KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Gut gebrüllt!

Gut gebrüllt!
|

Datum:

Rottenburgs CDU-Oberbürgermeister nennt die AfD eine rassistische Partei. Und hat nun bereits die zweite Anzeige der Rechtsradikalen am Hals, wegen angeblicher Beleidigung. Diesmal gebe er nicht klein bei, sagt Stephan Neher.

Zehn Jahre schon ist Stephan Neher Oberbürgermeister in Rottenburg am Neckar. Bei Antifaschisten wie dem ehemaligen Stadtrat Albert Bodenmiller hat er sich in dieser Zeit nicht gerade beliebt gemacht, hat er doch dem dort ansässigen rechtspopulistischen Kopp-Verlag sogar ein Grundstück der Stadt verkauft. Und, was vielleicht noch schwerer wiegt, nie klare Kante gezeigt gegen diesen Verlag, der seit vielen Jahren Hetze gegen Geflüchtete und Muslime ins Land bläst. Und das, so argumentierte Bodenmiller immer wieder, obwohl Rottenburg doch eine Bischofstadt sei und Eugen Bolz, der sein Leben im Kampf gegen die Nazis geopfert habe, ein Ehrenbürger.

Stephan Neher rollte regelmäßig die Augen, wenn der Bodenmiller wieder mit seinem Bolz ums Eck kam. Doch in den vergangenen Jahren, mit dem Aufstieg der Neuen Rechten, scheint der Widerstandskämpfer auch Neher etwas näher gerückt. In einer aktuellen Presseerklärung zur mittlerweile zweiten Anzeige durch AfD-Mitglieder wegen Beleidigung schreibt der OB: "Vielen Akteuren ist es zu verdanken, dass sich die Stadt Rottenburg klar gegen jegliche Tendenz der Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz wendet und als weltoffene Stadt wahrgenommen wird. Mir ist diese Grundeinstellung sehr wichtig, da gerade unser Ehrenbürger Eugen Bolz diese Werte verteidigte und letztendlich mit seinem Leben bezahlte". Nahezu ein originaler Bodenmiller!

Und dazu kam es wie folgt: Zu seinem zehnjährigen Dienst-Jubiläum hatte das "Schwäbische Tagblatt" aus Tübingen mit dem Rottenburger Rathauschef ein Interview geführt und nachgefragt, welche Fehler er aus seiner Amtszeit bereue. "Dass ich 3000 Euro bezahlt habe, obwohl ich sehr frühzeitig die AfD als das bezeichnet habe, was sie ist", war Nehers Antwort. Denn bei einer Feier des Rottenburger Bezirksseniorenrats sagte er, kurz vor der Europawahl 2014, vor etwa 60 Gästen, die rechtspopulistische AfD sei brandgefährlich, und dann folgende Sätze: "Man sollte nicht solchen AfD-Nazis auf den Leim gehen. Die sind schlimmer als die NPD, denn die sagt wenigstens, was sie vorhat."

Zwei Personen sahen darin offenbar eine Beleidigung, jedenfalls zeigten sie Neher an, und die Staatsanwaltschaft Tübingen nahm Ermittlungen auf, auch wegen übler Nachrede und Verleumdung. Neher wurde angeboten, das Verfahren gegen eine Geldbuße von 3000 Euro einzustellen. Zahlen wollte der aber erstmal nicht, denn, so sagte er dem "Schwäbischen Tagblatt", er habe warnen wollen vor einer Partei, "die mit den Ängsten der Menschen Politik macht".

Klare Kante gegen die AfD – aber gegen Kopp?

Damit kennt man sich aus in Rottenburg, was nicht zuletzt am Kopp-Verlag liegt: Der Verlag und seine mittlerweile eingestellte Nachrichtenseite "Kopp Online", maßgeblich unter Federführung des ehemaligen und inzwischen verstorbenen FAZ-Autors Udo Ulfkotte, waren mitunter wegbereitend für den Aufstieg der Neuen Rechten. Der dubiose Autorenkreis, der in diesem Verlag eine Plattform fand, arbeitete lange bevor es in Mode war, daran, die Grenzen des Sagbaren durch kalkulierte Tabubrüche zu verschieben. Doch während der Rottenburger OB in seiner Kritik an der AfD klare Worte findet, distanzierte er sich bis heute nie deutlich von den Machenschaften des rechtspopulistischen Verlages in seiner Stadt. Er sei Bürgermeister, Zensur dürfte nicht stattfinden, sagte Neher immer wieder. Man lebe ja im Lande der Meinungsfreiheit. 

Dass diese allerdings vor allem von denen missbraucht wird, die lauthals danach schreien, um ihre rechten Parolen loszuwerden, lernte Neher schnell. Sein Anwalt hatte ihm zwecks der "AfD-Nazis" geraten, das Bußgeld zu bezahlen, weil er dem OB wenig Chancen ausrechnete, den Prozess zu gewinnen. Anwalts- und Gerichtskosten seien weitaus höher als die Geldbuße. Und hätte die AfD gewonnen, hätte sie das wohl für sich ausgeschlachtet, sagte Neher damals, so behalte er eine "weiße Weste". Schließlich zahlte er doch: Je 1000 Euro an den Förderverein für krebskranke Kinder, die Deutsche Rettungsflugwacht und den Verein Jugend und Bewährungshilfe. Inhaltlich sieht sich Neher weiter im Recht. Den Begriff "AfD-Nazis" hätte er besser vermieden, sagte er später, und sie Nationalisten nennen sollen.

Gegen Rassismus hat sich der Rottenburger OB immer mehr zur Wehr gesetzt. Nachdem 2014 zwei Frauen aus Gambia von einem besoffenen Rechtsextremisten angepöbelt, verprügelt und getreten wurden, riefen der Oberbürgermeister, die Gemeinderats-Parteien und Kirchengemeinden zu einer Kundgebung auf, "Rottenburg gegen Rechts". Schon 2015 hat Neher sich mit Boris Palmer angelegt, dem grünen Oberbürgermeister der Nachbargemeinde Tübingen, der Gefallen an der Provokation findet und über kein sonderlich ausgeprägtes Bewusstsein in Sachen Alltagsrassismus verfügt. Damals kritisierte Neher die Palmersche Diagnose "Wir schaffen das nicht" und sagte darauf hin weitere 500 Plätze für Geflüchtete in seiner Gemeinde zu. Anfang 2018 geraten die beiden erneut aneinander. Neher nennt Palmer einen Populisten, dessen Äußerungen zur Migrationsdebatte bezeichnet er als "unsäglich und rassistisch" und die Verhaltensweise des grünen OB erinnere ihn an die AfD: Zuerst äußere dieser sich pauschalisierend, dann rudere er zurück, denn er sei missverstanden worden. Palmer hingegen findet, seine Analysen hätten mit Rassismus nichts zu tun.

Inzwischen scheinen sich die beiden wieder zu vertragen, der Schwarzwälder-Bote titelte im Februar gar mit "Der Neher-Palmer-Frieden", den sie offenbar beim gemeinsamen Gespräch mit syrischen Geflüchteten geschlossen haben.

Während der Tübinger Oberbürgermeister – durch die Populistenbrille gewissermaßen der einäugige König der verhassten Grünen – einige Monate später etwa beim AfD-Bürgerdialog in Vaihingen lobend erwähnt wird, fängt sich der Rottenburger Neher die nächste Anzeige ein. Im März richtete die Stadt die "Internationalen Wochen gegen Rassismus aus", Neher zieht ein positives Fazit und wundert sich Wochen später, Mitte August, über Post von der Kripo.

Neher wehrt sich

Denn in seinem Grußwort hatte der Oberbürgermeister gesagt, dass das Erstarken extremer politischer Parteien ein friedliches Zusammenleben in Respekt und Toleranz gefährde. Mit der AfD sitze im Bundestag nun, "eine Partei bei der Ausländerfeindlichkeit und Rassismus im Programm stehen". Das war wohl zu viel für die zart besaiteten Rechtsradikalen. Eine Partei, die den Mut zur Wahrheit einfordert und Gesinnungsdikaturen fürchtet, kann so eine Meinungsäußerung schließlich nicht durchgehen lassen. Und, zack!, kommt erneut eine Anzeige auf Nehers Schreibtisch geflattert, erstattet von einem AfD-Mitglied. Stephan Neher wert sich nun in einer Pressemitteilung:

"Dass die AfD populistisch gegen Flüchtlinge und Ausländer*innen Stimmung macht, ist offensichtlich, wenn die Landtagsfraktion in Baden-Württemberg unsere Landtagspräsidentin Aras aufgrund ihrer türkischen Wunrzeln nicht als Präsidentin akzeptiert, wenn Herr Gauland die früherer Integrations beauftragte Aydan Özogus (SPD) am liebsten in Anatolien entsorgen will oder wenn Alice Weidel im Bundestag davon spricht, dass 'Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Mesermänner und sonstige Taugenichtse' nicht den Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat in Deutschland sichern." Wie Neher an gleicher Stelle schreibt, ließen sich viele weitere, noch radikalere und menschenverachtendere Zitate und Stellungnahmen weniger bedeutsamer AfD-Politerker*innen anführen. "Worin nunmehr aber die Beleidigung zu sehen ist, wenn darauf hingewiesen wird, dass die handelnden Personen der AfD ihre ausländerfeindlichen und rassistischen Programminhalte anpreisen, erschließt sich mir nicht", schreibt der OB.

Diesmal zahlt er nicht

Diesmal wird er kein Bußgeld zahlen, betont Neher auf Anfrage. "Ich gehe davon aus, dass das Verfahren ohne Auflagen eingestellt wird", sagt er.

In seiner Pressemitteilung schreibt er zum Schluss noch die Sätze: "Mir ist es wichtig, dass möglichst viele unsere Grundwerte verteidigen, damit in Deutschland und Europa eine menschenfreundliche und weltoffene Grundeinstellung erhalten bleibt." In einigen europäischen Staaten seien die Populisten bereits in Regierungsverantwortung und "arbeiteten tatkräftig an der Umkehr bisher geltender europäischer und christlicher Werte." Genau deshalb sei "es so wichtig, in Deutschland und in Baden-Württemberg vor der AfD zu warnen, damit uns solche Umkehrungen erspart bleiben und wir als Bürger*innen in diesem Land sicher und in Freiheit leben können".

Gut gebrüllt.

Kontext schaut nach den Rechten

Wer sich als Alternative für Deutschland anpreist, muss Lösungen anbieten. Kontext lässt sich durch politische Nebelkerzen und dreiste Lügen nicht einlullen, sondern checkt die Fakten.

<link https: www.kontextwochenzeitung.de internal-link-new-window>Zum Dossier


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


9 Kommentare verfügbar

  • Peter Cuenot
    am 28.08.2018
    Antworten
    "Rottenburgs CDU-Oberbürgermeister nennt die AfD eine rassistische Partei"
    Rottenburgs CDU-Oberbürgermeister wirft auch dem Tübinger OB. Boris Palmer, rassistisches Verhalten vor. Im Schwäbisches Tagblatt vom 24.07.2018 kann man die Entgegnung von Boris Palmer nachlesen.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!