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Feiern in aller Bescheidenheit

Feiern in aller Bescheidenheit
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Bloß kein Personenkult, stattdessen die Demokratie neu denken. So soll es sein, am 70. Geburtstag von Winfried Kretschmann. In aller Bescheidenheit gibt es dazu ein Buch, ein Symposium und einen Empfang. Und überall trifft man die gleichen Leute. Grünschwarze.

Mit Hubert Klöpfer, dem Verleger, im Tübinger Kaffeehaus "Ranitzky" gesessen, gegenüber vom Rathaus. Latte macchiato getrunken. Kommt der Oberbürgermeister herein, sieht uns und sagt, hier treffe sich eben die Bourgeoisie. Der Verleger hat eine Broschüre dabei, in der sein neues Buch beworben wird. Es heißt "Gegenverkehr. Demokratische Öffentlichkeit neu denken" und vereint auf dem Titel lauter honorige Autoren. Von Gisela Erler über Angela Merkel bis Erwin Teufel. Boris Palmer, der Oberbürgermeister, liest die Liste und kontert den hinterlistigen Hinweis, er fehle, mit der knappen Prognose: "Das wird kein Bestseller". Er schreibe seine Bücher lieber alleine und ziere die Rankinglist im "Spiegel".

Nun muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass es Hubert Klöpfer zu gönnen wäre, wieder mal einen Bestseller zu haben. Aber der 66-jährige Buchliebhaber ist zu lange im Geschäft, als dass er sich von dem Gedanken verführen ließe, er könne den "Gegenverkehr" in die Höhen von Manfred Zachs "Monrepos oder die Kälte der Macht" katapultieren. Den Zach hat er 120 000 Mal verkauft, die demokratischen Neudenker beginnen mit einer Startauflage von 2500, und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn er sie signifikant steigern könnte. Für den kleinen Tübinger Verlag und seinen Chef ist es eher ein Prestigeprojekt, weil es gekoppelt ist an ein Ereignis, dessen Bedeutung Glanz und Gloria verleiht: der 70. Geburtstag von Winfried Kretschmann, dem König von Baden-Württemberg.

Aber halt, es ist keine Festschrift, zumindest nicht im klassischen Sinne, wie Staatsminister Klaus-Peter Murawski erläutert. Das habe sein Chef nicht gewollt, keine Lobhudelei, versichert er in der Bibliothek der Villa Reitzenstein, in der Kretschmann beim Skatspielen zu sehen ist. Auf einem Foto. Als Wächter über den Regierungssitz ist der Major Domus auch für das Erscheinungsbild des Hausherrn verantwortlich, in diesem Fall für die richtige Auslegung des gedruckten Werks. Murawski, der auch am 17. Mai Geburtstag hat, aber zwei Jahre jünger ist als der MP, verweist auf die Agora im antiken Griechenland, den Marktplatz, das kennzeichnende Merkmal der Polis. Hier sprachen die Menschen miteinander, offen und ehrlich und nicht in Filterblasen wie heute, und genau darum gehe es bekanntermaßen dem Ministerpräsidenten, sagt der grüne Strippenzieher. Das bestätigt im Übrigen auch die Kanzlerin in dem Buch. "Winfried Kretschmann steht für die Bereitschaft zum Gespräch", lässt Angela Merkel wissen, "ohne strittige Themen auszuklammern."

Die Mao Bibel rettet Erwin Teufel

Die eigentliche Arbeit haben aber zwei andere gemacht: Ralf Fücks (66) und Thomas Schmid (72). Sie firmieren als Herausgeber und sind Weggefährten Kretschmanns noch aus Tagen, als sie mit der Arbeiterklasse, dem revolutionären Subjekt, in Dialog getreten sind. Fücks als führender Kader des Kommunistischen Bunds Westdeutschland (KBW), Schmid als Mitstreiter von Joschka Fischer und dem Revolutionären Kampf (RK), Kretschmann als tapferer Verkäufer der Kommunistischen Volkszeitung (KVZ). Das war bekanntlich wenig erfolgreich, worauf sie, zusammen mit dem Genossen Winfried, 1983 den ökolibertären Flügel der Grünen gegründet haben, der sich um das "gehobene neue Bürgertum" kümmern wollte. Das hat geklappt. Fücks wurde Bürgermeister in Bremen und Vorsitzender der Böll-Stiftung, Schmid Herausgeber der "Welt"-Gruppe im Axel Springer-Verlag, den sie einst enteignen wollten, Kretschmann Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken. Auf Empfehlung von Erwin Teufel.

Siehe dazu auch den <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik der-eigenwillige-5095.html veröffentlicht internal-link-new-window>Aufsatz "Der Eigenwillige" des ehemaligen Ministerpräsidenten, den Kontext als historisches Dokument betrachtet und deshalb in Gänze veröffentlicht. Das erscheint uns insofern bedeutend, als der Text, wie aus eingeweihten Kreisen zu hören ist, fast das Licht der Welt nicht erblickt hätte. Herausgeber Schmid mochte ihn offenbar nicht, weil Teufel, statt das Thema zu wägen (Demokratie neu denken) nur an Gemeinsamkeiten mit dem Geehrten (Wir sind beide Spaichinger) erinnert sowie die literarische Latte gerissen habe. Erst Staatsrätin Gisela Erler (72) habe den Beitrag retten können, so die Lesart in der Regierungszentrale, weil sie einst mit Schmid in ihrem Münchner Trikont-Verlag zusammengearbeitet und dort die Mao Bibel herausgegeben hatte. Das verbindet.

Ralf Fücks dementiert diese Version. Zumindest zur Hälfte. Von einem Politiker, resümiert der Alt-Grüne, der inzwischen einem "Zentrum Liberale Moderne" vorsteht, seien keine literarischen Qualitäten zu erwarten. Schon gar nicht, wenn er keinen Ghostwriter mehr habe. Andererseits habe Thomas, also Mitherausgeber Schmid, sehr wohl um die gegenseitige Wertschätzung der beiden Ministerpräsidenten gewusst.

In dieser Zwickmühle ist es dann einfach schwer, Nein zu sagen. Zum einen hatten alle Autoren den Auftrag, sich von Alberto Moravia anleiten zu lassen, der da postulierte: "Diktaturen sind Einbahnstraßen, in einer Demokratie herrscht Gegenverkehr". Zum andern hat Kretschmann dem Zugfahrer Teufel (Spaichingen – Stuttgart Hbf) den Professorentitel verliehen, was ein schöner Ausdruck dieser Wertschätzung war. Und deshalb war die Entscheidung zu drucken richtig.

Nun glaube niemand, die Herren Fücks und Schmid seien Erfüllungsgehilfen von Murawski und Co. gewesen. "Wir sind doch keine Strohmänner des Staatsministeriums", schilt Fücks ins Telefon, "wir verantworten das Buch ganz alleine". Auch den Augsburger Bertolt Brecht, den sie auf Seite 13 zum "Oberschwaben" erklären, obwohl er ein bayerischer Schwabe ist. Aber das nur nebenbei, in der Gesamtsache besagen die Gerüchte, dass die zwei überaus selbstbewussten Männer Kretschmanns Entourage vorgeführt haben, wo Oberrealos den Most holen.

Kretschmann muss ständig Demokratie neu denken

Dafür haben sie auch nur ein bescheidenes Honorar in Höhe von jeweils 3000 Euro bekommen. Dies zu betonen ist Murawski wichtig, weil die Rechten im Landtag (AfD) bereits an den Aufwendungen herum gemäkelt haben. Die haben wohl nicht kapiert, dass, um es mit Hannah Arendt zu sagen, das "Denken ohne Geländer" eine öffentliche Aufgabe ist. (Außerdem hat Murawski auch noch den Klinikumsschlamassel an der Backe.)

Trotzalledem: Das Werk ist fertig geworden. Kein Parteibuch von Parteifreunden, sagt Fücks, sonst wären Kaliber wie Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, nicht vertreten. Und der katholische Bischof Gebhard Fürst sei wohl auch nicht den Grünen zuzurechnen. Nein, es sei eine "indirekte Würdigung" von Winfried Kretschmann, der "für demokratische Verhältnisse brennt", eine "Referenz an eine herausragende politische Gestalt", die es ernst meint mit einer "Politik des Gehört-Werdens".

Der Geehrte selbst wird am Vorabend seines Wiegenfests auch erscheinen. Den JournalistInnen steht er eine Viertelstunde für Fragen zur Verfügung, danach muss er zu einem Symposium in die Staatsgalerie eilen, in der erneut die demokratische Öffentlichkeit neu gedacht wird. Laut Programm wird Wolfgang Schäuble die Impulse zur Eröffnung setzen und Gisela Erler das Schlusswort sprechen. Tags darauf, beim offiziellen Geburtstagsempfang, halten Günther Oettinger, Thomas Strobl und Joschka Fischer die Festreden. Die geladenen Gäste werden beim Einlass um Geduld gebeten. Aufgrund der Sicherheitskontrollen könne es zu Wartezeiten kommen, warnt das Staatsministerium.


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7 Kommentare verfügbar

  • Schwa be
    am 20.05.2018
    Antworten
    "...Demokratie neu denken..." und "...In aller Bescheidenheit gibt es dazu ein Buch, ein Symposium und einen Empfang...".
    Der Artikel verharrt in der mir vom Autor bekannten Schreibweise - ein Erlebnisbericht mit kritischen Untertönen. Für mich bleibt der Artikel wieder einmal weit hinter dem zurück…
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