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Der ist mit'm Radl da

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Der baden-württembergische Verkehrsminister ist auf eine leise und leidenschaftliche Art beharrlich. Winfried Hermann gehört zum kümmerlichen Häuflein jener Spitzengrünen, die selbst nach sieben Jahren an der Macht nicht lassen wollen von alten Überzeugungen.

Der Stuttgarter Landtagsabgeordnete, 2016 in seinem Wahlkreis direkt gewählt mit mehr als 37 Prozent, tut alles, um die Leute von nachhaltiger Mobilität zu überzeugen. Fast alles. Kürzlich kam er, auf dem Fahrrad natürlich, am Bürger- und Medienzentrum des Landtags an, dessen Eingang in die Wiese an der Konrad-Adenauer-Straße versenkt ist, umgeben von Stufen im Stil eines Amphitheaters. Auf denen zu zeigen, wie er seinen Drahtesel beherrscht, hätte den Ex-Sportlehrer früher sicher gereizt. Inzwischen ist Hermann 62 und lässt solche halsbrecherischen Aktionen bleiben. Er steigt zu Fuß hinauf zu den Kamerateams und Fotografen, die Botschaft auf dem Gepäckträger, dass das Land bis 2022 rund 46 Millionen Euro in den Ausbau von Radwegen und speziell von Radschnellwegen investieren will – mit dem Hauptziel, PendlerInnen zum Umstieg zu motivieren.

Fünf Jahre lang wurde der Verkehrsminister verlacht, beschimpft und verleumdet, etwa mit der Behauptung der Opposition, er sei ein Feind jeglichen Straßenbaus. Keine zwei Tage im Amt, entfachte er 2011 einen Shitstorm sondergleichen mit Sätzen wie diesen: "Die Reichen dieser Welt mit Maybach, Porsche und der S-Klasse zu beliefern, könnte in wenigen Jahren nur noch eine Nische sein und keine 200 000 Arbeitsplätze mehr sichern." Oder: "Manche Porsche-, BMW- oder Audi-Fahrer frönen einer libidinösen Form des Autofahrens, aber das ist eine Minderheit, darin liegt die Zukunft nicht."

Die Schwarzen wollten seinen Skalp

Der Stuttgart-21-Gegner seit Mitte der Neunziger wurde zur größten Reizfigur der Opposition, fast jede seiner Entscheidungen war eine scharfe Replik wert. Mit Hohn wurde die Idee übergossen, den Heißwasser-Verbrauch in seinem Ministerium auf ein Minimum zu beschränken. Die Aufnahme überdachter Fahrradabstellplätze in die Landesbauordnung trieb und treibt seinen Gegnern die Zornesröte ins Gesicht, ebenso wie der Elan, mit dem er an die Umsetzung eines grünen Versprechens aus dem Wahlkampf 2011 ging und die Förderquoten des Landes zugunsten des ÖPNV umstellte.

Vor allem die verkehrspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion Nicole Razavi attackierte ihn regelmäßig vehement. Bei einer Plenardebatte 2012 platzte dem Minister der Kragen: Als Politiker – im Landtag schon von 1984 bis 1988 und im Bundestag von 1998 bis 2011 – sei auch er für "scharfe Polemik in der Auseinandersetzung". Was er sich aber hier an persönlichen Beleidigungen aus den Reihen von CDU und FDP anhören müsse, sei ihm noch nicht untergekommen. Als die Grünen 2016 stärkste Partei wurden und mangels Alternativen in eine Koalition mit der CDU genötigt wurden, wollte die seinen Skalp und ihn aus dem Kabinett verbannt sehen. Das schwarze Verhandlungsteam war derart verbissen in diese Idee, dass sogar riskiert wurde, sich in den Gesprächen über die Ressortverteilung zu verzocken. Genauso sollte es kommen: Die Grünen behielten nicht nur das Verkehrs-, sondern bekamen – ebenfalls überraschend – das wichtigste, das Finanzministerium.

Inzwischen hat sich vieles verändert. Selbst Razavi, inzwischen aufgestiegen zur parlamentarischen Geschäftsführerin der CDU-Fraktion, spendet höflichen Applaus, wenn der einstige Widersacher im Plenum redet. Schwarze Landräte loben Hermanns Einsatz für die Sache, das Interesse gerade an Rad- und Radschnellwegen wächst erstaunlich. Drei Pilotprojekte gibt es: in Heidelberg und Mannheim, zwischen Stuttgart über Esslingen nach Plochingen sowie im Großraum Heilbronn/Neckarsulm, letzteres ausdrücklich als Angebot für Audi-Beschäftigte. Insgesamt sind 30 der vier Meter breiten Trassen geplant, die möglichst kreuzungsfrei und gegebenenfalls mit Vorrang verlaufen. Bis 2030 soll der Anteil des Radverkehrs an der Gesamtmobilität im Land auf 20 Prozent verdoppelt sein. "Zu Lasten des Autoverkehrs", sagt Hermann ungeniert.

Sätze wie diesen lässt ihm der Koalitionspartners gerade noch durchgehen, wird Hermann präziser, zeigt sich allerdings auch, dass das Eis in Wirklichkeit noch immer dünn ist und die CDU blitzschnell in alte Reflexe verfällt – immer beflügelt von der populistischen Überzeugung, Industrie und die Mehrheit der AutofahrerInnen stünden da ganz fest vor und hinter ihr. Als 2011 die grün-rote Koalition an den Start ging mit dem Motto "Der Wechsel beginnt", dachte Winfried Kretschmann laut und kritisch über den Zustand der Union nach. Der Gedanke eines Bündnisses habe sich eigentlich überholt: "Ich habe mich immer ernsthaft mit Schwarz-Grün befasst, weil ich wollte, dass das Ökologische über eine wirtschaftsnahe Partei wie die CDU ins Zentrum unserer Wirtschaft transportiert wird." Inzwischen erlebe er aber, "dass große Teile der Wirtschaft in diesem Zusammenhang weiter sind als die CDU".

Klare Worte gegen den Zeitgeist

So kann man sich irren. Vor allem, wenn es um die Autobosse geht. Denen ist gelungen, wie die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender unermüdlich rügt, immer neue Begehrlichkeiten nach immer dickeren Autos zu wecken. Und nachhaltige Mobilität wird vernachlässigt. "Die Diskussionen über den Dieselmotor oder die E-Mobilität spielen vor allem bei den deutschen Herstellern beim 88. Internationalen Autosalon in Genf höchstens eine Nebenrolle", berichtete der "Deutschlandfunk" unlängst aus der Schweiz und mokierte sich darüber, wie Daimler oder BWM vor allem "mit viel Chrom und hohen PS-Zahlen" auftrumpften.

Hermann stemmt sich gegen diese Art von Zeitgeist, der irgendwie an die USA in den Fünfziger und Sechziger Jahren erinnert, als der Autofahrer noch "King of the Road" war. Der Grüne kämpft seit 1982 für Tempo-Limits, gegen Lang-LKW und natürlich gegen die Maut. Er spricht, selten zur Freude der Chefstrategen in Kretschmanns Staatsministerium, Klartext. Etwa wenn er den Dieselskandal einen "flächendeckenden Betrug" nennt. Jetzt möchte Hermann sogar ein altes Instrument zurück in die Debatte bringen: die Nahverkehrsabgabe. In den vielen Jahren, in denen die Grünen wacker an ihren Oppositionsbrettern bohrten, rangierte die immer ganz oben auf der To-do-Liste im Fall einer Regierungsbeteiligung.

Längst ist sie erfolgreich erprobt in zahlreichen europäischen Metropolen. Stuttgarts OB Fritz Kuhn fordert sie seit 1992. Nur aus der immer gleichen politischen Ecke gibt es die immer gleichen Reaktionen, so wie dieser Tage vom CDU-Fraktionschef im Rathaus Alexander Kotz: Der Ausbaubedarf bei Bus und Bahn sei unbestritten, eine "einseitige Belastung der Autofahrer sehen wir aber distanziert bis ablehnend". Einseitig? Nach der Idee der Grünen gibt es als Gegenleistung zur Nahverkehrsabgabe eine ÖPNV-Ganzjahreskarte – für schlappe 365 Euro, mithin für einen einzigen pro Tag.

"Heute-Show"-verdächtig fiel die Reaktion des Verkehrsexperten in der CDU-Landtagsfraktion Thomas Dörflinger aus, der es für überflüssig hält, eine Studie zum Thema zu erstellen. Die Begründung: Für eine spätere Umsetzung seien keine politischen Mehrheiten absehbar. Eine leicht durchschaubare Volte einer Partei, die alles dafür tut, dass das so ist und bleibt. Was weitreichende Auswirkungen auf das Thema Fahrverbote hat.

Staugeplagte Auto- müssen RadfahrerInnen dankbar sein

Vergangene Woche stellte sich Winfried Hermann im SWR in "Zur Sache, Baden-Württemberg" der sogenannten Wohnzimmer-Konferenz. Dabei werden ZeitgenossInnen zugeschaltet, die in Fragen ökologischer Nachhaltigkeit selten an der Spitze der Bewegung stehen. Eine Daimler-Beschäftigte hält es für "unverschämt", eine Nahverkehrsabgabe auch nur in Erwägung zu ziehen. Schließlich "verdiene" der Staat doch schon an der KfZ-Steuer, beim Tanken und beim Autokauf. Der gewesene Lehrer (Deutsch, Politik, Sport) bricht im Minister durch, als er freundlich, aber bestimmt darauf hinweist, dass Autofahrer nur irrtümlich meinten, bloß zu zahlen und nichts zu bekommen. Da gebe es in der Republik nämlich viel einschlägige Infrastruktur – und andererseits eine Mitverantwortung für so "große Brocken wie Lärmbelastung und Luftschadstoffe", der sich die Automobilisten nicht entziehen könnten.

Weniger verbindlich kann's werden, wenn dem gebürtigen Rottenburger vorgeworfen wird, mit seiner Radstrategie "Klientel-Politik" zu betreiben. "So ein Quatsch", reagierte er einmal im Landtagsfoyer vor laufenden Kameras verärgert, um danach mit Inbrunst zu erläutern, warum derjenige, der den Radverkehr favorisiert, an einer entscheidenden Mobilitätsstellschraube dreht: Der notwendige Wegebau geht schnell und vergleichsweise kostengünstig vonstatten.

Wie groß der Bedarf ist, zeigt eine Potenzialanalyse, dank der die Projekte auf der Zeitschiene gerankt sind. Und dass ein Umdenken in der CDU auch in Mobilitätsfragen möglich ist, beweisen die vielen Landräte und (Ober-)Bürgermeister, die ganz praktisch für zügige Umsetzung sorgen wollen. Die Dimensionen sind groß und klein zugleich. Denn einerseits geht es um die Vermeidung von nur ein paar tausend Autofahrten täglich, etwa zwischen Plochingen und Stuttgart, wo aber über 160 000 Pendler unterwegs sind. Andererseits könnte genau dieses Minus Fahrverbote überflüssig machen, weil an vielen Messstellen schon heute die Grenzwerte nur noch knapp überschritten werden.

Spitzbübisch lächelnd doziert Hermann über den Dank, den die Auto- den RadfahrerInnen dann schulden würden: Wenn Vernünftige umsteigen, haben Unvernünftige mehr Platz auf der Straße und der Stau wird kürzer. Ausgerechnet von Adam Opel stammt die passende Botschaft, 150 Jahre alt und so jung wie nie: "Beim Rad ist wie bei keiner anderen Erfindung das Nützliche mit dem Angenehmen so innig verbunden."


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10 Kommentare verfügbar

  • Real Ist
    am 02.04.2018
    Antworten
    Winfried Hermann hat den Stuttgarter Bahnknoten für einen Ministerposten dreimal verraten und verkauft.
    Zu den von mir bereits weiter unten erwähnten Kritikpunkten, Kapazität und Kombibahnhof kommt noch ein dritter wesentlicher Verrat dazu.

    Da ein Gramm Praxis mehr wert ist als eine Tonne Theorie,…
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