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Und er bewegt sich doch

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Baden-Württembergs Landtag wird sich neue Regeln im Umgang mit extremistischen Tendenzen im eigenen Haus geben. Angestoßen durch die Kontext-Berichterstattung über einzelne Mitarbeiter der "Alternative für Deutschland", sollen neue Bestimmungen für Zugang und Finanzfragen erlassen werden, möglicherweise sogar rückwirkend.

Einstimmig, also unter Einschluss der AfD, hat sich das Landtagspräsidium am Dienstag darauf geeinigt, nach der Sommerpause neue Regeln zu erlassen, um ein Zeichen gegen rechtsextreme Töne oder Überzeugungen in der Belegschaft von Fraktionen und Abgeordneten zu setzen. Die AfD steht dabei unter besonderer Beobachtung. Schon zu Wochenbeginn hatte ihr Fraktionschef Bernd Gögel erklärt, dass "wir uns zu jedem Zeitpunkt distanziert haben von rechtsradikalen und antisemitischen Äußerungen". Ein eigener Antrag wurde schlussendlich sogar zurückgezogen. Und die AfD schloss sich überraschend den Vorstellungen der so häufig als "Altparteien" bezeichneten Etablierten an. 

Allerdings wird es bis nach der Sommerpause dauern, ehe endgültige Entscheidungen fallen. Ganze zwei Monate dauerte es bereits, bis Habhaftes beschlossen wurde. Zuerst, während der Pfingstferien, zögerten Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) und dann die Fraktionsspitzen, vor allem von SPD und FDP, aber selbst der mitregierenden CDU, etwas in Angriff zu nehmen, was in anderen Parlamenten zum Teil seit langem gang und gäbe ist: Die härtere Vorgehensweise gegen Beschäftigte, die alles andere als durchgehend auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. 

Eingetütet ist, dass es eine neue Hausordnung geben wird. Schon im Juni hatten die Landtagsjuristen den Erlass eines Hausverbots vorgeschlagen, "wenn zu befürchten ist, dass von Beschäftigten einer Fraktion oder von Abgeordneten Gefahren für den Landtag oder Störungen des Parlamentsbetriebs ausgehen, weil begründete Zweifel an deren Zuverlässigkeit bestehen". Betroffene Personen hätten dann nur noch "Zugang in das Gebäude, in dem der oder die Abgeordnete oder die Fraktion untergebracht ist", heißt es weiter. Einverstanden sind die Fraktionen inzwischen auch mit einer Änderung des Abgeordnetengesetzes bei der Erstattung von Personalkosten.

Reinhold Gall, vormals Innenminister und zuvor SPD-Fraktionsgeschäftsführer, favorisiert die in Thüringen gefundene Regelung. Danach müssen neue MitarbeiterInnen vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Enthält es einen Eintrag wegen einer Vorsatzstraftat, gibt es kein Geld. Und die SPD kann sich für eine verbindliche Zuverlässigkeitsprüfung erwärmen, die, so Gall, "noch über das polizeiliche Führungszeugnis hinausgeht". Er hatte sich nach Bekanntwerden der jüngsten Vorwürfe im Mai brieflich an Aras gewandet und beklagt, dass sich bisher "ausgewiesene Rechtsextremisten in allen Bereichen des Landtags bewegen können".

Hinter den Kulissen mit den anderen Fraktionen verhandelt hat sein Grünen-Kollege Uli Sckerl, der "rote Linien" überschritten sieht, weil es AfD-Mitarbeiter gebe, die nachweislich "dem rechten und rechtsextremen Spektrum" zuzuordnen seien. Immerhin, so der innenpolitische Experte seiner Fraktion, habe die AfD im Präsidium nicht weiter auf ihren eigenen Ideen bestanden. Denn die hätten in Sckerls Augen zwangsläufig einen anderen Umgang mit BesucherInnen nach sich gezogen, die im Berliner Reichstag – außer an Tagen der offenen Tür – alle mit einer personenbezogenen Zutrittsberechtigung ausgestattet sind, während den Landtag alle angemeldeten Besucher und Gruppen betreten können. 

Im Detail geklärt werden sollen bis zum Herbst mehrere Knackpunkte, darunter, ob die Streichung von Kostenerstattungen für MitarbeiterInnen von Abgeordneten, die verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen, nicht auf Personen ausgeweitet werden kann, die direkt bei den Fraktionen beschäftigt sind. Für die Nichtauszahlung von Geld muss nach Meinung der Landtagsjuristen aber die Gesinnung "zweifelsfrei" belegt sein. Und noch eine Frage hat die Verwaltung vor der Brust: Grüne, CDU, SPD und FDP lassen Landtagspräsidentin Muhterem Aras nach Wegen suchen, ob und wie die Neuerungen auch rückwirkend angewandt werden können. Den einen Mitarbeiter, jenen der Abgeordneten Christina Baum (Main-Tauber) und Heiner Merz (Heidenheim), hatte Erstere allerdings ohnehin schon mal vorsorglich reingewaschen. "Unser Mitarbeiter ist ein von uns wegen seiner fachlichen Kompetenz hoch geschätzter Mitarbeiter", hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme nach der Kontext-Berichterstattung. Seine politischen Aktivitäten in der Vergangenheit seien "nicht relevant, da andernfalls eine strafrechtliche Verfolgung erfolgt wäre, und die Einstufung als 'Gefährder' deshalb grotesk".

Aras selber, die warten musste auf den Schulterschluss, und die nicht nur ausweislich zahlreicher Kommentare in den sozialen Medien, AfD-AnhängerInnen schon allein ihrer Herkunft wegen ein Dorn im Auge ist, spricht von einem "sehr guten Signal". Und davon, wie wichtig ihr das Thema war und weiterhin ist. Denn, so die Präsidentin: "Extremisten haben im Landtag von Baden-Württemberg keinen Platz – egal auf welcher Gehaltsliste sie stehen."


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3 Kommentare verfügbar

  • Manfred Fröhlich
    am 14.07.2018
    Antworten
    Ich bin entsetzt! Wie kann eine Partei mit solchen Kandidaten von so vielen Wählern als "Alternative für Deutschland" gesehen werden. Eine Schande ist das!
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