennoch darf ich euch bitten, vor allem wenn zwischen einer Täterin und Opfer keine Verbindung besteht, auch proaktiv auszusenden." Nachdem die Mail öffentlich geworden ist und so viel Furore machte, wird daraus erst einmal nichts. Die Chefredakteure der Blätter, die geschnitten oder nurmehr mit dem Allernötigsten versorgt werden sollten, warnen aber vor Wiedervorlage. Der Boden ist bereitet.

Der "Falter" gilt als Feindmedium

Armin Thurnher darf stolz auf den "Falter" sein, der "die Regierungsarbeit von Anfang an generell sehr kritisch und sehr unangenehm" begleitet. "Wir gelten als Feindmedium", sagt der 69-Jährige Herausgeber der Wochenzeitung und arbeitet einen grundlegenden Unterschied im Umgang miteinander heraus: "Die mögen uns nicht, wir mögen sie auch nicht, aber wir versuchen trotzdem, Kriterien der Fairness einzuhalten." Wie er sieht sein "Standard"-Kollege Martin Kotynek genauso den Bundeskanzler am Zug, um "Informationsfreiheit zu geben". Kurz müsse "das Klima der Geheimnistuerei in Österreich beenden". Der "Kurier" wiederum zieht weitreichende Vergleiche. "Donald Trump bezeichnet die von ihm produzierten Fake News als 'Alternative Fakten' und beschimpft Journalisten, die einfach ihren Job machen, aber selbst Trump würde es nie wagen, das durch die Verfassung garantierte Recht der Bevölkerung auf Information zu beschneiden", sagt Chefredakteur Helmut Brandstätter. Und er erinnert an den neuen Slogan der "Washington Post": "Democracy dies in darkness."

Der Satz stammt vom Watergate-Aufdecker Bob Woodward, der vor fast zehn Jahren George Orwells Klassiker – "1984" und "Animal Farm" – aufgriff: "Je weiter die Gesellschaft sich von der Wahrheit wegbewegt, desto mehr hasst sie diejenigen, die sie aussprechen." Das war vor der Ära Trump, die AfD noch nicht einmal gegründet, aber Herbert Kickl schon seit 2005 in Amt und Würden, als unflätiger FPÖ-Generalsekretär und Erfinder vieler rassistischer Parolen. Ariel Muzicant, der frühere Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, fühlte sich an das "Gehetze" von Joseph Goebbels erinnert. Sebastian Kurz holte ihn trotzdem in sein Kabinett.

Dort ist der Rechtsaußen, der gern mit seiner Platon- und Kant-Lektüre prahlt, nicht nur für Polizei und Sicherheit zuständig, sondern auch für Asyl und Migration, für den Datenschutz, Volksabstimmungen oder die zivil-militärische Zusammenarbeit. Aktuell putzt er sich ab – Wienerisch für "die Schuld abwälzen" –, lässt seinen Sprecher im Regen stehen. Und alle Rückforderungen verhallen. Armes Österreich.


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3 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 08.10.2018
    Antworten
    Brave, also angepasste Medien-Vertreter / Journalisten und Journalistinnen, darauf bedacht den Kontakt zu den entscheidenden Trägern in den Entscheidungspositionen nicht zu verlieren?!?
    Kurz vor zwölf – wie lange schon vor zwölf? Jedenfalls bereits in den 60er Jahren schon so zu lesen!

    Medial…
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