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Wasser Marsch!

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Stuttgart ist die Stadt mit dem größten Starkregenrisiko Deutschlands. Dass der geplante S-21-Tiefbahnhof das daraus folgende Hochwasserrisiko noch deutlich erhöht, wollen Projektgegner in einer neuen Studie belegen. Darin sind auch bemerkenswerte Pläne der Bahn im Falle eines Hochwassers dokumentiert.

Als vergangene Woche an vielen Stellen der Republik Starkregen zu katastrophalen Überflutungen führte, waren bald auch wieder die Einschätzungen zahlreicher Meteorologen zu hören, dass sich solche Ereignisse im Zuge des Klimawandels in Zukunft noch häufen werden. An sich ist das keine neue Erkenntnis, ebenso wenig wie die, dass Stuttgart schon jetzt die Stadt mit dem größten Starkregenrisiko in Deutschland ist. Dass hier zukünftige klimatische Veränderungen zudem noch extremer als in anderen Städten verlaufen könnten, stellte bereits vor einem Jahr der Vizepräsident des Deutschen Wetter Dienstes, Paul Becker, bei einem Vortrag in Stuttgart dar: Mit einer Verdopplung der Hitzetage sei in den kommenden Jahrzehnten zu rechnen – und entsprechend mit einem höheren Risiko für Gewitter-Sturzfluten an diesen Tagen.

Die Ursache für Stuttgarts nicht nur besonders hohes Starkregen-, sondern auch Überflutungsrisiko liegt in der Kessellage: Zum einen kann durch die Höhenunterschiede innerhalb der Stadt, wenn die warme, feuchtigkeitsgesättigte Luft aus der Innenstadt zu den Kesselrändern aufsteigt, leicht Starkregen ausgelöst werden, zum anderen konzentriert das trichterförmige Relief der Stadt zum Neckar hin die Abflüsse des Wassers. Diese doppelte Risikosituation wird durch die hohe Flächenversiegelung der Innenstadt verstärkt.

Ausgerechnet an der schmalsten Stelle dieses Trichters entsteht der Stuttgart-21-Tiefbahnhof. Was die Projektkritiker beunruhigt, ist dabei, dass der geplante Bahnhofstrog schwere Überflutungen aus zwei Gründen noch verstärkt: Weil er wie eine Staumauer, als bis zu acht Meter hoher Wall, an dieser Stelle liegt. Und weil er sämtliche Abwasser-Hauptkanäle aus der Innenstadt zerschneidet, die nun unten durch geführt, "gedükert" werden müssen. Der bekannteste und problematischste ist dabei der Nesenbachdüker. Weil zudem die Abflussleistung der neuen Kanäle geringer als die der alten, gerade durchlaufenden Kanäle sei, steigere auch dies das Überflutungsrisiko. Bei einer Unwetterkatastrophe wie am 15. August 1972, als in Stuttgart sechs Menschen starben, könnten auch die Klettpassage und der Tiefbahnhof volllaufen, mit dramatischen Folgen.

Dies sind keineswegs neue Warnungen der S-21-Kritiker, auch in Kontext wurde schon ausführlich darüber berichtet. Neu ist allerdings, dass sie nun umfassend, mit zahlreichen Quellen und Rechenbeispielen, in der am vergangenen Montag vorgestellten Studie "Überflutungsrisiken durch Stuttgart 21" zusammengestellt sind, verfasst von Hans Heydemann von den S-21-kritischen Ingenieuren 22 und dem ebenfalls als fachlicher Kritiker des Projekts bekannten Physiker Christoph Engelhardt im Auftrag des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Neu ist auch der Blick in die Vergangenheit: Engelhardt hat eine bis ins 13. Jahrhunderte zurückreichende Chronologie schwerer Überschwemmungen in Stuttgart erstellt, "so lückenlos wurde dies bis jetzt nicht zusammengestellt", sagt der Physiker. Dabei ist eine bedenkliche Regelmäßigkeit zu erkennen: Im Schnitt gebe es fünf schwere Hochwasserereignisse pro Jahrhundert, zuletzt die Unwetter-Katastrophe von 1972. "Seit 46 Jahren haben wir eine relative Pause", sagt Engelhardt, "aber man muss statistisch damit rechnen, dass es irgendwann wieder dazu kommt." Womöglich verstärkt durch den Klimawandel.

Die möglicherweise heftiger werdenden Unwetter stoßen nun, wie Heydemann warnt, auf eine geringere Abflussleistung durch die S-21-Düker. Zwar seien die Querschnitte der neuen Düker meist etwas größer als die alten, aber unter anderem die "mehrfachen Umlenkungen und Querschnitts-Übergänge" würden zusätzliche Strömungswiderstände bedingen, so Heydemann. Er hat für die Studie errechnet, dass sich die Abflussleistung der vier Abwasser-Hauptsammler um 24,6 Prozent, also rund ein Viertel verringere.

Die Bahn kennt das Problem – handelt aber nicht

Einer Leistungsminderung durch die neuen Kanäle hat indes die S-21-Projektgesellschaft in der Vergangenheit immer widersprochen und wird dies wohl auch weiterhin tun. Die große Problematik der starken Niederschläge und der Staudamm-Wirkung des Tiefbahnhofs allerdings war der Bahn schon früh bekannt, wie die Studie ebenfalls dokumentiert. So heißt es erstaunlicherweise im "Erklärungsbericht Teil III" zu den "Planfeststellungsunterlagen PFA 1.1" der Bahn vom 9. Februar 2004: "Im Bereich des Mittleren Schlossgartens liegt die Taltiefe des Stuttgarter Nesenbachtals. Zur Gewährleistung des Hochwasserabflusses darf hier, auch durch eine neue Eisenbahnstation, keine künstliche Barriere errichtet werden, da hier ein erhebliches Risiko besteht, dass ein großer Teil der Stuttgarter Innenstadt mit ihren zahlreichen Infrastruktureinrichtungen (...) überflutet werden wird." Das klingt nicht weniger warnend als die Äußerungen von Heydemann und Engelhardt.

Allein, aus dieser Gefahrendarstellung folgte kein Handeln, denn das hätte in letzter Konsequenz bedeutet, den Tiefbahnhof an dieser Stelle aufzugeben. Die ursprüngliche Zielsetzung, eine Barriere zu vermeiden, wurde also wieder fallen gelassen. Stattdessen wird die Barriere im Planfeststellungsbeschluss PFA 1.1 des Eisenbahn-Bundesamts (EBA) von 2005 nun quasi zum schützenden Staudamm umgewidmet: "Sollte bei stärkeren Niederschlagsereignissen das Abwasserkanalsystem überlastet sein, erfolgt ein Einstau vor dem Trogbauwerk (der Tiefbahnhof, d. Red.) und der Ablauf in den Mittleren Schlossgarten über die Engstelle zwischen dem südlichen Bahnhofshallendachende und dem Zugang Staatsgalerie. Das Wasser folgt der Topographie und fließt am Planetarium vorbei durch den Schlossgarten in den Neckar."

Abgesehen davon, dass man sich den in diesem Fall entstehenden Stausee über die Schillerstraße bis weit in den Oberen Schlossgarten nicht so genau ausmalen mag, "ist das, was als Notablauf neben dem Planetarium geplant ist, viel zu klein", kritisiert Heydemann. Die Folge könnte sein, dass bei entsprechender Aufstauung die Klett-Passage mit Stadt- und S-Bahnhaltestelle sowie der Tiefbahnhof überflutet werden würden. Auch daran wurde im Planfeststellungsbeschluss zumindest gedacht: Die Überflutung der Klettpassage solle mit so genannten Dammbalkenverschlüssen verhindert werden. Bislang gibt es allerdings keinerlei Vorkehrungen, solche einzurichten.

Planmäßige Flutung

Auch wenn es im Planfeststellungsbeschlusses heißt, dass "eine Flutung des Bahnhofs (...) in einem solchen Katastrophenfall durch mobile Hochwasser-Schutzmaßnahmen verhindert werden (muss)", gibt es auch Pläne für eine gezielte Flutung von S-21-Tiefbahnhof und -Tunneln. Und zwar dann, wenn durch einen Anstieg des Grundwasserspiegels ein Aufschwimmen des Bahnhofstrogs droht, die Haltestelle also wie ein U-Boot nach oben steigen könnte – unter anderem der anfangs an den S-21-Planungen beteiligte Architekt Frei Otto hatte 2010 vor dieser Gefahr gewarnt. Prominentes Beispiel für so einen Fall war der Schürmann-Bau in Bonn: Bei einem Rhein-Hochwasser im Jahr 1993 hob sich der noch unfertige Bau um 70 cm an, die Schäden waren so groß, dass ein Abriss und Neubau erwogen wurde.

Um so etwas zu verhindern, sind beim S-21-Bahnhof "Notflutöffnungen" vorgesehen, durch die er planmäßig geflutet wird, sobald der Grundwasserspiegel ein bestimmtes Level, den "Begrenzungs-Wasserstand" übersteigt. Solche Notöffnungen werden heute immer häufiger eingebaut, so Engelhardt, doch auch hier gebe es bei S 21 einen entscheidenden Unterschied: "Die Notöffnungen werden in der Regel am Schluss verschlossen, weil der fertige Bau zu schwer ist zum Aufschwimmen."

Nicht so beim Tiefbahnhoftrog, der von keinen auf ihm stehenden Gebäuden beschwert wird. Die Folgen einer planmäßigen Flutung wären selbst dann, wenn keine Menschen zu Schaden kämen, gravierend: Es käme zur kompletten Betriebseinstellung, der Bahnhof müsste wochenlang gesperrt werden, so Engelhardt, "er muss erst leergepumpt werden, was man erst machen kann, wenn der Grundwasserspiegel wieder gesunken ist, danach muss alles gereinigt und getrocknet, die Schäden beseitigt werden." Das würde wohl auch die gesamte Elektrik betreffen. Engelhardt führt als Beispiel das Prager Metro-Netz an: Nachdem dieses 2002 bei einem Hochwasser zu zwei Fünfteln überflutet worden war, waren sämtliche unterirdisch verlaufenden Kabel zerstört, und es dauerte sieben Monate, bis alle U-Bahn-Stationen wieder in Betrieb genommen werden konnten. Engelhardts Fazit: "Man hat in Stuttgart einen Wegwerfbahnhof konzipiert."

Welche Ausgleichsmaßnahmen im Falle so einer Sperrung die Bahn für Reisende zu treffen gedenkt, ist nicht bekannt, im Planfeststellungsbeschluss wird jedenfalls nichts dazu erwähnt. "Es ist zu befürchten, dass es genauso abläuft wie in Rastatt im vergangenen Jahr", sagt Engelhardt. Stuttgart wäre dann wohl monatelang vom internationalen Fernverkehr abgehängt – ein Szenario, dass die S-21-Befürworter einst immer für den Fall an die Wand gemalt hatten, sollte der Tiefbahnhof nicht gebaut werden.


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