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Die Flächenfresser

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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Deutschland wird täglich kleiner – zumindest, wenn es um unverbaute Landschaft geht. Während in Bayern ein Volksbegehren den Flächenverbrauch stoppen will, soll im badischen Pforzheim einer der ältesten Forste im Land für ein Gewerbegebiet fallen.

Im Norden der einstigen Schmuck- und Goldstadt Pforzheim möchte Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) ein 68 Hektar großes Gewerbegebiet ausweisen. "Beim Thema Gewerbeflächen müssen wir jetzt dringend vorankommen, für die finanzielle Gesundung der Stadt Pforzheim ist das von ganz entscheidender Bedeutung", sagte er im Dezember 2017 und lobte als Ziel aus, in den kommenden vier bis fünf Jahren an die 100 Hektar zu erschließen. Klapfenhardt soll das neue Gebiet heißen.

Dem Projekt steht allerdings wertvoller Wald im Weg. Unter Bochs Vorgänger Gert Hager (SPD) war das Areal noch wegen des massiven Eingriffs in den Forst und die angrenzenden Natur- und Landschaftsschutzgebiete als ungeeignet eingestuft worden. Zudem ist das Waldstück im Regionalplan als Grünzug ausgewiesen, was Bautätigkeiten eigentlich ausdrücklich verbietet.

"Der Wald wurde 1527 erstmals urkundlich erwähnt", kündigt Manfred Pflüger, Sprecher der Bürgerinitiative Nord, erbitterten Widerstand an. Man werde nicht zulassen, dass einer ältesten Forste im Land platt gemacht wird, "nur um an Gewerbesteuer zu kommen." Gegen die Pläne haben sich auch die Grünen in Stadt und Landkreis bereits positioniert – und damit gegen die Pforzheimer Baubürgermeisterin Sybille Schüssler, die ebenfalls Mitglied der Ökopartei ist und offenbar zwischen allen Stühlen sitzt.

So sorgte erst vergangene Woche ein Pressebericht für Wirbel, wonach sich Schüssler vor Parteifreunden von den Klapfenhardt-Plänen distanziert habe. Tags darauf folgte ein Dementi aus dem Rathaus und die Ankündigung der Umweltdezernentin, man werde ressourcenschonend bauen, gemeinsame Parkhäuser für die Firmen errichten und viel Grün anpflanzen. BI-Sprecher Pflüger nennt das "reine Augenwischerei". Und letztlich ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn Pforzheim geht von allen baden-württembergischen Städten am rücksichtslosesten mit seinem Boden um. Seit dem Jahr 2000 hat die bebaute Fläche der Stadt um 3,4 Prozent auf heute 31,4 Prozent zugenommen.

In Baden-Württemberg gehen jeden Tag 5,2 Hektar Boden für Baumaßnahmen verloren. Binnen Jahresfrist wuchs die sogenannte Siedlungs- und Verkehrsfläche im Land laut dem Statistischen Landesamt um ungefähr 20 Quadratkilometer – in die berühmten Fußballfelder umgerechnet sind das ungefähr 2800 Stück. Sie werden mit Straßen, Parkplätzen, Fabrikhallen, Büro- und Wohngebäuden zugebaut. In ganz Deutschland werden nonstop neue Flächen für Arbeiten, Wohnen und Mobilität belegt, seit 1991 im Schnitt jeden Tag etwas mehr als ein Quadratkilometer des Landes.

Vor allem Äcker sind verschwunden. Seit Anfang der Neunziger ist die landwirtschaftlich genutzte Fläche um fast elftausend Quadratkilometer zurückgegangen – das ist mehr als elf Mal Berlin nebeneinander. Noch wird ein bisschen mehr als die Hälfte von Deutschlands Fäche landwirtschaftlich genutzt, auf 30 Prozent wachsen Wald, auf rund 14 Prozent entfallen Siedlungs- und Verkehrsflächen. Klingt gar nicht so viel, aber inzwischen belegen Gebäude und Straßen eine Fläche, die den Bundesländern Thüringen, Schleswig-Holstein, Saarland, Berlin, Hamburg und Bremen entspricht.

Flächenverbrauch hat massive Auswirkungen auf die Umwelt. Versiegelte Flächen schaden der Bodenfruchtbarkeit und dem Wasserhaushalt. Sie begünstigen Hochwasser, was in Zeiten des Klimawandels durch Starkregen immer häufiger und intensiver auftreten kann. Zudem verlieren Böden in heißen Sommern ihre Kühlwirkung. Unzerschnittene Landschaftsräume, wichtig für eine artenreiche Tier- und Pflanzenwelt, gehen verloren. Mit zunehmender Zersiedelung entstehen neue ökonomische und soziale Probleme: So sinkt etwa die Auslastung von Infrastrukturen, ein Phänomen, das durch den demographischen Wandel noch drängender wird. Wege werden weiter, was mehr Verkehr und damit mehr umwelt- und klimaschädliche Emissionen verursacht, mahnt das Umweltbundesamt.

Auch weil "natürlicher" Boden nicht vermehrbar, sondern endlich ist, hat die Bundesregierung dessen Schutz als Ziel in die nationale Nachhaltigkeitsstrategie aufgenommen. Doch wie beim Klimaschutz versprachen die bisherigen Regierungen unter Angela Merkel (CDU) zu viel – oder taten zu wenig: So galt bis vor kurzem die Vorgabe, den Flächenverbrauch in Deutschland bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag zu drosseln, das ist weniger als die Hälfte des derzeitigen Durchschnittswerts.

Im Januar 2017 kassierte das schwarz-rote Bundeskabinett das Ziel wegen Unerreichbarkeit. Seither soll die Flächenversiegelung erst im Jahr 2030 auf "unter 30 Hektar pro Tag" begrenzt werden. Henry Wilke, Experte für Siedlungsentwicklung beim Naturschutzbund Deutschland (NABU) kritisiert: "Anstatt ambitionierte Ziele zu setzen, verschiebt die Bundesregierung lediglich das alte, nicht erreichte Ziel um weitere zehn Jahre."

Zudem änderte die alte Bundesregierung im März 2017 das Bau- und Planungsrecht. Für den Wohnungsbau am Ortsrand wurden Ausnahmeregelungen und Erleichterungen geschaffen. Wiesen, Äcker und unbebaute Flächen können nun schneller und leichter in Wohnbauland umgewandelt werden. Ausgleichsmaßnahmen für Eingriffe in Natur und Landschaft entfallen. Zwar gelten diese Ausnahmeregelungen nur bis Ende 2019, aus Sicht des NABU dennoch ein falsches Signal. "Sie sind ein Schlag ins Gesicht aller, die sich für eine flächensparende und nachhaltige Siedlungsentwicklung einsetzen", so Wilke.

Auch die neue GroKo ist keine Flächen-Spar-Koalition. Stattdessen gesteht der Koalitionsvertrag einen Flächenverbrauch im Jahr 2030 von "maximal 30 Hektar/Tag" zu, statt "unter 30 Hektar", wie noch in der Nachhaltigkeitsstrategie gefordert wird. Wie das Ziel erreicht werden soll, wird in dem Papier erst gar nicht gesagt.

Umwelt- und Naturschützer in Bayern, wo jährlich eine Fläche so groß wie der Ammersee zugebaut wird, wollen das nicht länger hinnehmen. Mit dem Volksbegehren "Betonflut eindämmen" will ein Bündnis aus Parteien (Grüne, ÖDP) und Verbänden (Katholisches Landvolk, VCD, Naturfreunde) eine gesetzliche Grenze für den Flächenverbrauch im Freistaat von fünf Hektar pro Tag erzwingen. Das entspricht dem bayerischen Anteil am 30-Hektar-Ziel für Gesamtdeutschland. Derzeit gehen dort täglich noch 13 Hektar Boden verloren. "Ich kämpfe für eine sparsame und intelligente Nutzung unserer geerbten Natur und Kulturlandschaft – nach dem Motto: Denken, bevor der Bagger kommt", so Bündnissprecher Ludwig Hartmann, im "Hauptberuf" Grünen-Fraktionssprecher im bayerischen Landtag. Am 7. März reichte das Aktionsbündnis 48 225 Unterschriften für den Antrag auf ein Volksbegehren beim Bayerischen Innenministerium ein. Erforderlich wären 25 000 Unterstützer gewesen.

In Pforzheim hatte den größten Flächenhunger zuletzt Amazon. 2012 eröffnete der amerikanische Versandriese nördlich der A 8 ein Logistikzentrum mit einer Lagerfläche von rund 110 000 Quadratmetern. Mit Parkplätzen und Nebenstraßen belegt allein Amazon rund die Hälfte des Gewerbegebiets Buschbuch, für das 35 Hektar Ackerfläche zubetoniert wurden. "Mit der Amazon-Ansiedlung wurden 4000 neue Jobs und sprudelnde Gewerbesteuern versprochen", erinnert sich Manfred Pflüger von der Pforzheimer Bürgerinitiative.

Für die Bürgerinitiative ist der Traum vom Wohlstand durch Gewerbeansiedlung längst geplatzt. Tatsächlich arbeiten laut der Gewerkschaft Verdi heute rund 1000 Menschen im Pforzheimer Amazon-Zentrum. Wie viel Gewerbesteuer der Versandriese an die Goldstadt abführt, bleibt ein gut gehütetes Geheimnis. "Amazon verschiebt seine Gewinne in Steuerparadiese wie Luxemburg und Holland. Für Pforzheim bleibt da wenig übrig", sagt BI-Sprecher Pflüger. Auch deshalb brauche es heute andere Qualitätsmerkmale als die Zahl neuer Gewerbegebiete, um als Stadt erfolgreich zu sein, glaubt er. Im Mai soll es eine Großkundgebung gegen die Abholzpläne von OB Boch in Pforzheim geben.


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3 Kommentare verfügbar

  • Fritz Meyer
    am 21.03.2018
    Antworten
    Dem Moloch wird alles geopfert.
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