KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Hölderlin, hilf!

Hölderlin, hilf!
|

Datum:

Die Lage ist so ernst, dass sich der Vorsitzende der Linken an Hölderlin klammern muss. "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch", zitiert Bernd Riexinger den schwäbischen Lyriker. Im Kontext-Interview spricht er über die AfD, die SPD, die Grünen, Wolfgang Schorlau – und über Sahra Wagenknecht.

Wenn Bernd Riexinger eine Redaktion besucht, erwartet er als erstes Fragen nach Sahra Wagenknecht. Wie es ihm so geht mit ihr, ob sie bald eine eigene Partei gründet, zusammen mit ihrem Mann Oskar Lafontaine, und wie lange er den Laden noch zusammenhalten kann? Um ihn aus dieser Routine heraus zu reißen, kam etwa die neoliberale Erneuerung der SPD vorher dran.

Herr Riexinger, wie geht's Ihnen, wenn Sie morgens Nachrichten hören? Trump, Kim Jong-un, Putin, Erdogan, May.

Die Welt ist wirklich in einem gefährlichen Zustand. Das macht mich einerseits wütend, andererseits hinterlässt es ein Gefühl der Ohnmacht. Aber ich bin nicht der Typ, der resigniert. Das treibt mich eher an. Ich denke dann an Hölderlin: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.

Mental derart gestärkt gehen Sie dann in den Bundestag und hören der AfD zu.

Es bleibt mir nichts anderes übrig. Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte haben wir eine rechtsradikale, teils neonazistische Partei im Bundestag. Sie macht keine Parlamentsarbeit, sondern agitiert ausschließlich für ihre Anhänger. Wir müssen einerseits klare Kante gegen die rechte Hetze zeigen, andererseits verschafft das der AfD Aufmerksamkeit – man darf auch nicht über jedes Stöckchen springen.

Alexander Gauland und Alice Weidel sind nicht blöd.

Das sind keine Dumpfbacken wie manche in den Landtagen. Sie sind gut vorbereitet und gefährlich, weil sie es schaffen, bei jedem Thema ihre flüchtlingsfeindliche Haltung zu platzieren. Egal, ob das die Bundeswehr, die innere Sicherheit oder den Islam generell betrifft.

Die AfD greift einfach vieles auf und spricht aus, was latent in der Gesellschaft vorhanden ist.

Das weiß ich. Sie bietet aber keine Lösungen für die soziale Ungerechtigkeit, die in der Gesellschaft herrscht. Mit einer neoliberalen Partei wie der AfD im Bundestag geht es dem Hartz-IV-Bezieher kein Stück besser. Als ich meine Antrittsrede zum Mindestlohn gehalten habe, hat sie sich sofort gegen eine Erhöhung gewandt und gegen mehr Mitbestimmung in den Betrieben. Sie will keine bessere Tarifbindung oder schärfere Gesetze zum Steuerbetrug. Die AfD ist keine Arbeiterpartei, 51 Prozent ihrer Wähler haben einen akademischen Hintergrund. Und viele von denen haben Angst vor dem sozialen Abstieg.

Die Linke ist auch keine Arbeiterpartei. Der Soziologe Didier Eribon, linksverehrt mittlerweile, sagt, die Linke habe den Bezug zur Arbeiterklasse verloren.

Richtig ist, dass wir im Bereich der Erwerbslosen und im klassischen Arbeitermilieu Wählerinnen und Wähler verloren haben. Wir legen aber deutlich zu bei den sozialen Berufen, im Dienstleistungssektor, bei den Jungen, und bilden damit die heutige Zusammensetzung der Arbeiterklasse ab. Im vergangenen Jahr haben wir 8500 neue Mitglieder gewonnen, was fast 15 Prozent Zuwachs bedeutet. Zwei Drittel davon sind unter 35, und was geben sie als Motiv für den Eintritt an?

Kampf den Monopolen!

Erstens soziale Gerechtigkeit, zweitens Klimaschutz und sozialökologischen Umbau, drittens Kampf gegen Rechts und Rassismus.

Eigentlich müssten die zu den Grünen gehen.

Wahrscheinlich haben sie gemerkt, dass vom ökologischen Kernprofil der Grünen nicht mehr viel übrig geblieben ist. Es war unübersehbar, wie sich Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt der Kanzlerin an den Hals geworfen haben, um Jamaika zu kriegen. Aber als Mehrheitsbeschaffer der CDU waren sie von vielen ihrer WählerInnen nicht gedacht.

Der neue grüne Stern am Himmel, Robert Habeck, spricht öffentlich von sozialer Gerechtigkeit.

Das kommt mir alles noch sehr philosophisch daher. Ich warte noch auf die praktische Unterfütterung. Ist ja schön und gut, gegen die Kapitalisierung aller Lebensbereiche zu wettern. Die Vermögenssteuer zu fordern wäre weniger abstrakt. Das erinnert mich an das Problem von Martin Schulz, der auf der Metaebene schöne Slogans gefunden hat, in denen nur Luft steckte.

Auf Schulz folgt Scholz, der, ganz praktisch, einen Mann von Goldman Sachs als Staatssekretär einstellt.

Die SPD hat einfach den Schuss noch nicht gehört. Sie ist in ihre größte Krise gestürzt, weil sie Politik im Interesse des Finanzkapitals gemacht hat. Und jetzt holt sie in Jörg Kukies eine Symbolfigur desselben an Bord. Daraus kann ich nur schließen, dass die SPD immer noch nicht begriffen hat, warum sie im Tal der Tränen hängt.

Vielleicht erneuert sich die SPD in Richtung neoliberale Gerechtigkeit.

Schönes Bild. Mit Olaf Scholz zieht jedenfalls die Schwarze Null ins Finanzministerium ein. Ihm sei die Kontinuität wichtig, sagt er. Nun ist Vorgänger Wolfgang Schäuble nicht als oberster Sozialdemokrat aufgefallen.

Eher als Würger der Griechen.

Das war mit ein Grund, warum ich dem Schriftsteller Wolfgang Schorlau die Tür zur Linken in Griechenland aufgemacht habe. Ich glaube, dass sein Buch davon profitiert hat. Jetzt muss er nur noch seine Nähe zu den Grünen lockern.

Wie spricht sich's denn mit Leni Breymaier, Ihrer einstigen Verdi-Landeschefin?

Sie ist ganz pragmatisch. Alles andere als die Große Koalition wäre für sie noch schlimmer gewesen, meint sie. Da trifft sie sich mit Gewerkschaftern wie dem DGB-Chef Reiner Hoffmann, die glauben, aus der Opposition heraus keine Machtpolitik betreiben zu können. Für mich gilt das nicht. Wenn ich starke Bündnisse zustande kriege, von Sozialverbänden über Mieterinitiativen bis zu den Gewerkschaften, dann ist kein Koalitionsvertrag in Stein gemeißelt. Dann rücken wir die Republik nach links.

Dafür waren die Zeiten schon mal günstiger.

Ich spekuliere nicht auf Wahlergebnisse wie 2013, als eine linke Mehrheit im Bundestag gegeben war. Ich vertraue auf unsere großen Kampagnen zur Pflege und zum Wohnen. Im Mai geht es mit der Pflege los, im September mit dem Wohnen. In unserem Ortsverband im Stuttgarter Osten habe ich nur ein einziges Thema gehabt: Mieten. Wie soll eine Verkäuferin mit monatlich 1300 Euro Einkommen eine Wohnung bezahlen, wie ein Rentner, wenn zwei Zimmer 800 Euro kalt kosten? Das ist völliger Irrsinn. Und die 300 Sozialwohnungen, die OB Fritz Kuhn schafft, sind eine Bankrotterklärung. Die Leute können doch nicht alle in den Thüringer Wald ziehen.

Da dürfte Ihnen Sahra Wagenknecht zustimmen.

Auf den Namen habe ich schon lange gewartet.

An ihr kommen wir so wenig vorbei wie Sie. <link https: www.kontextwochenzeitung.de debatte verquere-kopfgeburt-4884.html internal-link-new-window>In Kontext handeln wir ihre linke Volkspartei ab und ihre Forderung, die Linke müsse ihre Flüchtlingspolitik ändern. Und Sie haben in dieser Frage ständig Streit in der Partei.

Wir haben keinen Streit darüber in der Partei, wir haben unterschiedliche Auffassungen mit Sahra Wagenknecht über die Flüchtlingsfrage. Grundsätzlich gilt, dass die soziale Frage nicht gegen die Flüchtlingsfrage ausgespielt werden darf. Dieses Land ist reich genug, um beides zu lösen. Für mich sind offene Grenzen genauso selbstverständlich wie die offene Aufnahme von Geflüchteten. Es ist eine große Illusion zu glauben, man könnte das eigene Wohnzimmer gegen die Welt abschotten.

Frau Wagenknecht will eine Begrenzung, kriegt dafür Beifall von der AfD und den Vorwurf, linksnationalistisch zu sein.

Das hat Oskar Lafontaine schon vor 30 Jahren zu hören bekommen, als er erklärt hat, jeder Ausländer sei ein Bewerber mehr auf dem Wohnungsmarkt. Aber das ist nicht meine Debatte. Mir geht es um den Umgang mit den Rechten. Wir müssen überall dort sein, wo rassistische, chauvinistische und nationalistische Positionen bekämpft werden müssen. Sei's im Parlament, im Betrieb, an den Stammtischen, in den Stadtteilen, überall dort, wo die Rechten den öffentlichen Raum erobern wollen.

Ihre Fraktionsvorsitzende will den Rechten auch nicht das Feld überlassen.

Natürlich will sie das nicht. Aber die Frage ist doch: wie mache ich das? Ich muss einen Wall aufbauen gegen rechts, dafür sorgen, dass die Leute nicht anfällig werden für ausländerfeindliche Positionen, dass sie erkennen, aus welcher Mottenkiste die Rechten ihre Parolen holen. Und wo die wirklichen Ursachen zu suchen sind. Man kann kurzfristig Waffenexporte stoppen, die Entwicklungshilfe erhöhen und gerechtere Handelsbeziehungen einleiten.

Die Frage ist auch: In welcher Formation antreten? Sahra Wagenknecht empfiehlt eine neue.

Mal heißt sie linke Volkspartei, mal linke Sammlungsbewegung. Die Idee hat sie Anfang Januar der Öffentlichkeit präsentiert, befördert vom "Spiegel". In der Partei hat das niemand aufgegriffen, weil auch nicht erkennbar ist, wer da mitmachen soll. Ich sehe keine nennenswerten Teile bei der SPD oder den Grünen, die sich abspalten wollen. Wenn es eine außerparlamentarische Bewegung sein soll, in der sich linke Intellektuelle und Künstler wie Konstantin Wecker treffen – gerne. Nach drei Monaten könnte sie den Plan aber ruhig mal ihrer Partei vorstellen.

Mit einem Parteivorstand, der immer wieder "gegen die Fraktionsspitze" arbeitet – O-Ton Wagenknecht im "Neuen Deutschland" vom 21.3.2018 – würde ich auch ungern reden.

Im Parteivorstand sitzen auch stellvertretende Fraktionsvorsitzende und viele Mitglieder der Fraktion. Auseinandersetzungen über politische Inhalte zu führen ist die Basis jeder demokratischen Partei, das sollte man nicht immer als Angriffe gegen die eigene Person umdeuten.

Eine Partei, in der es "ständig Reibereien und Streit gibt, ist nicht gut geführt". O-Ton Wagenknecht.

Als Katja Kipping und ich den Laden 2012 übernommen haben, war er wirklich gespalten. Wir haben ihn wieder zusammengeführt. Wir werden mehr – langsam, aber stetig. Wir haben stabile Wahlergebnisse zwischen zehn und zwölf Prozent, sind selbst in Baden-Württemberg bei sechs Prozent, wir haben Großstädte, in denen wir stärker sind als die Grünen, wer hätte das vor zehn Jahren gedacht, und wir haben einen Mitgliederzuwachs, der sich sehen lassen kann.

Dann muss die Erfolgsgeschichte nur noch medial entsprechend gewürdigt werden. Eine harte Nuss.

Schwer zu knacken, das ist mir bewusst. Ich bin mir sicher, dass wir eine eigene linke Medienlandschaft brauchen. Wir werden ein eigenes Internetfernsehen aufbauen. Unsere Social-Media-Arbeit ist allerdings im Vergleich zu anderen Parteien im Bundestag überdurchschnittlich erfolgreich. Im Mainstream, und das gilt besonders für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sind wir im Vergleich zu den Grünen stark unterrepräsentiert.

Mit Sahra Wagenknecht, dem politischen Popstar an der Spitze, könnte sich das ändern. Bernie Sanders in den USA, Jeremy Corbyn in England und Jean-Luc Melenchon in Frankreich haben es vorgemacht.

Man könnte sich auch vom Misserfolg des österreichischen Ex-Grünen Peter Pilz abschrecken lassen. Er kam mit seiner Liste bei den Nationalratswahlen 2017 auf knapp über vier Prozent.

 

Bernd Riexinger (62) führt seit 2012, zusammen mit Katja Kipping, die Partei Die Linke. Der gebürtige Leonberger gehört seit 2017 auch dem Bundestag an, in den er über die Landesliste eingerückt ist. Vorher war er Verdi-Geschäftsführer im Bezirk Stuttgart.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


12 Kommentare verfügbar

  • Claus Stroheker
    am 07.04.2018
    Antworten
    Das ist ja eine klare Position, fraglich ist nur, ob sie "tragfähig" und hilfreich ist: wir schaffen einen Wall gegen rechtspopulistische und rechtsextreme Gedanken dadurch, dass wir gleich die Rüstungsexporte stoppen, die Entwicklungshilfe erhöhen und gerechtere Handelsbeziehungen einleiten.

    Keine…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!