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Munter immer weiter bauen

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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Datum:

In Königsbronn am Rande der Ostalb wird gebaut, als gäbe es keinen Klimawandel: Noch mehr Industrie, noch mehr Wohnungen, noch mehr Straßen. Dem Flächenfraß sind keine Grenzen gesetzt.

Es ist einer dieser heißen Tage in diesem Sommer, die in der Natur besser zu ertragen sind als in der Stadt. Da tut es gut, den Blick über das Kochertal schweifen zu lassen. Hier auf der Ostalb, am nördlichen Rand von Königsbronn, schaut man hinüber in Richtung Oberkochen. Wiesen, Wiesen, Wiesen, darauf getupft die Waldschänke Ziegelhütte und die Pferdepension Seegartenhof. Auf der einen Seite geht es hinauf auf den Wollenberg, auf der anderen begrenzt die Hohe Warte das Tal. Radler strampeln den Karstquellenweg entlang. Schön. Eigentlich.

Allerdings steht an der B 19 der grau-weiße Betonriegel der Fima Zeiss. 2001 begann der Bau für den "größten Standort des Unternehmensbereichs Halbleitertechnik", wie das Unternehmen einst stolz verkündete. Heute erstreckt sich das Firmengelände inklusive Parkhaus und Logistikzentrum fast über einen Kilometer bis nach Oberkochen.

"Und genau gegenüber soll jetzt noch ein Gewerbegebiet hin. Damit wird das Tal völlig abgeriegelt." Arnim Bledow ist verärgert. Der 77-Jährige gehört zur dreiköpfigen grünen Gemeinderatsfraktion von Königsbronn, ist aber der einzige seiner Parteifreunde, der gegen das Gewerbegebiet ist. Bei der entscheidenden Abstimmung im Gemeinderat am 19. Juli war er verhindert. Und so stand in der örtlichen Südwestpresse, der Gemeinderat habe "einstimmig" für das Gewerbegebiet gestimmt. Das störte Bledow, deswegen hat er sich später öffentlich dagegen ausgesprochen. Denn er stehe als Grüner auf Seiten der Ökologie, nicht der Ökonomie.

Gewerbesteuer lockt die Kommunen

Bledow war nicht der einzige, der bei der Sitzung am 19. Juli fehlte. Gerade mal 12 von 21 Volksvertretern waren anwesend. Bürgermeister Michael Stütz hatte die Sitzung einberufen, um das neue 16 Hektar großes Gewerbegebiet auf den Weg zu bringen. Warum es dafür eine Sondersitzung brauchte, ist unklar, zumal eine Woche später der Gemeinderat regulär tagen sollte. Nun sind jedenfalls die Weichen gestellt, um den Flächennutzungsplan zu ändern und das Gewerbegebiet westlich der B19 interkommunal zu entwickeln. Soll heißen: Die Gemeinden Königsbronn, Heidenheim und Oberkochen teilen sich die Erschließungskosten und die Gewerbesteuereinnahmen. Sowohl in Oberkochen als auch in Heidenheim hat der Gemeinderat ebenfalls zugestimmt, mehrheitlich, allerdings ohne die Stimmen der Grünen.

Die Kommunen wollen dieses Gebiet haben, weil Zeiss mal Interesse für mögliche Erweiterungen gezeigt habe, heißt es. Die Firma teilt dann auch mit: "Als perspektivische Erweiterung für Zeiss sind diese angedachten Flächen durchaus vorstellbar." Feste Zusagen mag man aber nicht machen. Denn: "Eine Belegung der möglicherweise verfügbaren Flächen durch Zeiss ist von vielen Faktoren abhängig – insbesondere von der weiteren Entwicklung der Zeiss Sparten sowie den regionalen und internationalen Rahmenbedingungen."

Das ist alles recht vage, doch die Aussicht auf Gewerbesteuer und Arbeitsplätze lockt die Kommunen. Nun könnte man vielleicht ein gewisses Verständnis aufbringen, wenn hier etwa wie in der Uckermark die Arbeitslosenquote bei 11 Prozent läge. Doch beim Landkreis Heidenheim handelt es sich keineswegs um ein strukturschwaches Gebiet. Im benachbarten Oberkochen sorgen unter anderem Zeiss, Leitz und Owema für volle Gemeindekassen. Der 8000-Einwohner-Ort hat 9000 Arbeitsplätze. Die Arbeitsagentur weist für den Landkreis Heidenheim eine Arbeitslosenquote von 3,7 Prozent aus. 

Auf dem Land geht man zu sorglos mit Grund und Boden um

Als Oberkochens Bürgermeister Peter Traub Ende voriges Jahr stolz verkündete, er habe den südkoreanischen Werkzeughersteller YG-1 angeworben, der bis zu 1000 Arbeitsplätze verspreche, gab es Ärger mit den örtlichen Unternehmern. YG-1 sei "nicht gerade für seine Ausbildungsbemühungen bekannt", erklärt der örtliche Geschäftsführer der IG Metall Heidenheim Roland Hamm. "Da besteht der begründete Verdacht, dass die bei den anderen Firmen massiv Arbeitskräfte abwerben und das ärgert die natürlich." Das wäre die eine Grenze des Wachstums.

Eine weitere Grenze ist der Platz. Wenn hier zwischen Königsbronn und Oberkochen noch mehr Menschen arbeiten sollen, ist es nicht mit dem Grund und Boden für noch mehr Firmen getan. Die Beschäftigten müssen irgendwo wohnen und Wohnungen sind auch hier in der schwäbischen Provinz Mangelware. Und wenn die Menschen nicht hier wohnen, dann müssen sie irgendwie zur Arbeit kommen. Die nicht elektrifizierte Brenztalbahn verkehrt hier nur auf einer Spur, die Bundesstraße ist schon heute morgens und nachmittags dicht, Pendler und Lastwagen verstopfen die Straße. Doch die Kommunalpolitiker hier am Rand der Schwäbischen Alb scheint das wenig zu interessieren.

Jeden Tag werden in Deutschland etwa 62 Hektar bebaut, das entspricht aufs Jahr gesehen einmal der Fläche Stuttgarts. Dass dies zu viel ist, weiß auch die Politik. So will die Bundesregierung laut Umweltbundesamt den Flächenverbrauch bis 2020 bundesweit auf 30 Hektar pro Tag senken. Wird nicht klappen, sagt selbst das Umweltbundesamt auf seiner Internetseite: "Falls sich die Entwicklung der Flächeninanspruchnahme wie in letzten fünf Jahren fortsetzt, wird das 30-Hektar-Ziel für das Jahr 2020 sowohl im Einzeljahr als auch im 4-Jahres-Mittelwert verfehlt." Ähnlich sieht es im Land aus. Umgerechnet bedeutet das 30-Hektar-Ziel, dass in Baden-Württemberg jeden Tag 3 Hektar bebaut werden könnten. Den aktuellsten Wert hat das statistische Landesamt für 2016. Da lag der tägliche Flächenverbrauch bei 3,5 Hektar.

Nähme man bereits heute das 30-Hektar-Ziel ernst, dürfte seit Mitte Juli in der Republik nicht mehr gebaut werden. "Da haben wir die Gesamtfläche der Überbauung bereits erreicht", sagt Henry Wilke, Referent für Siedlungsentwicklung beim Naturschutzbund Deutschland (NABU). Besonders ausufernd sei der Flächenfraß auf dem Land. Während Städte sich zunehmend bemühten, innerorts Baulücken oder Brachen zu nutzen, gehe man auf dem Dorf leider oft recht großzügig mit Grund und Boden um. "Da kommt ein potentieller Investor und der Gemeinderat macht alles mit." An die Folgekosten würde meist nicht gedacht: ein neues Gewerbegebiet bedeute nämlich auch eine neue Infrastruktur und neue Wohnungen. Gerade der Wohnungsbau sei jedoch der große Flächenfresser. Zwar sehe auch der NABU ein, dass Wohnraum benötigt werde, allerdings müssten es ja nicht immer Einfamilienhaus-Siedlungen sein. Doch im Schwäbischen ist gerade diese Wohnform ausgesprochen beliebt. Hier möchte man gerne einen Garten ums eigene Haus. Das kostet Platz.

Klimawandel scheint es in Königsbronn nicht zu geben

So hat auch Königsbronn in diesem Jahr ein neues Wohngebiet ausgewiesen. Im "Roßrucken-Süd" sollen in großen Teilen nur Einzel- oder Doppelhäuser gebaut werden. Der Regionalverband Ostwürttemberg findet das gar nicht gut. In seiner Stellungnahme moniert er, dass "eine ausführliche Darlegung des Bedarfs nicht vorhanden" sei. Auch fehle eine "Auseinandersetzung mit bestehenden Wohnbaupotentialen und Baulücken". Besonders übel stößt dem Verband auf, dass hier viel zu wenig Menschen wohnen sollen, umgerechnet nämlich 26 Einwohner pro Hektar. Für Königsbronn anzustreben seien aber 50 Einwohner pro Hektar, so der Regionalverband.

Das ist nur eines von vielen Beispielen. "Den Klimawandel scheint es hier nicht zu geben", sagt Werner Gottstein. Er ist in Ostwürttemberg Regionalvorsitzender vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). In der Region würden munter Gewerbegebiete und Wohnsiedlungen ausgeschrieben, sagt Gottstein: "Das ist der Wahnsinn". Der BUND habe schon vor zehn Jahren das Gewerbegebiet für Zeiss im Kochertal abgelehnt. Noch ein Gewerbegebiet bedeute noch mehr Verkehr und noch mehr Wohnbebauung. "Je mehr Boden versiegelt wird, desto wärmer wird die Umgebung, weil sich der Boden stärker aufheizt und seine Wärme nachts abgibt. Dann wird in dem Tal auch die Kaltluftschneise zugebaut – das Kleinklima wird sich dort ändern", so Gottstein.

Außerdem gibt der regionale Naturschützer zu bedenken: "Im Moment läuft die Konjunktur gut, aber lassen Sie noch mal so eine Krise wie 2008, 2009 kommen. Dann stehen Industriegebiete plötzlich leer." Und was ist mit den Ausgleichsflächen? Gottstein stöhnt. "Das gleicht nie aus, was es zerstört. Fläche ist nun mal begrenzt. Wachstum damit auch." Der BUND fordert von der Politik, den Flächenverbrauch bis 2025 auf Netto-Null zu senken. Damit müssten für jede neu zu bebauende Fläche woanders Flächen renaturiert werden. Die Politik könnte handeln. Zum Beispiel mit einer konsequenteren Regionalplanung. Mit einem neu gestrickten kommunalen Flächenverbrauch ließen sich Anreize für Gemeinden schaffen, Flächen zu sparen, statt sie möglichst gewinnbringend zu bebauen.

Doch in Baden-Württemberg sind die Prioritäten derzeit andere. Zwar steht im grün-schwarzen Koalitionsvertrag: "Nach wie vor ist der Flächenverbrauch hoch. Die Netto-Null beim Flächenverbrauch bleibt deshalb unser langfristiges Ziel." Was so ungefähr mit "langfristig" gemeint sein könnte, mag man im Wirtschaftsministerium aber nicht sagen. Vielmehr richtet die Pressestelle von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) aus: "Wann genau die Netto-Null erreicht werden kann, ist von der tatsächlich gegebenen Situation abhängig. Da in den vergangenen Jahren – entgegen allen früheren Prognosen – kein Rückgang der Bevölkerung, sondern ein stetiger Zuwachs festzustellen ist, ist klar, dass es ohne zusätzlichen Wohnraum derzeit nicht geht." Man könnte auch sagen, es wird einfach munter weiter gebaut. 


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3 Kommentare verfügbar

  • Matthias Nowak
    am 31.08.2018
    Antworten
    Leider klappt die Steuerung, was den nachhaltigen Bau von Häusern angeht, in kleineren Städten überhaupt nicht. Dort werden viel zu niedrige Quadratmeterpreise verlangt, die in keiner Weise die externen Kosten dieses Flächenverbrauchs widerspiegeln. Diese Grundstücke werden dann in der Höhe kaum…
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